Die Grünen im Abwärtstrend: Und jetzt?
Plagiate im Buch, ein geschönter Lebenslauf: Für Annalena Baerbock kommt es dicke. Wie konnte das passieren? Und wie will die Partei da wieder herausfinden?
E s gibt nach einem Erdrutsch diesen einen Moment, in dem es still wird. Die Steinbrocken, die eben noch vom Berg polterten, liegen im Tal, der Staub, der gerade in der Luft lag, senkt sich. Aufgeschreckte Vögel setzen sich in die Bäume – und das Ausmaß der Zerstörung wird sichtbar.
Ruhe, erst einmal. Wenn man so will, befinden sich die Grünen gerade in diesem Moment. Annalena Baerbock? Ist in Urlaub, noch die ganze Woche. Die Plagiatsvorwürfe gegen das Buch? Erst mal abgeräumt, Baerbock übte Selbstkritik, nach einigem Zögern.
Und nun? Bundesgeschäftsführer Michael Kellner holt am Telefon tief Luft. Atmet aus.
„Es wurden Fehler gemacht, keine Frage.“
Welcher war der größte? Kellner schweigt ein paar Sekunden.
„Manöverkritik betreiben wir intern.“
Es geht abwärts mit den Grünen
Michael Kellner ist für den Wahlkampf der Grünen verantwortlich. In seiner Haut möchte man nicht stecken. Wie kommen sie nach all den Nackenschlägen wieder in die Offensive? Das Momentum der perfekten Kandidatinnenkür Mitte April, als alles möglich schien und die Grünen in Umfragen sogar die Union überholten, ist verspielt.
18 Prozent melden die Institute, Bild am Sonntag zählt gar nur 17. Armin Laschets Truppe liegt mit etwa 29 Prozent weit vorn. Die Grünen rangeln jetzt mit der SPD um den zweiten Platz. Aber richtig ist auch: 17 oder 18 Prozent, das wäre im Vergleich mit dem Wahlergebnis von 2017 immer noch eine Verdopplung. Und Klimaschutz, das grüne Kernthema, bewegt die Gesellschaft wie nie. „Bis zur Wahl sind es noch elf Wochen, die wir nutzen werden“, sagt Kellner. „Wir werden weiter Tacheles reden und angriffslustig sein, ohne agressiv oder persönlich zu werden.“
Aber wie? Alles ist ja anders. Der grüne Wahlkampf basierte auf drei Erzählungen, die Annalena Baerbock und ihr Co-Chef Robert Habeck persönlich bewarben. Wir sind die seriöse Alternative zu den Regierungsparteien. Wir treten mit einer frischen, integeren und dynamischen Frau an. Wir kämpfen erstmals in der Geschichte um Platz eins und fordern die Union heraus.
Böll-Stipendiatin:
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat die parteinahe Heinrich-Böll-Stiftung darum gebeten, einen „nunmehr knapp zehn Jahre zurückliegenden Sachverhalt“ im Zusammenhang mit einem damaligen Promotionsstipendium der Stiftung „noch einmal zu betrachten“. Der Tagesspiegel hatte berichtet, dass Baerbock von April 2009 bis Dezember 2012 als Promotionsstipendiatin der Böll-Stiftung eine Unterstützung von mehr als 40.000 Euro erhalten habe. Die Doktorarbeit hatte sie nicht abgeschlossen. Nach einem Bild-Bericht untersagt eine Richtlinie die Vergabe eines Stipendiums, wenn die zu fördernde Person einer „Erwerbstätigkeit von mehr als einem Achtel der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit“ nachgeht. Eine Sprecherin der Grünen verwies darauf, dass Baerbock damals kein Gehalt bekommen habe.
Buch bekommt Quellen:
Nach den Plagiatsvorwürfen wird Baerbocks Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ nun mit zusätzlichen Quellenangaben versehen. „In Absprache mit der Autorin werden wir in einer möglichen nächsten Auflage sowie zum nächstmöglichen Zeitpunkt im E-Book zusätzliche Quellenangaben im Buch ergänzen“, teilte eine Sprecherin des Ullstein-Verlags am Freitag mit. (taz, dpa)
All das ist in den vergangenen Wochen spektakulär implodiert. Die integere Frau wollte größer scheinen, als sie ist. Platz eins ist erst mal perdu. Und das Handwerk, äh, nun ja. Zweifellos sind Baerbocks Fehler Kleinigkeiten, ob es die zu spät gemeldeten Nebeneinkünfte, der gestylte Lebenslauf oder die Copy-and-paste-Stellen in ihrem Buch sind. Aber ihre politische Wirkung ist groß, weil sie auf den Markenkern der Grünen zielen: auf die Glaubwürdigkeit.
„Da wusste die eine Hand nicht, was die andere tut.“
Ratlos beobachten Profis das grüne Stolperfestival. Der Politikberater Frank Stauss sagte in einem Interview, er schaue „mit einem gehörigen handwerklichen Entsetzen auf die grüne Kampagne“. Auch Grüne schütteln den Kopf, intern wird munter Fehlerexegese betrieben. Er frage sich schon, ob ein unter großem Zeitdruck geschriebenes PR-Buch wirklich hätte sein müssen, sagt einer in der Fraktion. Die Sicherheitschecks, sagt eine andere, seien nicht ausreichend gewesen, weder beim Buch noch beim Lebenslauf. „Da wusste die eine Hand nicht, was die andere tut.“
Aber am Ende rätseln dann doch alle, wie das eigentlich passieren konnte. Es bleibt eine gewisse Fassungslosigkeit.
Annalena Baerbock war für viele Deutsche ein unbeschriebenes Blatt. Nun ist das Erste, was sie von der Kanzlerkandidatin mitbekommen, eine Reihe von Patzern. Die kann es nicht, könnte hängen bleiben, und auch: Ihr Team kann es nicht. Auch die grüne Krisenkommunikation war eine Katastrophe. Gefragt, ob die Grünen in den vergangenen zwei Wochen nicht eher wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen gewirkt hätten als wie eine Kanzlerinnenpartei, schweigen wichtige Grüne – und widersprechen nicht.
Als der österreichische Plagiatsjäger Stefan Weber vor zwei Wochen fünf angeblich kopierte Textstellen aus Baerbocks Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ in seinem Blog veröffentlichte, reagierte die Grünen-Spitze hart. Das sei Rufmord, hieß es, der Mann sei bösartig. Kellner rief die Basis per Rundmail zur Solidarität mit Baerbock auf. Grüne gifteten auf Twitter gegen die Medien, unterstellten eine Kampagne.
Die Partei, die die Mitte der Gesellschaft versöhnlich und vernünftig ansprechen will, stand mit verschränkten Armen in der Trotzecke. Solche Reflexe waren schon Anfang Juni in der Benzinpreisdebatte zu beobachten. Auch damals wiesen Grüne genervt darauf hin, dass die Öffentlichkeit ihre guten Ideen nicht richtig verstehe, dass die Medien verkürzt berichteten.
Union weit vorn:
SPD und Grüne liegen einer aktuellen Insa-Umfrage zufolge in der Wählergunst gleichauf. Nach dem von Bild am Sonntag veröffentlichten „Sonntagstrend“ kommen beide Parteien auf 17 Prozent. Damit verlieren die Grünen einen Punkt, die SPD hält ihren Wert der Vorwoche. Die Union bleibt bei 28 Prozent. Jeweils einen Punkt zulegen können die AfD auf 11 Prozent und die Linke auf 8 Prozent. Die FDP bleibt bei 12 Prozent.
Es war einmal:
Anfang Mai hatten die Grünen gegenüber der Union noch die Nase vorn. Nach einer Umfrage des ZDF- „Politbarometers“ erreichten die Grünen am 7. Mai einen Anteil von 26 Prozent, die CDU/CSU kam damals nur auf 25 Prozent. (afp, taz)
Gegen diese Bunkermentalität kämpfen Annalena Baerbock und Robert Habeck, seitdem sie vor gut drei Jahren Vorsitzende wurden. Unter Druck fällt es den Grünen schwer, das eigene Versprechen umzusetzen.
Und jetzt? Habeck versichert Baerbock seiner Solidarität und erklärt einen Wechsel der Spitzenkandidatin zum Spitzenkandidaten für „Kokolores“. Aber zugleich nimmt er indirekt Abstand von dem Ziel, dass die Grünen die Kanzlerin stellen werden, wenn er sagt, es gehe darum, „möglichst viel Einfluss in einer Regierung zu haben“. Das sei „ein nach oben offener Anspruch“.
