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Barbara Falk
[Re]: 1) "In Estland käme niemand auf die Idee..."
Meinen Sie, das sei nur in Estland so? Dann machen Sie doch mal eine Umfrage in Charkiw oder Odesa und fragen die überwiegend russischsprachigen Ukrainer dort, ob sie "Heim ins Reich" wollen.
"Und weshalb sollte die Krim nicht russisch sein, wird sie doch mehrheitlich von Russen bewohnt"?
Die Krim war bis zu ihrer Besatzung 2014 überwiegend von russischsprachigen Ukrainern bewohnt, die beim gesamtukrainischen Referendum 1991, zusammen mit ihren tatarischen und ukrainischen Mitbürgern, zu 54% folgende Frage mit "Ja" beantwortet haben: " Unterstützen Sie die Unabhängigkeitserklärung der Ukraine?". Also ist ihre Frage völkerrechtlich geklärt: Die Krim ist deshalb nicht russisch, weil die Einwohner sich in einem international, auch von Russland anerkannten, Referendum mehrheitlich dafür ausgesprochen haben, Teil der unabhängigen Ukraine zu werden.
Putin hat die Ukraine 2014 nicht wegen "kultureller Konflikten" angegriffen, sondern um zu verhindern, dass sich dieses Land mit seinen großen russischsprachigen Bevölkerungsteilen auf den Weg nach Europa macht und dabei Erfolg hat.
zum BeitragBarbara Falk
Was vor den Augen der Weltöffentlichkeit mit Nawalny gemacht wird, ist einfach nur ungeheuerlich. Niemand im System der Strafvollzugsbehörde würde es wagen, aus eigenem Antrieb einen prominenten Gefangenen so zu behandeln. So wie Nawalny nicht wegen des russischen Strafgesetzbuches, sondern ausschließlich aufgrund Putins persönlicher Entscheidung am Flughafen gefangengenommen und nach zwei bizarren Schauprozessen weggesperrt wurde (juristische Begriffe wie „Verhaftung“ und „Urteil“ lasse bewusst ich weg, weil sie nicht adäquat sind), so hat Putin nun offenbar entschieden, seinem gefährlichsten politischen Gegner demonstrativ den Rest zu geben.
Für Nawalny ist das eine schlimme Situation, weil er vielleicht sein Leben verliert. Die gute Nachricht ist, dass Putin, wenn er jetzt Rache nimmt, sich von jeglicher politischen Rationalität verabschiedet. Was sein Ende in greifbare Nähe rückt. Ein rationales Motiv könnten allenfalls sein, dass er hofft, Nawalny könnte sich, wenn er nur genug körperlich geschädigt wird, auf einen Deal einlassen und bspw. gegen Freilassung das Land verlassen.
Aber das wird nicht passieren. Ebenso wenig wird die Opposition ohne Nawalny ihre Arbeit einstellen oder an Reichweite verlieren. Im Gegenteil.
Wenn man die aktuelle Umfrage des Lewada-Zentrums anschaut, halten 18 % aller Befragten die Verurteilung Nawalnys vom Februar für Unrecht und finden, dass er freigelassen werden sollte. (29% halten das Urteil für Unrecht, und davon 61% sind für die Freilassung).
Quelle: meduza.io/news/202...omu-nespravedlivym
In absolute Zahlen umgesetzt sind das 19 Mio. Wahlbürger. Was sich nicht (sofort) in Protest umsetzt, und auch nicht in Nawalny-Wählerschaft. Aber dennoch: Meint Putin etwa, er könne diese Menschen mit seinem zynischen Gehabe wieder auf seine Seite ziehen? Oder hält er 19 Mio. für „wenig“ und „handhabbar“? Dann wird ihm der Laden bald um die Ohren fliegen.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: So ganz kann ich ihre Rückfragen/Gegenargumente nicht nachvollziehen.
Natürlich nützen der Ukraine militärische Konflikt nicht. Drum hat sie ja noch nie welche angefangen.
Um meinen Standpunkt zu verdeutlichen:
Die Krim ist nicht russisch, sondern von Russland annektiertes Gebiet. Russland als militärischer Besatzer ist völkerrechtlich für die Sicherheit und Versorgung der dort ansässigen Zivilbevölkerung verantwortlich. Der Zivilbevölkerung in einem militärischen Konflikt Grundbedürfnisse vorzuenthalten, ist ein Kriegsverbrechen. Wenn eine Kriegspartei die Zivilbevölkerung der Gegenpartei nicht aus eigenen Kräften versorgen kann, muss sie sich an die UNO oder an das Internationale Rote Kreuz wenden, oder eben mit dem Konfliktgegner in Verhandlungen eintreten. Noch reicht das Trinkwasser aus, aber allein die fortschreitende Schädigung der Landwirtschaft und Industrie, weil das Brauchwasser fehlt, ist schon ein Kriegsverbrechen (=Schädigung der Lebensgrundlagen der Zivilbevölkerung) zu qualifizieren.
Wenn man den völkerrechtlichen "Minderheitsstandpunkt" einimmt (den neben Russland selbst Vanuatu, Nicaragua, und drei vier andere Staaten vertreten), ist der Sachverhalt noch einfacher. (das ist jetzt ein fiktiver Standpunkt, den ich nicht teile). Dann ist die Krim Teil der russischen Föderation. Die Frage lautet dann: Was hat die Ukraine mit der Wasserversorgung in Russland zu tun? Und die Antwort lautet: Nichts.
Und weil sie Verhandlungen und gütliche Einigung vorschlagen. Dazu müssten die Russen zumindest mal anklopfen und FRAGEN. "Hallo, wir haben ein Problem". Tun sie aber nicht. Während in der Ukraine selbst die Frage, ob und unter welchen Umständen man den Nordkrimkanal wieder öffnen sollte, um der EIGENEN (!) Bevölkerung zu helfen, seit langem offen und sehr kontrovers diskutiert wird.
Russland tut nichts, außer ein Wolkenkuckucksprojekt nach dem anderen für eine "Wasserautonomie" zu generieren und propagandistisch Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben.
zum BeitragBarbara Falk
"Dabei sollte Selenski sich lieber um Corona kümmern."
1) Reiner Whatabouism. Kann ich auch: Putin sollte sich mal besser um Corona kümmern. Die Übersterblichkeit in Russland lag 2020 bei 360.000, das ist das 7fache der offiziellen Corona-Opfer-Statistik.
2) Versuche ich das "Argument" trotzdem ernstzunehmen, und widerspreche: Die Abwehr einer militärischen Agression seitens eines feinseligen, totalitären Nachbarstaates halte ich für wichtiger als die Pandemie-Bekämpfung.
Was hier als Nadelstiche Zelenskys bezeichnet wird: Wieso soll die Ukraine auf ihrem Territorium die Propaganda des Aggressors dulden?
Putin hat ein großes Problem, was er allein nicht lösen kann. Das ist die Wasserversorgung der Krim. Eigentlich müssten die Russen seit mindestens zwei Jahren kleine Btrötchen backen und auf die Ukrainer zu gehen. Stattdessen (die große Trockenheit geht ins vierte Jahr) redet die Propaganda das Problem weg, und die Krim steuert auf eine humanitäre Katastrophe mit Ansage zu. Und Putin zündelt und kokettiert mit einem Krieg, den er sich nicht leisten kann, weder innen- noch außenpolitisch. Und auch nicht militärisch. Militärisch leisten kann er sich allenfalls, "Friedensstifter" in die Republiken Donezk und Lughansk zu schicken. Dann ändert sich am Frontverlauf nichts, es gibt nur neue Sanktionen für Russland.
