Angeklagte Klimaaktivistin über Blockaden: „Ich halte das nicht für strafbar“
Die Aktivistin Carla Hinrichs blockiert für die Gruppe Letzte Generation Straßen. Ursprünglich wollte sie Richterin werden, jetzt ist sie Angeklagte.
taz: Frau Hinrichs, Sie stehen am Donnerstag für eine Aktion der Letzten Generation vor Gericht. Ursprünglich wollten Sie da mal beruflich hin, oder?
Carla Hinrichs: Ja, ich dachte, dass ich mal auf der anderen Seite von dem Richterpult sitzen würde. Ich habe Jura studiert, um für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu sorgen. Ich habe aber leider merken müssen, dass sich das Zeitfenster schließt, in dem wir handeln können, um die schlimmsten Folgen der Klimakrise zu verhindern. Deswegen habe ich mich in der Pflicht gesehen, Widerstand zu leisten, und stehe jetzt als Angeklagte vor Gericht.
ist Mitglied und Sprecherin der Klima-Gruppe Letzte Generation. Die 26-Jährige hat in Bremen Jura bis zur Scheinfreiheit studiert.
Was wird Ihnen genau vorgeworfen?
Mir wird vorgeworfen, dass ich im Februar eine Straße blockiert habe und damit Menschen genötigt haben soll.
Manche Ihrer Mitstreiter:innen verteidigen sich vor Gericht selbst. Sie auch?
Ich werde mich zusammen mit meinem ehemaligen Juraprofessor Gerd Winter von der Uni Bremen vor Gericht verteidigen. Wir haben gemeinsam die Verteidigung vorbereitet. Er unterstützt mich in meinem Protest.
Wie kam das, haben Sie ihn darum gebeten?
Ich habe bei Herrn Professor Winter schon meine Abschlussarbeit im Umweltrecht geschrieben. Er wusste auch davon, dass ich immer wieder Protest leiste gegen das Nichthandeln der Regierung. Letztes Jahr hat er mich bei Anne Will im Fernsehen gesehen und sich danach bei mir gemeldet. So sind wir wieder in Kontakt gekommen. Ich habe ihn gefragt, ob er sich vorstellen kann, mich zu verteidigen, und das wollte er gerne machen.
Fällt es Ihnen leicht, an Ihrer eigenen Verteidigung zu arbeiten?
Ich durfte in meinem Studium sehr viel über das Rechtssystem lernen und auch, welche Strafbarkeiten infrage kommen. Ich habe aber auch gelernt, dass Recht oft Abwägungssache ist. Das ist auch in meinem Fall so oder in unseren Fällen. Wir setzen uns nicht leichtfertig auf die Straße. Wir sind friedlich, wir protestieren für das Überleben von zukünftigen Generationen und für unser eigenes Leben. Da ist es abzuwägen, ob es nicht verhältnismäßig oder sogar gerechtfertigt ist, dass durch uns Menschen im Stau stehen.
Diese Argumentation hat bislang selten zu Freisprüchen geführt. Verstehen Sie das?
In der Klimakrise – also auf dem Weg in eine absolute Katastrophe – müssen wir uns alle fragen, ob das, was wir bisher machen und wie wir im Moment auf die Dinge blicken, noch das Richtige ist. Das müssen sich auch die Richter:innen fragen, und das ist für die natürlich erst mal eine Neuheit. Da stehen plötzlich Menschen vor Gericht, die sagen: Ja, ich habe das gemacht und ich werde das wieder tun, denn ich sehe mich einfach akut dadurch bedroht, dass wir uns durch die Klimakrise hier in Deutschland noch in meiner Lebenszeit um Ressourcen streiten werden.
Ich erwarte von einem Rechtssystem, dass es sich wirklich die Lage anguckt. Dass es sich mit der Klimakrise auseinandersetzt und aufgrund der Fakten anerkennt, dass das eine akute Krise ist. Aber die meisten Richterinnen stellen sich leider gar nicht erst die Frage, ob unser Verhalten zu rechtfertigen wäre, weil das weit darüber hinausgeht, was sie bisher aus ihrem Alltag kennen.
Das heißt, Sie rechnen gar nicht damit, dass Sie freigesprochen werden?
Der Richter hat mich schon vorab wissen lassen, dass er von der Strafbarkeit überzeugt ist und mich nur vor Gericht bestellt, um über das Strafmaß zu sprechen.
Man könnte auch argumentieren, dass die Gerichte eher wohlwollend mit der Letzten Generation umgehen. Oft verhängen die Richter:innen geringe Geldstrafen, während man für Nötigung auch ins Gefängnis kommen könnte.
Ich halte mein Verhalten nicht für strafbar. Wenn ich mir die Gesetze angucke, dann braucht es für eine Nötigung ein verwerfliches Verhalten. Verwerflich finde ich, dass unsere Regierung uns über die Klippe bringt. Es ist die größte Krise, die ich mir vorstellen kann. Deswegen setze ich mich jetzt friedlich auf eine Autobahn und unterbreche diesen todbringenden Alltag. Das halte ich nicht für verwerflich. Diese Frage müssen sich die Gerichte stellen. Und wenn sie das dann trotzdem für verwerflich halten, dann sollen sie mich dafür einsperren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles