Grünen wollen Priorität für Klimaschutz: Veto fürs Klima
Die Grünen fordern ein Klimaschutzministerium – inklusive Vetorecht. Dass sie mit der Idee in den Wahlkampf ziehen, dürfte auch taktische Gründe haben.
Plötzlich gibt es ein polarisierendes Thema in diesem seltsam dahinplätschernden Wahlkampf. Die Grünen fordern ein Klimaschutzministerium mit echter Macht. Das neue Haus soll ein Vetorecht gegenüber anderen Ressorts bekommen. Es soll alle Kabinettsvorlagen mitzeichnen dürfen und Gesetze darauf prüfen, ob sie dem Pariser Klimaschutzziel genügen. Das wäre etwas Neues, Klimaschutz würde zur Priorität der Regierung.
Robert Habeck, Grünen-Chef
Doch allein das scheint eine Provokation zu sein: Die Wettbewerber der Grünen stimmten einen Empörungschor an. „Klimaschutz ist Kanzlerjob“, sagte Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU). Alle Kabinettsmitglieder müssten daran mitwirken und eine künftige Regierung brauche „nicht Veto, sondern Turbo“. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz argumentierte ähnlich. Klimaschutz, sagte er, werde im Kanzleramt vorangetrieben. Und FDP-Chef Christian Lindner witterte gar „linke Vorstellungen des Gesellschaftsumbaus“.
Ist die Idee nur ein Wahlkampfgag? Oder spricht die Aufregung dafür, dass die Grünen einen wunden Punkt treffen? Klar ist: Ein Klimaschutzministerium mit Vetorecht wäre machbar, obwohl viele das Gegenteil behaupten. Und es könnte das Jahrhundertthema, das die Große Koalition zu sehr vernachlässigt hat, deutlich stärken. Ein solches Ministerium stelle sicher, „dass alle anderen Ressorts ihrer Verantwortung nachkommen“, lobte zum Beispiel Henrik Maatsch, Klimaexperte beim WWF Deutschland.
Die Grünen sehen es so: „Nach aktuellen Prognosen wird Deutschland in diesem Jahr, dem Jahr der Klimakonferenz in Glasgow, sein Klimaziel deutlich verfehlen“, sagte Grünen-Chef Robert Habeck der taz. Deutschland sei beim Klimaschutz nicht auf Kurs, „Es liegt auf der Hand, dass wir nicht einfach so weitermachen können wie bisher.“ Es brauche deshalb institutionelle Vorkehrungen innerhalb der neuen Regierung, „damit Klimaschutz im Alltag nicht weiter hinten runterfällt.“ Das neue Klimaschutzministerium, sagte Habeck, solle ein „Querschnittsministerium“ sein. Das Vetorecht könnte sich an dem des Finanzministers orientieren.
Ausdrücklicher Widerspruch soll einfacher werden
Olaf Scholz (SPD) hat wie seine Vorgänger bei haushaltsrelevanten Fragen eine stärkere Position als andere Minister. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung regelt diese Machtverteilung im Kabinett. So heißt es zum Einspruchsrecht des Finanzministers in Paragraph 26: „Beschließt die Bundesregierung in einer Frage von finanzieller Bedeutung gegen oder ohne die Stimme des Bundesministers der Finanzen, so kann dieser gegen den Beschluss ausdrücklich Widerspruch erheben.“ Werde Widerspruch erhoben, so sei über die Angelegenheit in einer weiteren Sitzung erneut abzustimmen.
In jener kann der Finanzminister überstimmt werden, wenn die Mehrheit der anderen Minister einschließlich des oder der Bundeskanzlerin anderer Meinung ist. Streng genommen geht es also nicht um ein hartes Veto, sondern um einen Einspruch mit aufschiebender Wirkung. Die Geschäftsordnung billigt diesen auch dem Justizminister und dem Innenminister zu, wenn eine Maßnahme aus ihrer Sicht mit geltendem Recht unvereinbar ist. Obwohl kein Minister Gesetze auf eigene Faust stoppen kann, entfaltet allein die Drohung Wirkung.
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Ohne Scholz geht im Kabinett nichts. In der Praxis setzen sich alle mit ihm ins Benehmen, wenn sie teure Ideen haben. Auch in der öffentlichen Debatte garantiert die Sonderposition den MinisterInnen Aufmerksamkeit. Ein Beispiel: Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erinnerte im Januar im Kampf gegen die Coronapandemie daran, dass Grundrechte nur mit guter Begründung eingeschränkt werden dürften – und dass sie etwa Ausgangssperren für kein adäquates Mittel hielt.
Ein ökologisches Vetorecht eines Klimaschutzministers könnte so ähnlich aussehen. Er oder sie könnte bei Gesetzen, die nicht konform mit dem Paris-Ziel sind, mehr Druck ausüben. In Gesetzentwürfen der Regierung, in denen stets die Auswirkung auf den Haushalt beschrieben wird, stünden dann eben auch die Folgen für das Paris-Ziel. Böse Streitigkeiten wären sicher eher selten. Eine Koalition verständigt sich ja vorab auf Grundlinien. Strittige Abstimmungen kommen im Kabinett kaum vor, weil man ein harmonisches Bild liefern will. Entweder einheitlich oder lieber verschieben, lautet meist das Motto.