Wenn er tatsächlich den Krieg anfängt, der für eine militärische Lösung nötig wäre - eine Eroberung der Ukraine bis an den Dnepr, umd den Nord-Krimkanal unter Kontrolle zu bringen, ist das das Ende des Putinismus. Nicht auszuschließen, dass es dazu kommt, es wäre nicht das erste Mal, das ein realitätsblinder Kriegsherr untergeht und viele Unschuldige mitnimmt.
@Francesco: Das mit den "Rechten der Russen" ist eine der erfolgreichsten Fabeln der Putinschen Propaganda. All diese "eingefrorenen Konflikte" die bei Bedarf hochgeköchelt werden, haben mit verletzten "Rechten von Russen" nichts zu tun. Zuhaus verletzt Putin jeden Tag die Rechte seiner Bürger.
zum BeitragBarbara Falk
Nikita Michalkow hat mal großartige Filme gedreht. Seit langen dient er sich dem Putin-Regime an und lässt sich mit Orden behängen, und jetzt lässt er sich selbst in Propagandaspots der allerdümmsten Sorte ablichten, die in den sozialen Netzwerken verbreitet werden. Er sitzt, gestylt als lieber Opa im Stile der Werthers-Echte-Werbung, im Lehnstuhl, vergleicht Bilder vom jungen Jelzin - dem "Symbol des Zerfalls der Sowjetunion" - mit bearbeiteten Fotos von Nawalny, stellt ihre äußerliche Ähnlichkeit fest, fragt: "Was wollen sie was ist ihr Ziel?" und warnt mit dräuender Stimme: Wer für Navalny ist, will, dass die bösen 90er Jahre wiederkehren! Was für eine schäbige Type, was für ein Niedergang.
www.youtube.com/watch?v=z-VnXfl9KXo
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: "Manchmal kommt die Einsicht nie.
Er sollte kapieren, dass er nicht am längeren Hebel sitzt."
Als ich ihre ersten beiden Sätze las, dachte ich, Sie meinten Putin.
Man kann, wie man sieht, auch im Gefängnis sitzen und Hebel ansetzen. Der Plan, Nawalny einzusperren und damit mundtot zu machen und aus dem politischen Spiel zu nehmen, ist gründlich misslungen. Jetzt zündelt Putin schon demonstrativ an der ukrainischen Grenze, nur um die Kontrolle über die innenpolitische Agenda zurückzubekommen. Und auf seine normalerweise im Februar, oder spätestens März abgegebene jährliche Regierungserklärung wartet man bislang vergeblich.
Wer den längeren Hebel hat, wird sich noch zeigen. Mit dem Putinschen Drohpotential hat sich Nawalny in den Monaten nach dem missglückten Mordanschlag sicher ausreichend auseinandergesetzt, bevor er nach Russland zurückgekehrt ist. Nichts von dem, was sich danach ereignet hat, dürfte ihn überrascht haben oder abschrecken. Nawalnys Mitarbeiter Leonid Volkov hat berichtet, dass man natürlich diverse Szenarien für die Zeit nach der Rückkehr durchgespielt habe, darunter auch den nun eingetretenen Fall - Verhaftung direkt am Flughafen und "Wegsperren". Das soll Nawalny kommentiert haben mit: "So blöd kann er [Putin] nicht sein..."
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Mit "medialem Hype" meinen Sie die deutschen Medien? Da haben sie recht. In den oppositionellen russischen Medien ist das anders. Dort, insbesondere in dem von den Pussy-Riot-Aktivisten Aljochina, Tolokonnikova und Versilov gegründeten Medienportal "Mediazona", sind das perverse russische Strafvollzugssystem und seine Opfer seit jeher ein zentrales Thema. So wie übrigens auch für Nawalny selbst, der für sein Eintreten für politische Gefangene, etwa auf Protestaktionen, in den vergangenen Jahren zahlreiche Arreststrafen abgesessen hat.
Sein Fall erfährt in Russland aus verschiedenen Gründen besondere Aufmerksamkeit, nicht nur, weil die Opposition ihren Anführer in der Freiheit sehen will.
Er ist eines von vielen Justizopfern, doch seine Prominenz hilft, den gleichgültigen Teil der russische Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam zu machen.
Vor allem aber ist sein Fall exemplarisch für die jüngste Radikalisierung des Regimes. Wo die geschriebenen Regeln des Strafvollzugs längst außer kraft waren, galten bislang dennoch informelle Regeln, nämlich dass man prominente Gefangene vielleicht psychisch unter Druck setzt, aber nicht körperlich foltert. (Nicht aus „Respekt“, sondern aus rein pragmatischen Überlegungen heraus). Das hat sich nun geändert, und das vergrößert das Risiko für jeden, der sich politisch gegen Putin engagiert (oder es auch ganz „unpolitisch“ mit der Justiz zu tun bekommt), enorm. Deshalb geht das, was mit Nawalny geschieht, jetzt in Russland jeden etwas an.
Welche medizinische Behandlung ihm zusteht, muss man nicht diskutieren. Das russische Recht besagt explizit, das ein Strafgefangener das Recht auf ein eigenes Bett und acht Stunden ungestörten Schlaf hat, und dass er bei einer Erkrankung auf eigene Kosten einen Facharzt seiner Wahl hinzuziehen darf. Acht kg Gewichtsverlust in drei Wochen, Rückenschmerzen und taube Beine sind kein Pipifax, den man mit Ibuprofensalbe und Vitamintabletten "heilt" (so die Verschreibung des Gefängnisarztes).
zum BeitragBarbara Falk
"Würde Putin Lukaschenko klar sagen: „Geh“, würde das Ansehen Russlands in der Bevölkerung wieder steigen."
Viktor Babariko war eigentlich der perfekte Präsidentschaftskandidat aus russischer Perspektive. Und als langjähriger Chef des belarussischen Zweigs der russischen Gazprombank so eng, auch politisch, nach Russland vernetzt, dass kaum vorstellbar ist, dass er seine Kandidatur nicht dort hat absegnen lassen.
Putin hätte Lukaschenko direkt im Juni letzten Jahres auf die Finger hauen müssen, als der Babariko und die anderen führenden Oppositionskandidaten "prophylaktisch" hat verhaften lassen. Warum er das nicht gemacht hat - ist eine interessante Frage. Wahrscheinlich gehört es sich in Diktatorenkreisen nicht, dass man einander ins Handwerk pfuscht. Das ist so eine Entscheidung, von der man erst hinterher sieht, dass sie ein schwerer politischer Fehler war. Jetzt ist der Zug abgefahren. Babariko, der nach Umfragen weiterhin der bei Weitem populärste belarussische Oppositionspolitiker ist, wird in absehbarer Zukunft das Gefängnis verlassen, aber sicher nicht mehr als Kandidat des Kreml.
Interessant ist auch, dass Putin aus Lukaschenkos Fehlern ("Oppositionelle vor den Wahlen einfach wegsperren, und alles wird gut") nicht lernt, sondern sie wiederholt. Deswegen kann er Lukaschenko auch keine Ratschläge mehr erteilen.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Wenn Sie sich sehr für die Frage interessieren, wundert es, dass sie darüber nichts wissen.
Ich helfe gern:
Eine internationale Untersuchungskommission zur Absturzursache, bestehend aus den betroffenen Ländern (Niederlande, Australien, Malaysia, Ukraine) hat die Ursache des Absturzes eindeutig festgestellt: Eine Flugabwehrrakete vom Typ Bug.