Geschlossenheit bröckelt
Die viel gerühmte Geschlossenheit bröckelte angesichts der Plagiatsvorwürfe. In Welt, Bild und Zeit erschienen Texte, in denen neu hinzugekommene Berater für das Herumgeeiere verantwortlich gemacht wurden. Es geht vor allem um zwei Männer: Michael Scharfschwerdt, früher einmal Cem Özdemirs Büroleiter und inzwischen Politikberater, leitet Baerbocks Wahlkampftour. Andreas Kappler, der Pressesprecher der Fraktion, wechselte in die Parteizentrale, um im Wahlkampf zu unterstützen.
An der These ist vermutlich wenig dran, mehrere Insider dementieren sie jedenfalls entschieden. „Bei uns wird im Team entschieden“, heißt es. Entscheidend aber war etwas anderes: Plötzlich zeigten Grüne im Schutze der Anonymität mit dem Finger aufeinander, ein Verhalten, das unter Baerbock und Habeck ausgestorben schien. Alarmiert nahm die Grünen-Spitze solche Lästereien zur Kenntnis.
Nicht besser wurde die Krisenkommunikation dadurch, dass die Redaktion der TV-Sendung „Markus Lanz“ Anfang vergangener Woche nach einem Gesprächspartner für die Dienstagssendung suchte. Thema: Baerbocks Copy-and-paste-Problem. Die Anfrage wurde zwischen Geschäftsstelle und Fraktion hin- und hergereicht, wie eine heiße Kartoffel. 28 Grüne sagten ab, andere Termine, Urlaub, was man so sagt, wenn man keine Lust hat, den Kopf hinzuhalten.
Fraktionsvize Oliver Krischer sagte zu. Er wollte einen verunglückten Tweet, in dem er Armin Laschet wegen seiner Klimapolitik für Tote in Kanada verantwortlich gemacht hatte, erklären. Die Zusage wird er später bedauert haben. Lanz hielt ihm die Plagiatsfunde vor, ließ nicht locker, die Redaktion blendete eine Textstelle nach der anderen ein. Krischer redet sich bei dem Versuch, die Plagiate zu leugnen, um Kopf und Kragen.
Der Fraktionsvize sprach von „Halbsätzen“, „gewissen Parallelitäten“ oder „Fisselchen“, er wand sich, geriet ins Stottern. Gut 1,3 Millionen Deutsche schauten zu, auch viele Grüne, mit einer Mischung aus Mitleid und Entsetzen. Die Szenen könnte man als Lehrfilm für misslungene Krisenkommunikation verwenden. Krischer tat so, als sei der blaue Himmel rosa.
Man habe die Plagiatsvorwürfe anfangs unterschätzt, weil es nur wenige Stellen gewesen seien, heißt es heute in der Partei. Das Problem war ja, dass der Plagiatsjäger fast im Tagestakt neue Stellen nachlieferte, gerne via Bild-Zeitung – inzwischen sind es über 40. Ein wichtiger Grüner erklärt die anfängliche Überreaktion der Partei psychologisch. „Nach den wochenlangen schmutzigen Attacken auf Annalena gab es bei vielen das Bedürfnis, auch einmal zurückzuschlagen.“
Abrüstung ist angesagt
Viel zu spät rüstete die Grünen-Spitze rhetorisch ab. Am vergangenen Montag vermied es Kellner in der Pressekonferenz nach den Gremiensitzungen, das Wort „Rufmord“ zu wiederholen – obwohl er von einer Journalistin explizit darauf angesprochen wurde. Baerbock selbst meldete sich schließlich am Mittwoch aus dem Urlaub und gab der Süddeutschen Zeitung ein paar selbstkritische Sätze frei. „Rückblickend wäre es sicherlich besser gewesen, wenn ich doch mit einem Quellenverzeichnis gearbeitet hätte.“ Sie nehme die Kritik ernst.
Auch ein deutlicher Hinweis an die eigenen Leute fehlte nicht. Sie habe mit Habeck daran gearbeitet, über eine andere Ansprache und Haltung Gräben zu überwinden, sagte sie. Auch sie sei kurz wieder in alte Schützengräben gerutscht, aber ihr gehe es um das Gegenteil: „Die großen Zukunftsfragen offen und breit zu diskutieren, hart und klar in der Sache, aber fair im Ton und offen für Argumente.“ Und Habeck sagt dazu: „Wir sind gut damit gefahren, nicht eine kläffende Politik zu betreiben, sondern eine umarmende, eine einladende Politik zu formulieren.“
Bloß nicht in die alten Reflexe zurückfallen, bitte kein Freund-Feind-Denken mehr, lautet die Botschaft. Die Vorwürfe gegen Baerbock tun deshalb so weh, weil sie ihr Image konterkarieren. Baerbock galt als penibel arbeitender, stets bestens vorbereiteter Kontrollfreak, die eine Abgeordnete auch nachts um eins anruft, um eine Detailfrage zu einem völkerrechtlichen Vertrag zu stellen. Dieses Bild verkauften die Grünen selbst, vielleicht zu ungebrochen, wie mancher heute einräumt.
