Juristische Lage beim Klimaschutz: Ist die Klimapolitik rechtswidrig?
Deutschland tue zu wenig, um die CO2-Emissionen zu senken, kritisieren Klimaschützer:innen. 2023 sind wichtige Gerichtsurteile dazu zu erwarten.
Höhn saß auf der Straße und hinderte die Autos an der Durchfahrt. Viele würden deshalb eher Höhn für kriminell erklären, denn die Straßenverkehrsordnung verbietet ein solches Verhalten natürlich. Der Regelbruch soll aber auf ein größeres Unrecht hinweisen, argumentieren die Aktivist:innen.
In einer Mitteilung schrieb die Letzte Generation am Tag darauf, „dass der Plan, den die Bundesregierung mit ihrem Klimapaket vorgelegt hat, vom höchsten Gericht für verfassungswidrig erklärt wurde“. Und weiter: „Die Nachbesserungsfrist läuft ab, es ist nicht abzusehen, dass diese Regierung die Krise in den Griff bekommt. Das ist Rechtsbruch. Das ist verfassungswidrig. Das ist kriminell.“ Bruch mit dem Grundgesetz durch mangelnde Klimapolitik – diesen Vorwurf hört man von der Gruppe immer wieder. Trifft er denn zu?
Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten Klima-Beschluss vom Frühjahr 2021 den Klimaschutz zum Staatsziel erklärt. Konkretisiert sei das Staatsziel in Paragraf 1 des Klimaschutzgesetzes, das noch die Große Koalition auf den Weg gebracht hatte.
Mindestanforderungen des Verfassungsgerichts erfüllt
Darin heißt es, dass „der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist“. So steht es auch schon im Pariser Weltklimaabkommen von 2015. Wie Deutschlands Beitrag zu diesem Ziel aussehen soll, dabei ließ das Bundesverfassungsgericht der Politik in seinem Beschluss allerdings „Gestaltungsspielräume“.
Konkret gefordert hatten die Richter:innen, dass der Bundestag im Klimaschutzgesetz auch konkrete Anforderungen für die Zeit nach 2030 festlegen muss, um die notwendige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft rechtzeitig anzuschieben. Bis dato hatte das Klimaschutzgesetz den verschiedenen Wirtschaftssektoren nur bis 2030 jahresgenaue CO2-Grenzen gesetzt. Wie es danach bis zur Klimaneutralität weitergehen sollte, ließ es offen.
Mit dem Silvesterabend ist die Frist abgelaufen, bis zu der der Bundestag Zeit hatte, das Klimaschutzgesetz entsprechend anzupassen. So lange brauchte er allerdings gar nicht: Nur wenige Wochen nach dem Beschluss des Gerichts stimmte die Mehrheit der Abgeordneten für die Änderung des Klimaschutzgesetzes.
Im Zuge dieser Reform besserte der Bundestag auch bei den Zielen für das aktuelle Jahrzehnt nach. Bis 2030 muss Deutschland seine Emissionen nun um 65 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 senken, zuvor lag die Zielmarke 10 Prozentpunkte niedriger. Eingefordert hatte das Bundesverfassungsgericht diesen Schritt nicht. Der Bundestag ging also über die Karlsruher (Mindest-)Anforderungen hinaus.
Trotzdem erhoben neun Jugendliche zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe Anfang 2022 eine neue Verfassungsklage gegen das Klimaschutzgesetz, um weitere Verschärfungen durchzusetzen. Wie die Letzte Generation fanden sie nicht, dass die Reform des Klimaschutzgesetzes genügte. Diese Klage lehnte das Bundesverfassungsgericht schon im Juni ohne jede Begründung ab – ein klares Signal, dass die Karlsruher Richter:innen erst einmal die Politik am Zug sehen, die eigenen Ziele auch umzusetzen.
Von Karlsruhe nach Berlin
Das letzte juristische Wort zur deutschen Klimapolitik ist damit aber nicht gesprochen. Interessant wird es 2023 in Berlin. Genauer: am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Dort hat die Deutsche Umwelthilfe im September Klage eingereicht. Konkret geht es um das Klima-Sofortprogramm von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP).
Der Verkehrssektor hat seine gesetzlichen CO2-Grenzen 2021 nicht eingehalten. Darauf hat das Klimaschutzgesetz eine Antwort: Das zuständige Bundesministerium muss ein Sofortprogramm mit Maßnahmen vorlegen, die die Lücke schließen. In der Pflicht war dieses Jahr also unter anderem Volker Wissing.
Was er ablieferte, war umstritten: Sein Sofortprogramm zeigte nicht auf, wie ein jährliches Anwachsen der Lücke bis 2030 verhindert werden kann. Der Expertenrat für Klimafragen, der die Sofortprogramme laut Klimaschutzgesetz prüft, guckte sich das dreiseitige Dokument gar nicht erst im Detail an.
Neben der Klage gegen Wissings Sofortprogramm liegen beim Oberverwaltungsgericht in Berlin auch noch fünf andere Klagen der Deutschen Umwelthilfe gegen Klimaprogramme der Bundesregierung. Die älteste stammt von 2020. Bisher haben die Richter:innen allerdings über keine davon entschieden oder auch nur verhandelt. Man kann den Aktivist:innen der Letzten Generation deshalb wohl auch nicht den Klageweg als effiziente Alternative zu Straßenblockaden empfehlen.
Das könnte sich aber bald ändern: Der für Umweltrecht zuständige 11. Senat des Gerichts war 2020 und 2021 mit Coronafragen überlastet. 2022 war er dann durch einen Vorsitzendenwechsel mit anschließendem Rechtsstreit um die Neubesetzung beeinträchtigt.
Der scheint nun aber gegessen: Die Konkurrentenklage eines unterlegenen Bewerbers wurde kurz vor Weihnachten abgelehnt. Auf Anfrage der taz teilte das Oberverwaltungsgericht inzwischen mit, dass es im ersten Halbjahr über die Klimaklagen der Umweltschützer:innen verhandeln wolle. Es geht also doch noch voran.
Möglicherweise sind aber einige der Klimaklagen schon überholt, bis das Gericht über sie entscheidet. Die FDP verlangt nämlich eine grundlegende Änderung des Klimaschutzgesetzes: Sie will die Sektorziele abschaffen. Es gäbe dann keine eigenen Ziele mehr für Verkehr, Energie, Industrie, Gebäude, Müll, Land- und Forstwirtschaft, sondern nur noch für ganz Deutschland.
Dies würde vor allem FDP-Verkehrsminister Wissing aus der Verantwortung nehmen. Zahlreiche Klimaschützer:innen, Wissenschaftler:innen, aber auch die Ampel-Partner SPD und Grüne sind mit dem Vorschlag allerdings nicht einverstanden.
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