Es wurden vier Personen ermittelt, die mutmaßlich an der Verbringung der Bug-Abschusseinrichtung in die Ukraine und zurück nach Russland und am Abschuss beteiligt waren, oder konkrete Beihilfe dazu geleistet haben: Der Russische Nationalist und Terrorist Igor Strelkov sowie drei weitere Russen bzw. prorussische Separatisten mit ukrainischer Staatsangehörigkeit.
Gegen diese vier Personen wird sei letztem Jahr von einem niederländischen Gericht in Den Haag in Abwesenheit verhandelt. (Nicht am Internationalen Gerichtshof, an einem ganz normalen niederländischen Gericht). Die Angehörigen der Opfer aus Australien und Malaysia, sowie die Staaten Malaysia, Ukraine und Australien haben entschieden, sich dieser Klage anzuschließen, so dass es keine weiteren Verfahren in diesen Staaten geben wird.
Alles weitere hängt vom Ausgang dieses Verfahrens ab. Ein Schuldspruch wäre gleichbedeutend mit der Feststellung der politischen Verantwortung Russlands, es handelt sich ja um ein Waffensystem des russischen Militärs, sodass sich in diesem Falle Schadenersatzklagen der Opferangehörigen und von Malaysian Airlines unmittelbar anschließen dürften.
Parallel dazu klagen zahlreiche Opferangehörige bereits jetzt in einer Sammelklage am EGMR gegen den russischen Staat.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Zu den politischen Zielvorstellungen der russischen Opposition habe ich an anderer Stelle in etwas geschrieben:
taz.de/Anhaltende-...bb_message_4076248
Ergänzend: In den Übergangsforderungen (Freilassung aller politischen Gefangenen, Abhaltung freier Wahlen) ist sich die Opposition einiger denn je. Wer im postputinistischen Russland seine Reformvorstellungen im welchem Maße durchsetzt, wird natürlich vom Ergebnis dieser Wahlen abhängen.
Vieles liegt übrigens schon fertig in der Schublade, gerade die Dinge, bei denen sich praktisch alle einig sind, dass und wie sie geändert werden müssen - Reform der Gerichte, Polizeireform, Strafrechtsreform, Auflösung des FSB, Reform der Armee...
zum BeitragBarbara Falk
Bulgarien, Rumänien, Slowenien, Russland, Polen, um nur einige im Artikel namentlich genannten Staaten zu benennen, in einem Topf namens "Osteuropa" zu stecken, und dann zu erklären, wie "diese Länder" allesamt so ticken (scheinbar alle gleich, oder ähnlich, wie bitte?), ist so stark vereinfachend, dass keine sinnvollen Erkenntnisse mehr möglich sind. Zumindest sollte man die Begriffe Osteuropa, Mitteleuropa und Südosteuropa richtig verwenden. Vielleicht differenziert Herr Mappes-Niedik das ja in seinem Buch in ausreichender Weise, ich glaube aber nicht, dass ich mir das nach dem Lesen dieses Artikels kaufen werde.
Die Fragen der TAZ - "Die Nummer als beleidigte Leberwust hat "der Osten" ziemlich gut drauf ; Eine Masche "des Ostens" ist es, die EU scharf zu kritisieren, aber keine Alternative vorzuschlagen. - laden aber auch nicht gerade zu intelligenten Antworten ein.
Von den baltischen Ländern könnten sich so manche EU-Altmitglieder eine Scheibe abschneiden, wahrscheinlich kommen die deshalb in dem Artikel nicht vor. Oder sind sie nach Auffassung von Hern Mappes-Niedik nicht "Osten", sondern "Norden"?
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Was meinen Sie mit "zahlreichen Fakes über Russland in den hiesigen Medien"?
zum BeitragNennen sie doch bitte stichpunktartig vier oder fünf Beispiele, einschließlich einer Quellenangabe, aus welchem jeweiligen "hiesigen Medium" das Fake stammt. Danke!
Barbara Falk
[Re]: Ich möchte das nicht nur bei Nawalny nicht sehen, ich wünsche keinem politischen Gefangenen irgendwo in der Welt, dass er von einer Menschenrechtsorganisation (AI oder sonstwer) ungefragt (!) "in Betreuung genommen" wird (oder wie auch immer man das ausdrücken soll), und dadurch Schaden erleidet, anstatt Nutzen zu haben. Inwiefern das jetzt ein Ausnahmefall ist, oder ob AI auch in anderen Fällen Gefangenen schon mehr geschadet als genutzt hat, entzieht sich meiner Kenntnis, dazu verfolge ich deren Aktivitäten nicht genau genug.
Die AI-Leitung hat jetzt in bezug auf den Nawalny-Fall ein internes Audit angekündigt, um zu klären, was und warum da schiefgelaufen ist. Also mal abwarten, was dabei rauskommt.
zum BeitragBarbara Falk
Ich möchte das nicht nur bei Nawalny nicht sehen, ich wünsche keinem politischen Gefangenen irgendwo in der Welt, dass er von einer Menschenrechtsorganisation (AI oder sonstwer) ungefragt (!) "in Betreuung genommen" wird (oder wie auch immer man das ausdrücken soll), und dadurch Schaden erleidet, anstatt Nutzen zu haben. Inwiefern das jetzt ein Ausnahmefall ist, oder ob AI auch in anderen Fällen Gefangenen schon mehr geschadet als genutzt hat, entzieht sich meiner Kenntnis, dazu verfolge ich deren Aktivitäten nicht genau genug.
Die AI-Leitung hat jetzt in bezug auf den Nawalny-Fall ein internes Audit angekündigt, um zu klären, was und warum da schiefgelaufen ist. Also mal abwarten, was dabei rauskommt.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Und ich habe in meiner Rückfrage an Khaled Nawalny nicht erwähnt.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Auszug aus: Aus: Michnik, Naval‘ny: Dialogy. Moskva 2015.
zum BeitragTeil 3
...In den Jahren 2011-2013 sind die Nationalisten mit uns auf die Protestveranstaltungen gegangen. Sie haben die Idee mit unterstützt, dass alle das Recht bekommen müssen, sich zur Wahl stellen zu dürfen. Sie sind mit der Losung „Für die Demokratie“ angetreten, haben sich für eine Justizreform eingesetzt, über die Unabhängigkeit der Medien. Ja, ich weiß, sie wirken etwas seltsam, und die Geschichte ihrer Äußerungen ist oft erschreckend. Aber bis heute bin ich der Ansicht, dass man mit ihnen im Gespräch bleiben muss. Ansonsten werden sie vom Regime sehr einfach umgepolt auf das Projekt „Wir erobern die Welt“. Die äußere Expansion, die Konfrontation Russlands mit Amerika und Europa, ist erneut zur wichtigsten Idee des russischen Nationalismus geworden.
Und dieser imperiale Nationalismus ist unter allen Spielarten des Nationalismus die schädlichste und gefährlichste. Man muss ihn bekämpfen. Aber man muss auch begreifen, dass da stattdessen kein Vakuum sein darf. Es gibt nun mal immer einen konservativen Teil der Bevölkerung, einen national gesinnten, und dem muss man eine alternatives Projekt anbieten: Einen bürgerlichen Nationalismus, der nicht auf physischer Ähnlichkeit und dem Gefühl nationaler Überlegenheit beruht, sondern auf einer Einheit bei den bürgerlichen Rechten und Freiheiten, auf der realen Möglichkeit, gemeinsam das Schicksal unseres Landes zu bestimmen. Ich habe darin viel Arbeit investiert und hoffe, dass ich den Dialog wieder herstellen kann. Obwohl ich bislang, ehrlich gesagt, außer persönlichen Imageverlusten nicht viel erreicht habe. Die Liberalen nennen mich einen Nationalisten, und die Nationalisten – einen Liberalen. Und überall bin ich die „fünfte Kolonne“ (...)
