Krieg in der Ukraine: Die Ukraine muss gewinnen

Waffen für die Ukraine zurückzuhalten verlängert den Krieg. Erst eine militärische Niederlage Russlands eröffnet den Weg zu Frieden für Europa.

Ein Plakat mit dem gesicht von Putin und der Aufschrift "Stop Putin"

Athen, 19. März: Stop-Putin-Plakat bei einer Demo gegen die russische Invasion in der Ukraine Foto: Yorgos Karahalis/ap

Deutschlands Beschluss, die Ukraine auch mit schweren Waffen zu unterstützen, sorgt für heftigen Streit. Zwei Gegenargumente fallen oft: eine Ausweitung von Waffenlieferungen stelle eine Eskalation des Krieges dar, bis hin zum Risiko eines russischen Atomschlages; und es wäre besser, Chancen auf eine Verhandlungslösung auszuloten.

Jenseits aller Polemik dürften beide Seiten in diesem Disput im Wunsch vereint sein, dass der Krieg endet und dass es keine Eskalation gibt. Helfen schwere Waffen für die Ukraine, das zu erreichen, oder erschweren sie das? In beiden Fällen sprechen die Fakten und die Erfahrung gegen die Kritiker der Waffenlieferungen.

Das Putin-Regime lässt Konflikte eskalieren, wenn die Gegenseite stillhält. Es hält sich zurück, sobald die Gegenseite Kontra gibt. Moskau erklärt die Nato-Osterweiterung zum großen Übel, das einen dritten Weltkrieg herbeiführen werde – aber wer tatsächlich der Nato beitritt, also die baltischen Staaten, wird in Ruhe gelassen; wer hingegen nicht beitreten darf, also Georgien und die Ukraine, wird mit Gewalt überzogen. Ebenso hat Moskau westliche Waffenlieferungen an die Ukraine als westlichen Kriegseintritt bewertet und mit Gegenschlägen gedroht; aber diese Drohung wird nicht wahrgemacht, obwohl die Lieferungen ausgeweitet werden.

Letztendlich scheint Russland der alten Logik der nuklearen Abschreckung treu zu bleiben, die in der Ära des Ost-West-Konflikts einen „heißen Krieg“ in Europa verhinderte. Im „Gleichgewicht des Schreckens“ wussten Ost und West: Wenn ich den roten Knopf drücke, gibt es einen Gegenschlag und auch ich bin tot.

Das war die Grundlage für eine zwar waffenstarrende, aber friedliche Koexistenz, auf der die Bausteine der späteren gesamteuropäischen Friedensordnung errichtet werden konnten, von den KSZE-Verpflichtungen zur Anerkennung der Souveränität und Bündnisfreiheit aller Staaten bis hin zum Atomwaffenverzicht der Ukraine im Gegenzug für die Garantie ihrer territorialen Unversehrtheit. Putins Revanchismus hat diese ganze Sicherheitsarchitektur über den Haufen geworfen und führt jetzt Europa zurück in die Ära, in der nur noch die gegenseitige Abschreckung den großen Krieg verhindert.

Das „Gleichgewicht des Schreckens“ ist intakt. Aber es muss eben auch aufrechterhalten werden

Das „Gleichgewicht des Schreckens“ zwischen Russland und dem Westen ist intakt. Aber es muss eben auch aufrechterhalten werden. In Moskau wird zwar täglich mit Atomraketen auf Berlin oder London gedroht, aber als Reaktion darauf die Ukraine fallenzulassen wäre falsch: dann wäre die Drohung erfolgreich gewesen, weitere Drohungen würden folgen.

Ebenso würde die Hinnahme eines russischen Sieges in der Ukraine den russischen Überfall im Nachhinein legitimieren, weitere Überfälle auf andere Länder würden folgen. Gegen einen Gegner wie Putin, der immer austestet, wie weit er gehen kann, hilft nicht Zurückweichen, sondern nur Standhalten. Verstärkte Waffenlieferungen des Westens an Kiew, ohne selbst direkt militärisch einzugreifen und damit zur Kriegspartei zu werden, eskalieren nicht den Krieg – sie sind der einzige Weg, ihn einzudämmen und schließlich auch zu beenden.

Auf dem Verhandlungsweg ist der Krieg nicht zu beenden. Wäre Russland an einem Verhandlungsfrieden mit der Ukraine interessiert, hätte es den Krieg gar nicht erst angefangen. Vor dem 24. Februar bot die Ukraine wiederholt Gespräche an, Russland lehnte ab. Die russische Kriegsbegründung ist der Wunsch, die Ukraine als Staat zu vernichten, ihre Identität auszulöschen, ihre Bevölkerung zu unterjochen.

Mit den Massakern in Butscha und anderswo hat Russland gezeigt, was es mit dem Land vorhat. Wenn die Ukraine die Waffen streckt oder auch nur einen Teil ihres Staatsgebietes abtritt, gibt es keinen Frieden, sondern Terror ohne Ende. Solange Russlands Kriegsziel in der Zerschlagung der Ukraine besteht, ist eine Verhandlungslösung nicht möglich.

Es ist darüber hinaus geradezu abstrus, wenn deutsche Politiker sich einerseits gegen jedes militärische Engagement in der Ukraine sträuben, andererseits aber „diplomatische Lösungen“ entwerfen wollen. Es können nur diejenigen miteinander verhandeln, die vorher gegeneinander gekämpft haben. Wer sich aus dem Krieg heraushält, kann im Frieden nicht mitreden.

Ein Kriegsende dürfte nur mit Russlands komplettem Rückzug auf seine international anerkannten Grenzen möglich sein, eine Friedensvereinbarung nur mit einem international überwachten Gewaltverzicht. Ob das mit der aktuellen russischen Regierung geht, darf bezweifelt werden. Mit Putin reden ist zwecklos, da er seinen Gesprächspartnern ins Gesicht lügt.

Damit es Frieden geben kann, muss sich die Ukraine militärisch durchsetzen. Das ist durchaus denkbar. Russland hat zwar Europas größte Armee, die Ukraine aber die zweitgrößte, und die ukrainischen Verteidiger kämpfen engagiert um ihr Überleben gegen demotivierte Invasoren. Die russischen Offensiven erscheinen zunehmend kraftlos, Moskau bietet weder eine militärische noch eine politische Perspektive.

Viele Deutsche mythologisieren Russland als Supermacht, weil sie territoriale Ausdehnung mit Macht verwechseln. In Wahrheit situiert sich die russische Volkswirtschaft irgendwo auf dem Niveau von Südkorea, und wer kann, verlässt längst das sinkende Schiff. Russland hat nicht die Mittel, diesen Krieg zu gewinnen. Es kann nur um sich schlagen.

Um Menschenleben zu retten, muss Russlands Niederlage gegen die Ukraine weiter beschleunigt werden. Das eröffnet den Weg zu einem Verhandlungsprozess, der eine neue friedliche Koexistenz in Europa begründen kann – zwischen Russland und der Ukraine als Anfang. Die endgültige Überwindung des russischen Imperialismus ist die große unerledigte Aufgabe Europas aus dem 20. Jahrhundert, um eine Friedensordnung für das 21. Jahrhundert zu begründen. Die Staaten Europas müssen der Ukraine dabei helfen.

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Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

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