Klimaministerium soll Gesetzesentwürfe „reparieren“
Robert Habeck schwebt in dem neuen Ministerium ein „Klima-TÜV“ vor. Das Haus wäre also personell so gut ausgestattet, dass es Gesetzentwürfe anderer Ressorts prüfen und mit eigenen Ideen „reparieren“ könnte. Beispiel: Wenn das Entwicklungsministerium in Nigeria den Straßenbau fördert, müsste es auch in ökologische Ausgleichsmaßnahmen – Radwege, Aufforstungen – investieren. Im grünen Konzept findet sich auch der hübsche PR-Begriff einer „Klima-Taskforce“. Heißt übersetzt: Staatssekretäre und leitende Beamte sollen in den ersten 100 Tagen einer Regierung im Wochenrhythmus tagen und Prozesse beschleunigen.
Wie aber lässt sich bei einem Gesetz einschätzen, ob es Paris-kompatibel ist? Da tut sich eine Grauzone auf. Ein höherer Mindestlohn könnte ja streng genommen sehr vielen Menschen klimaschädlichen Konsum ermöglichen, würde aber von einem grünen Klimaschutzminister sicher durchgewinkt. Die Idee ziele im engeren Sinne auf Klimaschutz, heißt es bei den Grünen. Interveniert würde etwa, wenn bei der Plastikherstellung eine Subventionierung von Erdöl geplant sei.
Dabei ist die Idee nicht neu, ökologische Politik institutionell zu stärken. So forderte der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung bereits 2019 ein ökologisches Vetorecht des Umweltministeriums. Die ExpertInnen begründeten ihre Forderung mit einer deprimierenden Analyse. „Ein Großteil aller Umweltziele der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie werden voraussichtlich verfehlt“, hieß es in ihrem Gutachten. Beim Energieverbrauch, dem Flächenfraß oder der Belastung von Gewässern bleibe Deutschland weit hinter den eigenen Zielen zurück – und beim Klimaschutz, der Fischerei oder bei Schadstoffen sehe es kaum besser aus.
Selbst in der CDU warb ein konservativer Öko früh für ein solches Vetorecht. Der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer forderte 1988 ein umweltpolitisches Veto gegen alle Bonner Kabinettsentscheidungen. Dieses Vetorecht solle das „ökologische Kapital“ eines industrialisierten Landes wie der Bundesrepublik genauso bewahren, wie die Einspruchsmöglichkeit des Finanzministers das Finanzkapital schütze, argumentierte Töpfer.
Ökologie war für Jahrzehnte das Stiefkind des Kabinetts. Andere Ministerien behandeln das Umweltministerium bis heute wie den nervenden Öko-Onkel, den man im Zweifel lieber ignoriert. Es ist ein vergleichsweise machtloses Haus mit wenig Mitarbeitern, wenig Geld und wenig Durchgriffsrechten auf die für Klimaschutz relevanten Themen. Die wichtigen Entscheidungen fällen die Minister, die für Wirtschaft, Energie, Verkehr sowie fürs Bauen und die Landwirtschaft zuständig sind. Also etwa Horst Seehofer, Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat, oder Verkehrsminister Andreas Scheuer (beide CSU).
Erste Schritte in Richtung Klimafokus sind getan
Ohne Zweifel hat das im Juni neu beschlossene Klimaschutzgesetz das Umweltministerium gestärkt. Nun sind für die einzelnen Ressorts verbindliche Ziele und sinkende Treibhausgas-Budgets vorgeschrieben. Aber ein mächtiges Klimaschutzministerium wäre dennoch ein Fortschritt, das Zuständigkeiten bündeln würde. Bei den Grünen kursieren seit Längerem Ideen, wie das aussehen könnte.
Baerbock gab im Dezember 2018 in einem taz-Interview Einblicke in ihre Vorstellungen. „Bisher steht das Umweltressort am Rand“, analysierte sie damals. „Es muss zu einem Machtzentrum werden, zuständig auch für Energie.“ Die für Energie zuständige Abteilung würde also aus dem Wirtschaftsministerium herausgelöst und dem Umweltministerium zugeschlagen. Denkbar wäre sogar, Landwirtschaft oder Bauen und Wohnen anzudocken, weitere relevante Klimafaktoren. Am Ende könnte also ein Superministerium für Klimaschutz, Energie und Umwelt entstehen.
Dass die Grünen die Idee nun hochziehen, hat noch eine andere Ebene, nämlich eine taktische. Laschet und Scholz haben ja durchaus einen Punkt, wenn sie argumentieren, dass Klimaschutz ins Kanzleramt gehört. Nur dort wäre er als echtes Querschnittsthema verankert. Man kann den grünen Vorstoß deshalb als zartes Signal verstehen, dass sie selbst nicht mehr recht daran glauben, am Ende die Kanzlerin zu stellen. In Umfragen liegen sie zwischen 18 und 22 Prozent, deutlich hinter der Union. Mit einem grün geführten Klimaschutzministerium wäre auch unter Armin Laschet sichergestellt, dass das Thema nicht hinten runterfällt.
Robert Habeck hat sich in die Finanzpolitik eingearbeitet – und liebäugelt offenbar damit, Nachfolger von Olaf Scholz zu werden. Annalena Baerbock arbeitet inhaltlich seit Jahren zu Klimaschutz und Kohleausstieg. Das neue Superministerium wäre wie für sie geschaffen. Vielleicht wird langsam klarer, wie die grüne Arbeitsteilung in einem Kabinett aussähe.
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