Die Liste der Gründe für die Fehleinschätzung
Man fragt sich ja schon, warum Sicherheitschecks beim Lebenslauf und beim Buch, die eigentlich zum kleinen Einmaleins der Strategieplanung gehören, ausblieben. Warum die Grünen, die sich drei Jahre lang so perfekt inszenierten, dass führende CDU-Politiker neidisch wurden, plötzlich solch peinliche Fehler machen. Dafür gibt es drei Gründe, die aber auch nicht alles und in Gänze erklären.
Erstens: Baerbock hatte auch intern das Streberinnenimage, sich stets um alles zu kümmern. Keiner konnte sich offenbar vorstellen, dass die perfekte Annalena solche Fehler in die eigene Vita und ins eigene Buch einbaut.
Zweitens: Die Struktur der Grünen ist fragiler, als es der Höhenflug in den Umfragen glauben machen lässt. Der grüne Wahlkampfetat beträgt rund 12 Millionen Euro, die CDU nimmt rund 20 Millionen in die Hand. Auch personell sind die Grünen schlechter aufgestellt.
Das kleine Team der Grünen war durch die Brutalität des Wahlkampfs schlicht überfordert, auch wenn Kellner das freundlicher formuliert. Zum Teil seien Kleinigkeiten massiv aufgebauscht und Debatten hochgejazzt worden, sagt er. „Das bindet Ressourcen. Wir sind immer noch der Underdog.“
Entscheidend für die Patzer könnte aber ein dritter Grund sein. Die Grünen segelten drei Jahre lang auf Wolke sieben. Blendende Umfragewerte, große Wahlerfolge, freundliche Porträts über die beiden Vorsitzenden, die so ganz anders daherkamen als die Konkurrenz. Weite Teile der Partei glaubten, von allen gemocht zu werden. Auch die Wirtschaft schien ja endlich ergrünt.
Während Lobbyverbände im Jahr 2013 noch erbittert gegen das linke Steuerprogramm schossen, schienen sie die Grünen nun zu lieben. Baerbock bekam beim Tag der deutschen Industrie warmen Applaus, Führungskräfte von Unternehmen gaben in Umfragen an, die Grüne als Kanzlerin zu bevorzugen. Aus dieser Wohlfühlstimmung heraus liefen die Grünen in einen Wahlkampf, in dem sie mit Angriffen auf die Inhalte gerechnet hatten, wie es ein gut vernetzter Mann sagt. Da fühlte sich die Grünen-Spitze bestens vorbereitet, schließlich hatte sie alle linken Änderungswünsche der Basis erfolgreich abgewehrt.
Leider zielten die Gegner auf die Persönlichkeit von Baerbock, mit einer Wucht, die manchmal unfair war. Das kam für die Grünen überraschend.
Auch die aggressive Abwehr von Teilen der Wirtschaft erwischte zumindest Teile der Partei unvorbereitet. Ein Beispiel: Die Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft schaltete Mitte Juni, kurz vor dem Parteitag, eine Anzeige in wichtigen Medien. Annalena Baerbock stand da als ein weiblicher Moses, Steintafeln mit zehn Verboten in beiden Armen. Auf den Tafeln standen offensichtliche Lügen über das Grünen-Programm, etwa „Du darfst kein Verbrenner-Auto fahren“. In Wahrheit will die Partei den Autokonzernen erst ab 2030 die Produktion von emissionsfreien Neuwagen vorschreiben.
Zurück in die Offensive kommen
Dieter Janecek, der industriepolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, hält die Anzeige für „ein Eigentor“. „Sie begeisterte vielleicht ein paar Männer in manchen Verbänden, aber modern denkende Wirtschaftsvertreter haben sich dafür geschämt. Bei mir hat sich sogar einer entschuldigt.“ Janecek ist trotz solcher Attacken optimistisch. „Wir sind in der Wirtschaft nah an einer grünen Hegemonie“, sagt er. Die meisten UnternehmerInnen sähen, dass ökologisches Wirtschaften nötig sei. „Es gibt aber in einigen Verbänden auch noch Leute, die oldschool denken.“ Ihr Widerstand gegen Veränderung sei aggressiv.
