Deutsche Waffenlieferungen: Übertriebene Kritik an Scholz
Mit der Nato abgestimmt, liefert Deutschland der Ukraine, was möglich ist. Trotzdem gibt es die dämliche Debatte über „Ladehemmungen“ des Kanzlers.
M an stelle sich vor, Bundeskanzler Olaf Scholz wäre vor einer Woche nach Kiew gereist, hätte den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski getroffen, wäre an ein paar Ruinen vorbeigelaufen und hätte sich dann vor den Kameras aufgebaut, um „Waffenlieferungen“ zu versprechen.
Das deutsche Publikum wäre begeistert gewesen. Niemand hätte gefragt, welche Waffen denn genau in die Ukraine gehen. Die Bilder hätten genügt: Kanzler ist in Kiew. Das ist kein abstraktes Szenario. Genauso hat sich der britische Premier Johnson inszeniert – aber Panzer liefert auch Großbritannien nicht.
Scholz hingegen hasst Symbolpolitik und bleibt in Berlin, um von dort aus stundenlang mit Selenski zu telefonieren. Deutschland und Großbritannien betreiben eine identische Ukrainepolitik. Mit der Nato abgestimmt wird in die Ukraine geliefert, was sich liefern lässt. Aber nur in Deutschland gibt es die dämliche Debatte, ob der Kanzler „Ladehemmungen“ habe.
Zum Teil ist Scholz selbst schuld. Es ist ehrenwert, auf Symbolpolitik zu verzichten. Aber wichtig wäre, klar zu kommunizieren. Doch leider liebt Scholz den verschachtelten Nebensatz und abwegige Umschreibungen. „Schwere Waffen“ heißen bei ihm „Waffen mit erheblicher Auswirkung“.
Westliche Panzer ungeeignet
Dabei ist es eigentlich ziemlich einfach. Um es ganz brutal zu sagen: Die Bundeswehr hat kaum etwas, was sie noch liefern könnte. Sie wurde in den vergangenen Jahrzehnten totgespart, das Material ist verschlissen. Für die Schützenpanzer Marder, von der Ukraine heiß begehrt, gibt es nicht genug Munition und Ersatzteile.
Die wenigen funktionsfähigen Exemplare, die übrig sind, braucht die Bundeswehr selbst. Schließlich reist Außenministerin Annalena Baerbock gerade durch das Baltikum, um dort militärische Unterstützung zu versprechen. Die Marder können aber nicht an zwei Orten gleichzeitig sein – in Litauen und in der Ukraine.
Zudem könnten die Ukrainer die Marder nicht bedienen, weil sie anders funktionieren als die sowjetischen Panzer, an denen die Soldaten ausgebildet wurden. Die Ukrainer bräuchten eine Einweisung von mehreren Wochen, was auch für alle anderen westlichen Panzer gilt. Genau deswegen liefert bis auf die Niederlande derzeit kein Nato-Staat Panzer aus eigener Herstellung.
Stattdessen schickt die Nato, was schnell einsetzbar ist. Dazu gehören unter anderem Haubitzen. Außerdem ist man global auf Einkaufstour, um alle sowjetischen Waffen zu erwerben, die noch irgendwo im Angebot sind. Die G7 sind bereit, 50 Milliarden Euro auszugeben – eine enorme Summe. Aber diese Nachricht ging unter, weil Scholz nicht klar kommunizieren kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“