Barbara Falk
[Re]: Auszug aus: Aus: Michnik, Naval‘ny: Dialogy. Moskva 2015.
zum BeitragTeil 2
… Ich habe schon viele Anstrengungen [auf diesen Dialog] verwendet. An irgendeinem Punkt hat der russische Nationalismus sogar schon einmal begonnen, sich in die Richtung eines Konservatismus‘ europäischen Typs zu entwickeln. Leider hat Putin diese Entwicklung zerstört, und der imperiale Nationalismus ist erneut zum Mainstream des russischen Nationalismus geworden. Ich habe reichlich nationalistische Versammlungen besucht, bin auf die „Russischen Märsche“ gegangen. Dafür beschimpfen mich in Russland viele, und stellen mich als Faschisten dar, aber bis 2014 waren dort nie … Losungen über die Krim oder die Ukraine zu hören. Die Krim stand nicht auf der Tagesordnung der Nationalisten. Ernsthaft diskutiert wurde dort beispielsweise die Wahrung der Rechte von Russen in Usbekistan, oder Tschetschenien.
Michnik: Auch [der Russen] im Baltikum?
Nawalny: Vorrangig, was die Sprache angeht. Denn alle haben verstanden, dass die Russen in Estland z.B. nie mehr nach Russland zurück wollen, selbst die nicht, die erzählen, wie sehr sie Putin lieben. In nationalistischen Kreisen herrschte damals ein absoluter Konsens darüber, dass das Hauptproblem der Russen der Zustand des heutigen Russland ist – der Bevölkerungsrückgang, der Alkoholismus, die niedrige Geburtenrate, und so weiter. Und dass diese Probleme mit innenpolitischen Maßnahmen gelöst werden müssen, nicht mit außenpolitischen. (…) Doch für viele Liberale war die nationale Agenda marginal. Und infolgedessen hat Putin [mit der Annektion der Krim] erfolgreich ein fundamental anderes Projekt, ein imperiales, angeboten und diese Leute [die Nationalisten] kooptiert. Wir haben den Kontakt zu ihnen verloren ...
Barbara Falk
[Re]: Auszug aus: Aus: Michnik, Naval‘ny: Dialogy. Moskva 2015.
zum BeitragTeil 3
...In den Jahren 2011-2013 sind die Nationalisten mit uns auf die Protestveranstaltungen gegangen. Sie haben die Idee mit unterstützt, dass alle das Recht bekommen müssen, sich zur Wahl stellen zu dürfen. Sie sind mit der Losung „Für die Demokratie“ angetreten, haben sich für eine Justizreform eingesetzt, über die Unabhängigkeit der Medien. Ja, ich weiß, sie wirken etwas seltsam, und die Geschichte ihrer Äußerungen ist oft erschreckend. Aber bis heute bin ich der Ansicht, dass man mit ihnen im Gespräch bleiben muss. Ansonsten werden sie vom Regime sehr einfach umgepolt auf das Projekt „Wir erobern die Welt“. Die äußere Expansion, die Konfrontation Russlands mit Amerika und Europa, ist erneut zur wichtigsten Idee des russischen Nationalismus geworden.
Und dieser imperiale Nationalismus ist unter allen Spielarten des Nationalismus die schädlichste und gefährlichste. Man muss ihn bekämpfen. Aber man muss auch begreifen, dass da stattdessen kein Vakuum sein darf. Es gibt nun mal immer einen konservativen Teil der Bevölkerung, einen national gesinnten, und dem muss man eine alternatives Projekt anbieten: Einen bürgerlichen Nationalismus, der nicht auf physischer Ähnlichkeit und dem Gefühl nationaler Überlegenheit beruht, sondern auf einer Einheit bei den bürgerlichen Rechten und Freiheiten, auf der realen Möglichkeit, gemeinsam das Schicksal unseres Landes zu bestimmen. Ich habe darin viel Arbeit investiert und hoffe, dass ich den Dialog wieder herstellen kann. Obwohl ich bislang, ehrlich gesagt, außer persönlichen Imageverlusten nicht viel erreicht habe. Die Liberalen nennen mich einen Nationalisten, und die Nationalisten – einen Liberalen. Und überall bin ich die „fünfte Kolonne“ (...)
Barbara Falk
[Re]: Auszug aus: Aus: Michnik, Naval‘ny: Dialogy. Moskva 2015.
zum BeitragTeil 1
Adam Michnik: In Europa hält man dich für einen Nationalisten. Erläutere bitte deine Position diesbezüglich.
Alexej Nawalny: Auch in Russland halten mich viele für einen Nationalisten. Das sind die Leute, die gern friedlich in einer Welt voller ideologischer Schubladen leben. Es gibt Themen, die sind in liberalen Kreisen praktisch Tabu. Zum Beispiel, Probleme mit der Einwanderung. Ich denke, dass Russland eine Visumspflicht für die Staaten Mittelasiens einführen muss, und die Arbeitsmigration strikt kontrollieren.
Michnik: Aktuell gibt es keine Visumspflicht?
Navalny: Nein. Und mein ganzer Nationalismus in dieser Frage besteht darin, dass wir so eine Pflicht brauchen, nicht zuletzt auch, um die Rechte der Migranten zu wahren. Denn wenn wir die Zuwanderung auf die Weise kontrollieren, sind Einwanderer gezwungen, eine Arbeitserlaubnis zu beantragen und eine Krankenversicherung. Aktuell haben wir eine komplett chaotische Situation. Wenn so ein illegaler Migrant auf dem Bau eine Hand verliert, was tut er? Elend verrecken, keiner behandelt ihn. Russland muss da … Instrumente nutzen wie Arbeitsvisa und Quoten.
[Und weiter] besteht mein Ansatz darin, dass man mit den Nationalisten reden muss (…) Nationalisten in Russland haben sehr häufig überhaupt keine klare Ideologie. Sie sehen diese allfällige, allgemeine Ungerechtigkeit, und ihre Antwort darauf ist Aggression gegen Menschen mit anderer Hautfarbe, oder anderen Augen. Ich halte es für wichtig, ihnen zu erklären, dass man das Problem der illegalen Migration nicht dadurch löst, dass man Migranten verprügelt, sondern mit völlig anderen, demokratischen Mitteln: Die Rückkehr zu echten Wahlen, mit deren Hilfe wir die Gauner und Diebe verjagen können, die aktuell von der illegalen Migration profitieren...
Barbara Falk
[Re]: Auszug aus: Aus: Michnik, Naval‘ny: Dialogy. Moskva 2015.
zum BeitragTeil 2
… Ich habe schon viele Anstrengungen [auf diesen Dialog] verwendet. An irgendeinem Punkt hat der russische Nationalismus sogar schon einmal begonnen, sich in die Richtung eines Konservatismus‘ europäischen Typs zu entwickeln. Leider hat Putin diese Entwicklung zerstört, und der imperiale Nationalismus ist erneut zum Mainstream des russischen Nationalismus geworden. Ich habe reichlich nationalistische Versammlungen besucht, bin auf die „Russischen Märsche“ gegangen. Dafür beschimpfen mich in Russland viele, und stellen mich als Faschisten dar, aber bis 2014 waren dort nie … Losungen über die Krim oder die Ukraine zu hören. Die Krim stand nicht auf der Tagesordnung der Nationalisten. Ernsthaft diskutiert wurde dort beispielsweise die Wahrung der Rechte von Russen in Usbekistan, oder Tschetschenien.