Die Grünen wollen jetzt wieder in die Offensive. Es gehe darum, „Ruhe reinzubringen“, heißt es, eine „neue Erzählung“ zu entwickeln. Habeck kam am Wochenende aus dem Urlaub zurück und startet nun eine Küstentour in Schleswig-Holstein. Kellner stellt an diesem Montag die Motive für die Plakatkampagne vor. Sie setze auf die Veränderungsbereitschaft in der Gesellschaft, die spürbar und messbar sei, sagt er. „Sie wird frisch und optimistisch sein, mit einem klaren Fokus auf die großen Herausforderungen unserer Zeit.“
Neu sei, betont Kellner, dass aktiv auch die „Generation 60 plus“ angesprochen werde. Traditionell sind die Grünen in jüngeren Wählerkohorten stark – das wollen sie ändern.
Entscheidend wird aber sein, wie sie mit einem Wahlkampf umgehen, in dem Nebensächlichkeiten strategisch hochgezogen werden. Flood the Arena with Shit, werfe mit Unrat, damit etwas hängen bleibt. Viele Grüne fühlen sich angesichts des Gebarens der gegnerischen Generalsekretäre Paul Ziemiak (CDU) und Markus Blume (CSU) an diese Strategie erinnert, die man aus US-amerikanischen Wahlkämpfen kennt.
Franziska Brantner (Grüne) zur Reaktion ihrer Partei
Franziska Brantner, die Europaexpertin der Fraktion, pflegt Kontakte zu DemokratInnen in den USA. „Mit diesen Angriffen müssen wir klug umgehen“, sagt sie. „Auch mit Schmutz werfen geht nicht – und detailliert die eigenen Rezepte erklären, funktioniert nur bedingt.“ Mit Blick auf den berühmten Satz von Michelle Obama sagt sie weiter: „Mit ‚When they go low, we go high‘ kommen wir in den Himmel, aber nicht an die Macht.“ Ihr Fazit lautet: Die Grünen sollten plakativ Themen setzen, starke Bilder schaffen, um das Narrativ der Gegner zu entkräften.
„Wir sind das Team Veränderung, Laschet ist das Team Stillstand“, sagt auch Janecek. Die Grünen neigten manchmal dazu, alles bis ins letzte Detail erklären zu wollen. „Damit dringt man aber schwer durch.“ Auch er plädiert für plakative Bilder.
An dieser Überlegung ist etwas dran. Manchmal sind die Grünen zu sehr in dem korrekten, aber langweiligen Modus, die Details des Energiegeldes genau zu erklären. In der Lanz-Sendung, in der sich Krischer blamierte, saß auch der Strategieberater Julius van de Laar, der bei Obama-Wahlkämpfen mitgemacht hat. Eine Regel der Krisenkommunikation sei, „wechsle das Thema“, sagte er. Er riet Baerbock, selbst Events zu schaffen. In das von Hitze geplagte Kanada zu fliegen, zu Waldbränden in Kalifornien, zu Start-ups, die gegen die Kimakrise arbeiten.
Natürlich würde die Bild-Zeitung der Grünen sofort den CO2-Ausstoß einer solchen Reise vorrechnen, aber van de Laars Grundthese ist nicht falsch. Im Wahlkampf 2013 scheiterte die Partei auch an ihrer Detailwut, als sie der mäßig interessierten Öffentlichkeit kleinteilig vorrechnete, dass ihr Steuerkonzept die Mehrheit entlaste. Das stimmte in der Sache, aber keiner kapierte es.
Vielleicht müssen die Grünen amerikanischer werden, um Punkte zu machen. Vielleicht müsste sich Baerbock mal mit dem grün wählenden Formel-1-Star Sebastian Vettel in ein E-Rennauto setzen und um den Nürburgring brettern, um zu zeigen, dass E-Mobilität Spaß macht. Vielleicht müssen Grüne Dinge tun, für die sie sich stets zu fein waren.
Industriepolitiker Janecek glaubt: „Annalena kann diese ganze Sache sogar nutzen. Sie beweist gerade, dass sie im Sturm stehen bleibt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“