Coronamaßnahmen in Deutschland: Linke, bleibt autoritätsskeptisch!

Die Coronabestimmungen können zum Teil nur mit härtesten Maßnahmen durchgesetzt werden. Wo bleibt der Aufschrei der politischen Linken?

Polizist stoppt verkehr mit Kelle im Dunkeln.

Polizeikontrollen in Baden-Württemberg während er Ausgangsbeschränkungen im April 2021 Foto: Simon Adomat/VMD-images/imago

Mit der linken Geduld für Impfverweigerer ist es vorbei. „Viel zu viele benötigen offenbar die Peitsche der Obrigkeit, um sich im Sinne des Gemeinwohls zu verhalten“, schrieb erst vor wenigen Tagen der Schriftsteller Ilja Trojanow in der taz zum Impfverhalten in diesem Land. Trojanow veröffentlichte 2009 das Buch „Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte“, in dem er sich kritisch mit staatlichen Eingriffen in die Privatsphäre von Bürgern auseinandersetzte.

Doch in der Covidkrise fantasiert auch er zumindest implizit einen starken Staat herbei, der endlich entschlossener gegen Ungeimpfte vorgehen möge – zum Beispiel durch eine Impfpflicht.

Und Trojanow ist wahrlich nicht allein mit seinem Ruf nach einem harten Eingreifen der Obrigkeit. Im vergangenen Winter schon forderten diverse linke Publizisten und Aktivisten einen ZeroCovid-Lockdown. Um die Zahl der Infektionen auf zero – also null – zu senken, solle es Kontaktbeschränkungen und eine weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens geben.

Zwar warben die Initiatoren dafür, mithilfe von umfangreichen Umverteilungsmaßnahmen die soziale Last gerade für Arme abzufedern – aber trotz allem hätte ein solcher Komplettstillstand die Frage aufgeworfen, wie man entsprechende Vorgaben eigentlich durchsetzt.

Die Antwort ist simpel: Mit staatlicher Gewalt – eine andere Möglichkeit gibt es nicht. In der Covidkrise entdeckten und entdecken viele eigentlich antiautoritäre Linke offenbar ihre Liebe zu Polizei und Obrigkeit und nehmen dabei weitgehend kritiklos erhebliche Eingriffe in die Selbstbestimmung von Menschen hin – mitunter von Menschen, die keineswegs zu den Privilegierten im Land gehören.

Schwerverbrechen Autofahren

Der Autor dieses Textes hat vor einigen Wochen erst in der Berliner U-Bahn beobachtet, wie vier Sicherheitsleute einen Mann umringten, der keine Maske aufgesetzt hatte. Man verstellte dem Mann „Fluchtwege“, die Körpersprache der Securitys wirkte alles andere als deeskalierend. Breitschultrig thronten sie über dem „Ertappten“, der seinerseits mit hängenden Schultern sofort seine Maske aufzog, nachdem man ihn dazu aufgefordert hatte.

Als der Mann, der vermutlich die 50-Euro-Strafe nicht zahlen konnte oder wollte, nur kurz verweigerte, seinen Personalausweis vorzuzeigen, drohten die Männer sogleich mit der Polizei und führten ihn aus der Bahn wie einen Schwerverbrecher.

Das sind die Szenen, die eine konsequente Umsetzung von Coronamaßnahmen fast zwangsläufig erzeugt. In Baden-Württemberg errichtete die Polizei im vergangenen Winter Kontrollpunkte, um Autofahrer aufzuhalten, die gegen die damals herrschende Ausgangssperre verstießen.

Jovial teilte etwa die Polizei in Stuttgart-Mitte im Dezember mit, dass sie einen Autofahrer aufgegriffen habe, der „glaubhaft versichert [habe], dass er pünktlich losgefahren war“ und nur wegen eines Staus nicht rechtzeitig am Ziel angekommen sei. Am damals ersten Wochenende mit Ausgangssperre habe man es noch bei Ermahnungen belassen. Rechtschaffene Bürger mussten sich vor der Polizei rechtfertigen, warum sie sich frei in der Öffentlichkeit bewegten, obwohl die Erfahrungswerte für den Nutzen einer Ausgangssperre widersprüchlich waren.

In Hamburg jagte die Polizei im März mit einem Streifenwagen einen Jugendlichen durch den Park, weil er – im Freien – gegen Coronamaßnahmen verstieß. Er habe andere „umarmt und abgeklatscht“, teilte die Polizei später mit. Ist das ein Grund, eine gefährliche Verfolgungsjagd in einem öffentlichen Park aufzunehmen?

