Modell Staatsschulden für das Klima: Getauschter Naturschutz

Belize war fast bankrott, als eine NGO dem Land viel Geld geliehen hat. Nun muss es Auflagen erfüllen. Kann dieses Modell die Lösung sein?

Ein Prachtfregattvogel fliegt über das Meer

Dem Prachtfregattvogel ist der Staatsbankrott ziemlich schnuppe Foto: Peter Oxford/imago

BERLIN taz | Der Prachtfregattvogel und die Echte Karettschildkröte haben Belize 2021 vor dem Bank­rott gerettet. Sie leben an und vor der Küste des kleinen mittelamerikanischen Landes, wo sich Mangrovenwälder und das 300 Kilometer lange Belize-Barrier-Riff erstrecken, Heimat tausender Tier- und Pflanzenarten.

Der Prachtfregattvogel baut seine Nester in den Mangrovenwäldern, die gleichzeitig die Küste vor Stürmen schützen und große Mengen Kohlenstoff binden. Um sich zu ernähren, drangsaliert er andere Vögel, bis diese ihre erbeuteten Fische wieder ausspeien. Auch die Echte Karettschildkröte ernährt sich von den Fischen, die zwischen den Korallen und Schwämmen des Riffs leben.

Und nun haben all diese Arten Belize vor der Pleite bewahrt. Nicht, weil viele Tou­ris­t*in­nen kamen, um sich das größte Korallenriff der Nordhalbkugel anzuschauen. Sondern weil das Riff, die Regen- und Mangrovenwälder Belizes so wichtig für Artenvielfalt und Klimaschutz sind, dass eine Tochterfirma der US-amerikanischen Naturschutzorganisation The Nature Conservancy (TNC) dem Land 364 Millionen Dollar geliehen hat, um seine Schulden zu bezahlen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Um an Geld zu kommen, verkaufen Länder Staatsanleihen an Investoren und Banken. Damit die Anleihen des wirtschaftlich schwachen Belizes überhaupt konkurrenzfähig zu beispielsweise deutschen Anleihen sind, muss das Land hohe Zinsen anbieten. 2021 konnte es diese nicht mehr decken, auch, weil wegen der Coronapandemie die Dollar-Einnahmen durch Tou­ris­t*in­nen gesunken sind.

Kurz vor dem Staatsbankrott

Allein seinen privaten Gläubigern schuldete Belize rund 550 Millionen Dollar, etwa 30 Prozent des jährlich dort erwirtschafteten Geldes, und stand kurz vorm Staatsbankrott. Dann half die Umweltorganisation TNC aus. Und weil die Staatsanleihen durch den drohenden Bank­rott des Landes gleichzeitig an Wert verloren hatten, konnte Belize mit den von TNC geliehenen 364 Millionen Dollar seine eigenen Staatsanleihen mit dem ehemaligen Wert von 550 Millionen Dollar zurückkaufen. Die Pleite wurde abgewendet.

Dafür stellte TNC Bedingungen: Belize muss bis 2026 30 Prozent seines Ozeans unter Schutz stellen, nachhaltige Regulationen für Landwirtschaft und Fischerei umsetzen und über 20 Jahre insgesamt 180 Millionen Dollar für einen neuen Naturschutzfonds ausgeben.

Der Staat Belize und die NGO TNC tauschen also Staatsschulden gegen Naturschutz. Diese „Debt for Nature Swaps“ gibt es seit den 1980er Jahren, aber seit Kurzem erfahren sie wieder viel Aufmerksamkeit: Neben Belize haben die Demokratische Republik Kongo und die Seychellen solche Tausche abgeschlossen. Gabun und Ecuador befinden sich in Verhandlungen, auch St. Lucia, Kenia, Gambia und Namibia sollen interessiert sein. Der Schuldentausch soll helfen, auf einen Streich drei Krisen zu lösen: die Überschuldung im globalen Süden, das Artensterben und die Erderhitzung.