Michnik: Auch [der Russen] im Baltikum?
Nawalny: Vorrangig, was die Sprache angeht. Denn alle haben verstanden, dass die Russen in Estland z.B. nie mehr nach Russland zurück wollen, selbst die nicht, die erzählen, wie sehr sie Putin lieben. In nationalistischen Kreisen herrschte damals ein absoluter Konsens darüber, dass das Hauptproblem der Russen der Zustand des heutigen Russland ist – der Bevölkerungsrückgang, der Alkoholismus, die niedrige Geburtenrate, und so weiter. Und dass diese Probleme mit innenpolitischen Maßnahmen gelöst werden müssen, nicht mit außenpolitischen. (…) Doch für viele Liberale war die nationale Agenda marginal. Und infolgedessen hat Putin [mit der Annektion der Krim] erfolgreich ein fundamental anderes Projekt, ein imperiales, angeboten und diese Leute [die Nationalisten] kooptiert. Wir haben den Kontakt zu ihnen verloren ...
Barbara Falk
[Re]: Auszug aus: Aus: Michnik, Naval‘ny: Dialogy. Moskva 2015.
zum BeitragTeil 3
...In den Jahren 2011-2013 sind die Nationalisten mit uns auf die Protestveranstaltungen gegangen. Sie haben die Idee mit unterstützt, dass alle das Recht bekommen müssen, sich zur Wahl stellen zu dürfen. Sie sind mit der Losung „Für die Demokratie“ angetreten, haben sich für eine Justizreform eingesetzt, über die Unabhängigkeit der Medien. Ja, ich weiß, sie wirken etwas seltsam, und die Geschichte ihrer Äußerungen ist oft erschreckend. Aber bis heute bin ich der Ansicht, dass man mit ihnen im Gespräch bleiben muss. Ansonsten werden sie vom Regime sehr einfach umgepolt auf das Projekt „Wir erobern die Welt“. Die äußere Expansion, die Konfrontation Russlands mit Amerika und Europa, ist erneut zur wichtigsten Idee des russischen Nationalismus geworden.
Und dieser imperiale Nationalismus ist unter allen Spielarten des Nationalismus die schädlichste und gefährlichste. Man muss ihn bekämpfen. Aber man muss auch begreifen, dass da stattdessen kein Vakuum sein darf. Es gibt nun mal immer einen konservativen Teil der Bevölkerung, einen national gesinnten, und dem muss man eine alternatives Projekt anbieten: Einen bürgerlichen Nationalismus, der nicht auf physischer Ähnlichkeit und dem Gefühl nationaler Überlegenheit beruht, sondern auf einer Einheit bei den bürgerlichen Rechten und Freiheiten, auf der realen Möglichkeit, gemeinsam das Schicksal unseres Landes zu bestimmen. Ich habe darin viel Arbeit investiert und hoffe, dass ich den Dialog wieder herstellen kann. Obwohl ich bislang, ehrlich gesagt, außer persönlichen Imageverlusten nicht viel erreicht habe. Die Liberalen nennen mich einen Nationalisten, und die Nationalisten – einen Liberalen. Und überall bin ich die „fünfte Kolonne“ (...)
Barbara Falk
[Re]: Danke für den verlinkten Artikel! Insbesondere die akribische Aufdröselung des Kirovles-Prozesses durch Herrn Luchterhand ist beeindruckend. Eine heroische Tat. Das sollte man jetzt jedes Mal verlinken, wenn wieder mal jemand behauptet, Nawalny habe 2009 einen ganzen Wald geklaut.
zum BeitragNoch wichtiger ist das, was Sie zum Thema Nationalismus in Russland anmerken. Ich stimme Ihnen vollkommen zu.
Viele hier reden immer vom Nationalisten Nawalny, vom Faschisten Nawalny, und (so mein Eindruck) kaum einer, der das tut, spricht auch nur ein Wort Russisch. Dass das alles Leute sind, die für ihren Beitrag 15 Rubel (oder 15 Euro) kriegen denke ich nicht (nun gut, manchmal schon). Aber wenn man kein Russisch spricht und trotzdem mitreden will, ist man halt auf die Bröckchen angewiesen, die, auch welchem Wege auch immer, ins Deutsche rüberschwappen.
Irgendwann in der Zukunft wird es mal ein interessantes Thema für eine kommunikationswissenschaftliche Dissertation sein, zu untersuchen, auf welchen Wegen und Umwegen genau die russische Mär vom Faschisten Nawalny aus Prigozhins Trollfabrik in die deutschen Medien und von dort in die Köpfe von Teilen der deutschen Linken (und nicht nur dorthin) gelangt ist.
Also schauen wir doch mal: Nationalismus. Was sagt denn nun Herr Nawalny selbst? Ich erlaube mir mal ein Langzitat aus dem 2015 auf Russisch und Polnisch erschienenen Band: „Michnik, Nawalny, Dialoge.“ Das Buch gibt es seit Kurzem auch in englischer Übersetzung: „Opposing Forces: Plotting the new Russia.“ (aktuell nur als E-Book bei Amazon, Printausgabe soll folgen). Ich kann nur jedem, der den Politiker Nawalny wirklich verstehen will, empfehlen dieses Buch zu lesen. Verstehen heißt ja nicht, einverstanden sein.
(Liebe TAZ, ich hoffe ein extensives Vollzitat ist im Sinne der Wahrheitsfindung erlaubt. Herrn Nawalny kann man aktuell nicht fragen, Herr Michnik dürfte nichts dagegen haben, und die Übersetzung ist von mir).
Barbara Falk
[Re]: Auszug aus: Aus: Michnik, Naval‘ny: Dialogy. Moskva 2015.
zum BeitragTeil 1
Adam Michnik: In Europa hält man dich für einen Nationalisten. Erläutere bitte deine Position diesbezüglich.
Alexej Nawalny: Auch in Russland halten mich viele für einen Nationalisten. Das sind die Leute, die gern friedlich in einer Welt voller ideologischer Schubladen leben. Es gibt Themen, die sind in liberalen Kreisen praktisch Tabu. Zum Beispiel, Probleme mit der Einwanderung. Ich denke, dass Russland eine Visumspflicht für die Staaten Mittelasiens einführen muss, und die Arbeitsmigration strikt kontrollieren.
Michnik: Aktuell gibt es keine Visumspflicht?
Navalny: Nein. Und mein ganzer Nationalismus in dieser Frage besteht darin, dass wir so eine Pflicht brauchen, nicht zuletzt auch, um die Rechte der Migranten zu wahren. Denn wenn wir die Zuwanderung auf die Weise kontrollieren, sind Einwanderer gezwungen, eine Arbeitserlaubnis zu beantragen und eine Krankenversicherung. Aktuell haben wir eine komplett chaotische Situation. Wenn so ein illegaler Migrant auf dem Bau eine Hand verliert, was tut er? Elend verrecken, keiner behandelt ihn. Russland muss da … Instrumente nutzen wie Arbeitsvisa und Quoten.
[Und weiter] besteht mein Ansatz darin, dass man mit den Nationalisten reden muss (…) Nationalisten in Russland haben sehr häufig überhaupt keine klare Ideologie. Sie sehen diese allfällige, allgemeine Ungerechtigkeit, und ihre Antwort darauf ist Aggression gegen Menschen mit anderer Hautfarbe, oder anderen Augen. Ich halte es für wichtig, ihnen zu erklären, dass man das Problem der illegalen Migration nicht dadurch löst, dass man Migranten verprügelt, sondern mit völlig anderen, demokratischen Mitteln: Die Rückkehr zu echten Wahlen, mit deren Hilfe wir die Gauner und Diebe verjagen können, die aktuell von der illegalen Migration profitieren...
