Vorschläge der Initiative „Zero Covid“: Halbtotalitäre Fantasie

Die Initiative „Zero Covid“ will das Coronavirus durch einen mehrwöchigen Total-Lockdown bezwingen. Die Ideen sind weltfremd und wenig zielführend.

Getragene Mund-Nase-Bedeckungsmaske liegt auf dem Pflaster der menschenleeren Fußgängerzone

Idee der Initiative „Zero Covid“: gesamtes gesellschaftliches Leben für einige Wochen einfrieren Foto: Ralph Peters/imago

Es klingt so einfach: Wir frieren für einige Wochen das gesamte gesellschaftliche Leben ein, gehen nicht mehr vor die Tür, legen Betriebe still, verzichten in ganz Europa auf alles, was das Coronavirus weitertragen könnte – und haben mit dieser „solidarischen Pause“ das Virus besiegt.

So fordern es die AutorInnen des Appells „Zero Covid“, der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Es ist die radikale Null-Lösung für eine globale Gefahr. Es ist die Vision einer Corona-freien Welt binnen Wochen und es ist eine harsche Kritik von links an allen europäischen Regierungen.

Ideen sind immer gut. Ob das Ziel von null Infektionen realistisch ist, ob die Vorschläge praktikabel sind, ob diese „Mehrere-Wochen-Utopie“ wirklich motiviert, ist eine andere Sache. Was, wenn danach das Virus immer noch grassiert? Weil man Pflegeheime nicht schließen kann und Straßenbahnen fahren müssen? Geht dann die Utopie in die nächste Runde? Und noch mal? Und noch mal?

Es hat immer etwas Religiöses, für ein hehres Ziel in der Ferne Entbehrungen im Heute in Kauf zu nehmen. ChristInnen warten auf die Wiederkunft des Herrn, und in den Schulen der DDR wurden Generationen von Kindern vertröstet, dass sie einmal in der schönsten aller Welten leben werden – wenn alle mitmachen.

Es ist eben auch der Traum von einer radikal anderen Gesellschaft, die im „Zero Covid“-Appell aufleuchtet: eine Welt ohne Kapitalismus, ohne Profitlogik, dafür solidarisch. In der Corona­zeit heißt das: Fabriken und Baustellen schließen, Krankenhäuser verstaatlichen und die Rechnung den Reichen schicken. Kurzum – mehr Staat, weniger Profit, dazu den Impfstoff in öffentliche Hände. Dabei ist Biontech ein Beispiel dafür, dass Profitinteresse extrem schnell die passende Antwort liefert.

Kritik an der Regierung? Natürlich! Kritik an der Verteilung des Reichtums? Nur zu! Linke Ideen, wie Corona überwunden werden kann? Her damit! Aber bitte nicht mit einer halbtotalitären Fantasie. Mit dem Virus werden wir leben lernen, es zähmen. Immer wieder. Eigentlich so – wie beim Kapitalismus.

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1982 Agrotechniker/Mechanisator; 1985 Film-Missionar, Diplom-Theologe, 1992/93 Staatliche Belarussische Lenin-Universität Minsk, 1997 Journalist, seit 2012 Reporter im Ressort Reportage & Recherche. Ehrungen: Bester Lehrling beim Pflügen der Herbstfurche im Kreis Burg b. Magdeburg (1983) Autor: Ukraine. Zwischen den Karpaten und dem Schwarzen Meer (Reiseführer, Trescher Verlag 2011). Aus aktuellem Anlass wieder als E-Book verfügbar.

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