Alle Krisen hängen miteinander zusammen

Alle drei Krisen hängen zusammen und verstärken sich gegenseitig: So machen die Länder des globalen Südens ihre Staatsschulden üblicherweise in US-Dollar, weil ihre eigene Währung nicht attraktiv für Investoren ist. Sie müssen die Schulden und Zinsen also auch in US-Dollar abbezahlen und die bekommt man am schnellsten, indem man Rohstoffe auf dem Weltmarkt verkauft.

Dafür fördern die Länder Öl, das als Benzin in kanadischen Autos verbrannt wird, oder bauen Soja auf gerodetem Regenwald an, um niedersächsische Kühe zu füttern – verschärfen also das Artensterben und die Erderhitzung. Von deren Folgen, etwa Stürmen und Dürren, sind hoch verschuldete Länder wiederum oft besonders stark betroffen. Belize wird zum Beispiel häufig von Hurrikanen getroffen. Mittel, um sich an den Klimawandel anzupassen, haben die Länder wiederum kaum – Das Geld geht für den Schuldendienst drauf.

Da scheint es auf den ersten Blick gut für alle Beteiligten, Schulden zu erlassen und dafür die Umsetzung von Natur- und Klimaschutzmaßnahmen festzulegen. Das kann die Errichtung eines Nationalparks sein, Investitionen in Erneuerbare Energien oder das Anlegen von Deichen. Selbst die Gläubiger haben davon etwas: In Klimaschutz zu investieren, sieht gut aus, und sie können sich sicherer sein, ihr Geld zurückzubekommen.

Denn in der Regel versprechen bei so einem Tausch große Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF), die neuen Schulden zu bezahlen, falls das Schuldnerland es nicht kann. Das ist normalerweise nicht der Fall.

Eine neokoloniale Haltung

In der Praxis hat das System aber durchaus seine Tücken. Kri­ti­ke­r*in­nen werfen NGOs wie TNC eine neokoloniale Haltung vor. Die sieht auch Alison Schultz, Doktorandin an der Universität Mannheim und Expertin für Debt for Nature Swaps: „Ihr, sagt der Globale Norden, sollt für Probleme zahlen, die wir verursacht haben, und zwar wie wir es vorschreiben.“

Dazu kommt eine eine historisch gewachsene Unwucht im System: Viele Rohstoffe, mit denen der Norden seinen Reichtum aufgebaut hat und gleichzeitig die Erde erhitzt, kommen aus den nun verschuldeten Ländern des Südens, die noch dazu am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Ak­ti­vis­t*in­nen für Klimagerechtigkeit fordern deswegen seit Jahren Reparationszahlungen des Globalen Nordens an den Globalen Süden.

Eine Unwucht gibt es auch beim Geld. Was für kleine Staaten gigantische Summen sind, können für die NGOs und Banken des Globalen Nordens Peanuts sein. „Da kann so ein Naturschutzkonzern ein Land quasi kaufen“, sagt Jörg Haas, Referent für Internationale Politik der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung.

Der Fond ist so reich, dass er Einfluss auf die Politik hat

Und genau das ist in Belize passiert: Der Umweltorganisation TNC gehören jetzt Schulden in Höhe von 20 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung des Landes. Von den mit der Schuldenstreichung freigewordenen 189 Millionen Dollar werden bis zu 180 Millionen über 20 Jahre in den neuen, von TNC als Gegenleistung geforderten Naturschutzfonds fließen.

Der Fonds wird dadurch so reich, dass er großen Einfluss auf die Politik Belizes haben wird. Und mit dem Geld kommt die Macht: TNC hat einen Sitz im Verwaltungsrat des Fonds und gestaltet die neue Raumordnung des Ozeans vor Belize mit, also wo Fi­sche­r*in­nen ihre Netze auswerfen dürfen und wo Tou­ris­t*in­nen tauchen können.