Barbara Falk
[Re]: Auszug aus: Aus: Michnik, Naval‘ny: Dialogy. Moskva 2015.
zum BeitragTeil 2
… Ich habe schon viele Anstrengungen [auf diesen Dialog] verwendet. An irgendeinem Punkt hat der russische Nationalismus sogar schon einmal begonnen, sich in die Richtung eines Konservatismus‘ europäischen Typs zu entwickeln. Leider hat Putin diese Entwicklung zerstört, und der imperiale Nationalismus ist erneut zum Mainstream des russischen Nationalismus geworden. Ich habe reichlich nationalistische Versammlungen besucht, bin auf die „Russischen Märsche“ gegangen. Dafür beschimpfen mich in Russland viele, und stellen mich als Faschisten dar, aber bis 2014 waren dort nie … Losungen über die Krim oder die Ukraine zu hören. Die Krim stand nicht auf der Tagesordnung der Nationalisten. Ernsthaft diskutiert wurde dort beispielsweise die Wahrung der Rechte von Russen in Usbekistan, oder Tschetschenien.
Michnik: Auch [der Russen] im Baltikum?
Nawalny: Vorrangig, was die Sprache angeht. Denn alle haben verstanden, dass die Russen in Estland z.B. nie mehr nach Russland zurück wollen, selbst die nicht, die erzählen, wie sehr sie Putin lieben. In nationalistischen Kreisen herrschte damals ein absoluter Konsens darüber, dass das Hauptproblem der Russen der Zustand des heutigen Russland ist – der Bevölkerungsrückgang, der Alkoholismus, die niedrige Geburtenrate, und so weiter. Und dass diese Probleme mit innenpolitischen Maßnahmen gelöst werden müssen, nicht mit außenpolitischen. (…) Doch für viele Liberale war die nationale Agenda marginal. Und infolgedessen hat Putin [mit der Annektion der Krim] erfolgreich ein fundamental anderes Projekt, ein imperiales, angeboten und diese Leute [die Nationalisten] kooptiert. Wir haben den Kontakt zu ihnen verloren ...
Barbara Falk
[Re]: Auszug aus: Aus: Michnik, Naval‘ny: Dialogy. Moskva 2015.
zum BeitragTeil 3
...In den Jahren 2011-2013 sind die Nationalisten mit uns auf die Protestveranstaltungen gegangen. Sie haben die Idee mit unterstützt, dass alle das Recht bekommen müssen, sich zur Wahl stellen zu dürfen. Sie sind mit der Losung „Für die Demokratie“ angetreten, haben sich für eine Justizreform eingesetzt, über die Unabhängigkeit der Medien. Ja, ich weiß, sie wirken etwas seltsam, und die Geschichte ihrer Äußerungen ist oft erschreckend. Aber bis heute bin ich der Ansicht, dass man mit ihnen im Gespräch bleiben muss. Ansonsten werden sie vom Regime sehr einfach umgepolt auf das Projekt „Wir erobern die Welt“. Die äußere Expansion, die Konfrontation Russlands mit Amerika und Europa, ist erneut zur wichtigsten Idee des russischen Nationalismus geworden.
Und dieser imperiale Nationalismus ist unter allen Spielarten des Nationalismus die schädlichste und gefährlichste. Man muss ihn bekämpfen. Aber man muss auch begreifen, dass da stattdessen kein Vakuum sein darf. Es gibt nun mal immer einen konservativen Teil der Bevölkerung, einen national gesinnten, und dem muss man eine alternatives Projekt anbieten: Einen bürgerlichen Nationalismus, der nicht auf physischer Ähnlichkeit und dem Gefühl nationaler Überlegenheit beruht, sondern auf einer Einheit bei den bürgerlichen Rechten und Freiheiten, auf der realen Möglichkeit, gemeinsam das Schicksal unseres Landes zu bestimmen. Ich habe darin viel Arbeit investiert und hoffe, dass ich den Dialog wieder herstellen kann. Obwohl ich bislang, ehrlich gesagt, außer persönlichen Imageverlusten nicht viel erreicht habe. Die Liberalen nennen mich einen Nationalisten, und die Nationalisten – einen Liberalen. Und überall bin ich die „fünfte Kolonne“ (...)
Barbara Falk
[Re]: Wieso bezeichnen Sie Putin-Gegner als "Russlandgegner"? Putin ist nicht Russland.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Lieber Mister Nice,
das Argument, Herr Nawalny sei kein Demokrat, weil Ihnen nichts Gegenteiliges bekannt ist, äußern Sie gefühlt in jedem zweiten einschlägigen Artikel hier.
Ich hatte Ihnen deshalb an anderer Stelle geraten, Russisch zu lernen, weil dies Ihnen erlauben würde, sich ein differenziertes Bild zu verschaffen (sofern denn der Wille dazu vorhanden ist). Da das Sprachenlernen lange dauert, noch ein anderer Tipp: Gerade auf Englisch erschienen (Originalausgabe Russisch und Polnisch 2015):
Alexey Navalny, Adam Michnik: Opposing Forces: Plotting the new Russia.
Gibt es als E-book bei Amazon.
Ihnen empfehle ich besonders das Kapitel: What is Nationalism?
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Das ist ein sehr guter Vorschlag!
zum BeitragBarbara Falk
Nawalny selbst kann sich ja nicht äußern, aber vor ziemlich genau zehn Jahren gab es in Russland schon mal eine ähnliche Situation.
Da hat die Rechtsabteilung von Amnesty International gaaanz lange geprüft und geprüft, und dann gesagt, man könne Michail Khodorkovsky nicht als "Prisoner of Conscience" anerkennen. Weil man nur Menschen als solche anerkenne könnte, von denen man absolut sicher sein könne, dass sie nichts, aber auch gar nichts von dem getan haben, wofür sie im Gefängnis sitzen. Und man können nach eingehender Prüfung nicht ausschließen, dass Mikhail Khodorkovsky nicht irgendwie doch Steuern hinterzogen habe.
Herr Nawalny kommentierte das 2011 wie folgt: "Ich werde Amnesty International jetzt an den Schandpfahl nageln, wegen politischer Prostitution und Heuchelei. Was seid ihr schändlich.".
Prophetische Worte.
Frau Hartwig formuliert in der Überschrift ungenau: Nawalny wurde der Status nicht "nicht zuerkannt", sondern am 17. Januar zuerkannt und jetzt, auf Druck einer von Russia Today koordinierten Verleumdungskampagne, wieder aberkannt. Das ist etwas anderes. In den russischen Staatsmedien tönt jetzt auf allen Kanälen: "Amnesty International, die renommierte internationale Instanz für Menschenrechtsfragen, hat amtlich festgestellt, das Alexej Nawalny ein Faschist ist."
Amnesty erhebt den Anspruch politische Gefangene zu schützen, Nawalny haben sie jetzt massiv geschadet. Die Ankündigung, sich jetzt "weiter für ihn einzusetzen", klingt da fast wie eine Drohung, er selbst legt darauf sicher keinen Wert (s.o.). In den letzten Tagen haben mehrere russische Oppositionelle offene Briefe an Amnesty geschickt mit der Aufforderung, im Falle ihrer Verhaftung von einer "Betreuung" abzusehen.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: "dass er keinen Plan hat, wie er Russland führen will."
"Warum verrät er uns das nicht?"