Einen breiten gesellschaftlichen Aufschrei aufseiten der Linken gegen derlei Auswüchse gab es nicht. Der Kreis Hildesheim richtete sogar eine E-Mail-Adresse ein, unter der Bürger Verstöße gegen Corona­restriktionen melden konnten. Ein Stern-Autor sah darin „einen letzten verzweifelten Versuch, diejenigen ins gemeinschaftliche Rettungsboot zu zwingen, die meinen, auf der potenziell tödlichen Welle auch noch surfen zu müssen“.

Arme besonders betroffen

Ein Klima der De­nun­zi­a­ti­on machte sich breit. Aktuell ist es vor allem Die Linke, die einen harten Lockdown fordert. Zwar erneut mit sozialem Ausgleich, doch in der politischen Realität in Deutschland dürfte der nächste Lockdown eher wieder kaum ausreichende Kompensation für Arme geben.

Laut Reichtums- und Armutsbericht der Bundesregierung hatten im vergangenen Sommer 30 Prozent der Befragten mit besonders niedrigen Einkommen seit Beginn der Pandemie Probleme, laufende Ausgaben zu decken. Was bleibt, ist vermutlich die harte staatliche Hand. In Thüringen will Gesundheitsministerin Heike Werner, auch sie von den Linken, verstärkt die Polizei einsetzen, um 2G in Lokalen zu kontrollieren. Polizisten, die durch Gastronomie-Einrichtungen streifen – ist das linke Politik?

In Berlin hat der Senat in dieser Woche die 3G-Regeln auf die Nutzung von Bahnsteigen ausgeweitet. Sie gelten auch für Obdachlose, die dort im kalten Winter Unterschlupf suchen. „Grundsätzlich ist es so, dass Kontrolleure Personen abweisen müssen, die die 3G-Bedingung nicht erfüllen“, teilte die Berliner Sozialverwaltung am Dienstag auf Anfrage der Berliner Zeitung mit. Im schlimmsten Fall werden Sicherheitskräfte nun die Ärmsten der Armen aus warmen Unterschlüpfen vertreiben müssen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Berufsverbot für Pfleger

Längst ist klar, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung sich nicht gegen eine Corona-Infektion wird impfen lassen – was neue Fragen für die politische Linke aufwirft. Die neue Bundesregierung plant derweil, eine Impfpflicht für Pfleger einzuführen.

Wer sich nicht fügt, hat praktisch Berufsverbot. Menschen, die unter – politisch verschuldet – schwersten Bedingungen für wenig Geld einen der wichtigsten Dienste an der Allgemeinheit leisten, werden womöglich arbeitslos. Sollte es irgendwann eine allgemeine Impfpflicht geben, würden Bußgelder vermutlich gerade Arme an die Grenze ihrer sozialen Existenz bringen. Der Ruf nach konsequentem Durchgreifen hat potenziell verheerende soziale Folgen.

Der Hass auf die vermeintlichen Delinquenten hat in der Debatte überhandgenommen, wofür nicht zuletzt Äußerungen von Politikern und Medizinern sorgten. Frank Ulrich Montgomery, stellvertretender Vorsitzender des Weltärztebundes, sprach etwa von einer „Tyrannei der Ungeimpften“.

Die Bestrafungsfantasien gegenüber Nichtgeimpften, die sich in der zwischenzeitlichen Abschaffung kostenloser Tests, der Einführung von 2G (obwohl auch Geimpfte ansteckend sind) und der Abschaffung der Entgeltfortzahlung im Quarantänefall zeigt, droht die Gesellschaft noch weiter zu spalten. Hier sollten Linke ein Gegengewicht bilden und die Verteidigung von Bürgerrechten und Solidarität mit vermeintlich Abtrünnigen nicht der politischen Rechten überlassen, die die Zurückgewiesenen nur zu gern in ihre Reihen integriert.

Der Impuls der Abneigung, den viele Linke gegen Nichtgeimpfte haben, ist verständlich. Wieso sollte man sich solidarisch zeigen mit Menschen, von denen man glaubt, dass sie ihrerseits unsolidarisch gegenüber der Gemeinschaft handeln? Eine Lösung für das Problem hat der Autor auch nicht.

Vielleicht muss man sich mit dem Gedanken abfinden, dass Solidarität mitunter eine Einbahnstraße ist. In Deutschland gibt es keine Todesstrafe und keine lebenslange Haft, weil man auch dem schlimmsten Straftäter eine Rückkehr in die Gesellschaft ermöglichen möchte.

Im Vergleich dazu sind Ungeimpfte harmlose Abweichler von der (übrigens ziemlich neuartigen) sozialen Norm. Es sind Nachbarn, Freunde, Kollegen und Menschen, die in anderen Bereichen ihres Lebens einen Dienst an der Gesellschaft leisten. Der autoritäre Staat ist nicht das geeignete Mittel, um ihnen zu begegnen.

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