TNC ist sich dieser Kritik bewusst. Die Organisation betont immer wieder, dass bei den neuen Regeln, der Raumordnung und dem Fonds alle Beteiligten, also auch die lokale Bevölkerung und NGOs, miteinbezogen werden sollen. Aber wenn sich Belize nicht an die im Schuldentausch festgeschriebenen Bedingungen von TNC hält, ist das Land vertraglich gezwungen, mehr Geld in den Naturschutzfonds zu stecken. Geld, das dann vielleicht für Investitionen in Gesundheit und Bildung fehlt.

Viel Kontrolle über ein sehr kleines Land

Das klingt nach ziemlich viel Kontrolle einer US-amerikanischen Umweltorganisation über ein sehr kleines Land. Andere NGOs, wie die Koalition für faire Fischereivereinbarungen und Greenpeace, riefen deswegen kurz vor der Artenvielfaltskonferenz in Montreal im Dezember 2022 dazu auf, diese Form des Schuldentauschs nicht zu unterstützen. Sie warnen außerdem davor, dass diese Form von Tauschgeschäften zwischen NGOs und Staaten womöglich bestehende Klimaschutzzahlungen ersetzen könnten – das könnte in der Bilanz dem Klimaschutz mehr schaden als nutzen.

Das befürchtet auch der IWF: Hier hält man Zuschüsse in den meisten Fällen für sinnvoller als Swaps und kritisiert zudem, dass die Verhandlungen für die Schuldentausche in den meisten Fällen sehr zäh laufen. Die Schuldnerländer müssen über ausreichend gut ausgebildete Be­am­t*in­nen verfügen, um die Umsetzung der Natur- und Klimaschutzziele umsetzen und schließlich auch überprüfen zu können.

Hier sieht Eva Mayerhofer, EU-Biodiversitätsexpertin, das Problem: „Solche Swaps machen nur Sinn, wenn die zuständigen Behörden die Kapazitäten haben, die richtige Verteilung des Geldes sicherzustellen.“ 12 bis 18 Monate bräuchten die beteiligten Parteien dafür im Durchschnitt. Die Gläubiger haben an diesem Punkt konkreten Schuldenschnitten noch gar nicht zugestimmt.

Den Forderungen ihrer Gläubiger unterwerfen

Das große Problem bleibt: Wenn Staaten kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehen, haben sie oft keine andere Wahl, als sich den Forderungen ihrer Gläubiger zu unterwerfen. Schulden gegen Naturschutz zu tauschen, kann ihnen dann als beste unter schlechten Lösungen erscheinen.

Jörg Haas von der Böll-Stiftung hat deshalb gemeinsam mit Po­li­ti­ke­r*in­nen und Wis­sen­schaft­le­r*in­nen aus Pakistan, den USA und Großbritannien einen eigenen Plan für den Tausch von Schulden gegen Naturschutz veröffentlicht. Damit will er die schlechten Seiten eines solchen Tauschs so weit wie möglich loswerden.

Die Weltbank soll eine zentrale Institution aufsetzen, die den privaten Gläubigern garantiert, dass sie ihr Geld zurückbekommen. Das soll sie dazu bringen, einem Schuldenschnitt zuzustimmen. „Zucker für die Gläubiger“, nennt Haas das. Im Gegenzug legen die Schuldnerländer selbst fest, auf welche Weise sie ihr Land grün entwickeln wollen, und die Bürgschaftseinrichtung, der auch lokale Ak­teu­r*in­nen angehören, überprüft den Fortschritt.

Das Climate Vulnerable Forum, ein Zusammenschluss besonders von der Erderhitzung gefährdeter Staaten, hat diesem Plan bereits zugestimmt. Ihm gehören Länder wie Ghana, Bangladesch, Costa Rica und Kiribati an. Wer fehlt, sind die Mächtigen, die das Geld zu verteilen hätten: G20 und Weltbank.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.