"Hat er jemals ein klares Bekenntnis zur Demokratie von sich gegeben?".
Mein Rat: Lernen Sie Russisch, dann können sie die umfängliche Selbstäußerungen von Herrn Nawalny zu seinen politischen Vorstellungen lesen und verstehen, und ihre rhethorischen Fragen lösen sich in Wohlgefallen auf.
Im übrigen geht es nicht nur um "einen Herrn Nawalny". Es geht um die Repression und politische Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsteile, und um Hunderte politischer Gefangener, die zum großen Teil mit Herrn Nawalny überhaupt nichts zu tun haben. Die zum Beispiel wegen ihres Glaubens zu Jahre langer Haft verurteilt werden (Zeugen Jehovas z.B), oder wegen ihrer Nationalität (Krimtataren, Inguschen).
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Danke.
Und ich ergänze: Der Putinvergleich hinkt gewaltig.
Pablo Hazel hetzt gegen die Monarchie und verherrlicht die ETA. Er ruft regelmäßig zu Gewalt auf, und seine Anhänger kommen und randalieren. Und ganze 17 (oder waren es 20?), von Ihnen, denen man diese Gewalt nachweisen kann, wurden dabei nun festgenommen.
In Russland kämpft die Opposition seit vielen Jahren völlig gewaltfrei für ihre legitime politische Teilhabe. 250.000 Menschen in ganz Russland sind dafür im Januar völlig friedlich auf die Straße gegangen, sie wurden mit Gummiknüppeln auseinander gejagt und und über 11.000 von Ihnen wurden festgenommen.
Unterschied verstanden?
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Was verstehen Sie nicht?
Vielleicht kann ich es erklären.
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[Re]: EGMR muss es natürlich heißen.
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[Re]: "Nowitschok-Versteher". Großartig, Coriander, you made my day :-)
Aber: Europarat ist nicht gleich EU. Was die EU, auch unter dem Eindruck dieser Entscheidung, ggf. an Sanktionen beschließen wird, ist reine EU-Angelegenheit.
Einziger Sanktionsmechanismus des Europarates ist: zeitweilige Nichtzulassung der russischen Delegation, und letzten Endes nur ein Ausschluss Russlands. Wozu es nicht kommen wird. Und was auch nicht wünschenswert wär, denn damit wäre Russland nicht mehr Mitglied des EGMH. Dessen Rolle beim Schutz der Grundrechte in Russland (gerade für die vielen weniger prominenten Opfer des Regimes) kann gar nicht hoch genug bewertet werden, auch wenn leider auch bisher schon viele Urteile nicht oder nur unvollständig umgesetzt wurden.
Nachdem die russische Justiz nun beschlossen hat, Herrn Nawalny nächsten Samstag an ein und demselben Tag in gleich zwei Verfahren zu abzurteilen - die Verhandlung über den Widerspruch gegen die am 2.2. ausgesprochene Haftstrafe in Sachen "Yves-Rocher", und die Urteilsverkündung wegen "Verleumdung eines Veteranen" wurden ZUSAMMENGELEGT (!), werden seine Anwälte an diesem Tag der Richterin auch die EGMH-Entscheidung auf den Tisch legen. Übermorgen ist also "Aktionstag des Russischen Justiz": Drei Richtersprüche gegen Nawalny zum Preis von einem.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: EGMR muss es natürlich heißen.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Lawrows Aussagen werden dadurch zwar nicht weniger bizarr und peinlich, aber: Das hat er in Wladimir Solowjows Talkshow gesagt. Eine platte Propaganda-Botschaft, und Teil der umfassenden Propaganda- und Anti-EU-Kampagne, die in den Staatsmedien aktuell wegen angekündigter/befürchteter neuer Sanktionen gefahren wird.
Pressesprecher Peskow hat auch gleich "dementiert".
Im russischen Universum der multivektoralen Wahrheit gibt es nun mal für jeden Adressatenkreis eine eigene Lüge. EU-Politiker sollten kein russisches Staatsfernsehen schauen, dann kommt es auch nicht zu solchen Missverständnissen.
zum BeitragBarbara Falk
Frage:
"Ist dem Kreml das Image des bösen Buben völlig egal?"
"Die russischen Führung hat keine besondere Hoffnung auf eine fruchtbare Entwicklung zwischen Russland und Europa.".
Schade, dass an der Stelle nicht mal nachgehakt wurde. Dass der Vertreter eines "regierungsnahen Thinktanks" nicht die naheliegende Antwort gibt, ist ja zu erwarten: "Die fortdauernde Missachtung der Menschen- und Grundrechte, der Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Missachtung internationaler Verträge und völkerrechtlicher Normen, die fortschreitende Erosion demokratischer Institutionen, die aus Korruption, Bürokratie und fehlender Rechtssicherheit resultierende mangelnde Konkurrenzfähigkeit und Attraktivität der russischen Wirtschaft, das sind alles leider hausgemachte Probleme Russlands, die es lösen muss, bevor normale Beziehungen mit dem übrigen Europa möglich sind."
Nach diesen Dingen braucht man so jemanden nicht zu fragen.
Was ich aber, wenn ich die Möglichkeit hätte, einen Vertreter eines "regierungsnahen Thinktanks"
zu interviewen, auf jeden Fall fragen würde:
Welche konkreten (!) Schritte müssten die EU und die USA eigentlich unternehmen, damit Putin aufhört, zu schmollen?
Ich denke, die Antwort darauf wäre sehr erhellend. Weil sie zum einen nur lauten kann: Europa soll die Rechts- und Normbrüche Russland klaglos dulden, und ihnen schriftlich geben, dass sie "die Krim behalten" dürften, das sie alles behalten dürfen, was sie dem russischen Volk geklaut haben, dass sie keine Wahlen mehr abhalten müssen etc. Zum anderen würde deutlich, dass die EU nachgeben könnte bis zur Selbstverleugnung, es bliebe für Putin trotzdem doof: Weil man mit einem Staatshaushalt wie Belgien nicht Großmacht sein kann. Weil die Ukraine nie wieder ein folgsamer Bruderstaat werden, und Weißrussland kein solcher bleiben wird. Und weil die zahllosen RussInnen, die sich mittlerweile in Fundamentalopposition zu diesem Regime befindet, sich nicht mit dem Gummiknüppel überzeugen lassen, ihn zu lieben.
zum BeitragBarbara Falk
Es soll sich diesmal um einen Kreditbetrag von drei Mrd. Dollar handeln. Das Loch in der Kriegskasse wird immer größer.
Aber ich denke nicht, dass Lukaschenko dafür "zu Kreuze kriechen" muss. Er kann das gelassen sehen, er weiß ja, dass Putin in der aktuellen Situation zahlen muss.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Die Literatur über 100 sowjetisch-postsowjetischen Totalitarismus füllt ganze Bibliotheken. Eine kompakte Darstellung speziell der Folgen der stalinistischen Gewalterfahrung auf die kollektive Psyche der Gegenwartsgesellschaft fällt mir auf die Schnelle nicht ein, aber der von Ihnen vermutete Zusammenhang ist natürlich evident.
Als Überblick in Kürze empfehle ich Leonid Nevzlins Text über die "Rache des Stalinismus". In dem es vor allem darum geht, dass die russischen Zivilgesellschaft sich von den Schatten des Stalinismus zunehmend emanzipiert, während das aktuelle Regime für seinen Machterhalt zunehmend auf neostalinistische Handlungsmuster zurückgreift - etwa die agressive Propaganda, Führerkult, die imaginierten "Feinde" im Inneren und Äußeren, den demonstrative Missbrauch des Strafrechts (=Schauprozesse).
imrussia.org/en/op...venge-of-stalinism
Der Putinismus hat bestimmte ("neostalinistische") Herrschaftstechniken entwickelt, die über viele Jahre gereicht haben, um die gesellschaftlichen Prozesse in seinem Sinne zu steuern. Insbesondere, um einen Teil der Gesellschaft (die sogenannte nichtsystemische Opposition, zu der unter anderem Navalny gehört) komplett von der politischen Teilhabe auszugrenzen. Aber das wird immer schwieriger, weil dieser Teil der Gesellschaft wächst. Die einzige Antwort des Regimes darauf ist: Mehr vom Gleichen, Repression. Weil Kompromiss, Verhandlungsbereitschaft, Ausgleich, Einsicht etc. schlicht nicht zum Repertoire dieser Herrschaftselite gehören. Sie können es nicht anders, und deshalb ist es völlig naiv, etwas anderes von ihnen zu erwarten.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: "Jede kognitive Fähigkeit verschwände, die Synapsen würden sich zu wirren Mustern verbinden und unserem Bewusstsein würde sich ein Reich des unsagbaren Infernos auftun, in dem wir für immer gefangen wären und aus dem kein Dante uns je befreien könnte."
Ich finde, sie haben Herrn Lavrov und generell die Zustände im Russischen Außenministerium sehr gut charakterisiert. Danke dafür, und ich ergänze mit den Worten des russischen Oppositionspolitikers Dmitrij Gudkov, der dazu letzte Woche geschrieben hat: "Es ist zwar interessant, aber mittlerweile nicht mehr wichtig, wie es zu diesem klinischen Zustand gekommen ist."
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Mit dem "energiepolitisch sinnlos" haben Sie ja recht, trotzdem wäre der Projektstopp kontraproduktiv, das habe ich an anderer Stelle schon Mal zu erklären versucht. Nochmal:
Nordstream 2 hat für Herrn Putin und seine Freunde den Zweck weitgehend erfüllt: Für den russischen Teil der Finanzierung, rund 5 Mrd Euro für die Pipeline, und nochmal 5 Mrd für das russlindeinterne Zuleitungsnetz, hat Gazprom sich bei russischen Banken verschuldet, das Geld hat sich Putins Spezi Timtschenko, der die Pipeline baut, längst eingesackt, und Gazprom (=russischer Steuerzahler), wird diese Schulden jahrelang zurückzahlen. Wenn die Bundesregierung ihre Genehmigungen für dieses Projekt jetzt widerruft, werden Gazprom und die deutschen Co-Finanziers (nochmal 5 Mrd) die Hand aufhalten und sich für ihr willkürlich gestopptes Energie-Infrastrukturprojekt völlig zurecht, unter Berufung auf den Internationalen Energiecharta-Vertrag, mit 15 Mrd Euro (plus X für entgangene Gewinne etc.) vom deutschen Steuerzahler entschädigen lassen. Da freut sich Herr Putin ein zweites Mal, und das Mantra von den "unzuverlässigen Partnern im Westen" wird durch alle Propagandakanäle gejagt. Das Deutschland Entschädigungen zahlen müsste, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Rechtslage ist absolut eindeutig.
Die Politiker (in diversen Parteien) die öffentlich den Abbruch fordern, haben entweder so wenig Ahnung von der Materie, dass sie sich mal besser zurückhalten und andere machen lassen sollten. Oder sie wissen das alles ganz genau und wollen sich nur billig profilieren, in der Gewissheit, dass ihre leeren Forderungen ohne Folgen bliebe werden.
Und diejenigen, die (weil sie das natürlich alles genau wissen) öffentlich rumdrucksen und am Projekt festhalten, sollten der Öffentlichkeit einfach mal klipp und klar erklären, warum, auch wenn es ein komplettischer politischer Offenbarungseid ist.
Und dann sollte man sich mit sinnvollen Maßnahmen befassen, nämlich Sanktionen gegen Schlüsselpersonen.
zum BeitragBarbara Falk
Und wieder hat sich das Regime ins Knie geschossen. Herr Smirnow wurde zur Verbüßung seines Arrests ausgerechnet nach Sacharowo gebracht, in eine 100 km von Moskau entfernte Abschiebehaft-Einrichtung für illegale Immigranten, in der z.T. fast 900 verurteilte Demonstranten in völlig überfüllten Zellen ihre Strafen absitzen. Bereits gestern berichtete er per Telefon live aus der Zelle. Das war sehr interessant und unterhaltsam.
Auf seine Reportagen, wenn er in drei Wochen rauskommt, darf man schon jetzt sehr gespannt sein. Vielleicht zeigt sich die TAZ, wie aktuell viele russische Zeitungen, solidarisch mit Mediazona, und druckt etwas davon ab?
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: "Dass gegen Bewährungsauflagen verstoßen wurde ist jedoch Fakt."
Wenn man etwas behauptet, sollte man es begründen. "Das ist Fakt" ist keine Begründung. Das ist in diesem Fall sogar 100% falsch.
Im vorliegenden Fall (Prozess "Yves-Rocher") ist im Jahre 2017 der Russische Staat in letzter Instanz (EGMR) Herrn Navalny unterlegen, woraus nicht nur die Unwirksamkeit des ursprünglichen Urteils (von 2014) erfolgt, sondern auch der sonstigen rechtlichen Folgen, hier: Bewährungsauflagen. Mit der Aufrechterhaltung der Bewährungsauflagen, einfach "weil wir es können", hat der Russische Staat einen Rechtsbruch begangen, er hat nämlich die verbindliche Entscheidung des EGMR unvollständig umgesetzt.
Deshalb gab es in Scheremetwo niemanden zu verhaften, und auf der Polizeistation von Chimki, und am 2. Februar im Moskauer Stadtgericht nichts zu verhandeln. Es gibt, juristisch betrachtet, keinen Verhandlungsgegenstand.
Man sollte die "Bewährungsauflagen" als das benennen, was sie ab der EGMR-Entscheidung 2017 waren: Eine rechtswidrige Repressionsmaßnahme des Russischen Staates, welcher sich Herr Navalny gewungenermaßen Jahre lang gefügt hat.
zum BeitragBarbara Falk
Das Interessanteste am der gestrigen Verhandlung ist nicht ihr Ausgang, der vorhersehbar war, sondern die Tatsache, dass die dafür vorgesehene Richterin in letzter Sekunde ersetzt (und mittlerweile entlassen) wurde, und dass der Vorsitzende des betreffenden Gerichts gestern seine Kündigung eingereicht hat. Die Richter, auch die willfährigen und handverlesenen, die die politischen Fälle auf den Tisch kriegen, sind ja nicht blöd und wissen genau, dass sie Staftaten begehen, wenn sie solche Urteile fällen. In dem kafkaesken jurischten Theater seit Nawalnys Rückkehr haben also (bislang) drei Richter ein Ticket fürs Gefängnis gebucht, und zwei haben sich für die Selbstrettung (oder auch ihr Gewissen) entschieden.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Meinen Sie mit "Eliten" die herrschende Kleptokratie, oder wen? Ich sehe nicht, dass Navalny da "taktische Umwege" gehen würde. Im Gegenteil, "Frontalangriff" muss man das wohl nennen.
Sie finden, Nawalny sei der Falsche, und Russland habe eine "bessere Opposition" verdient. Ist das jetzt eine abstrakte, theoretische Forderung ihrerseits, oder haben Sie da eine konkrete Person im Sinn? Dann würde mich interessieren, wer das sein soll.
Herr Nawalny wird ja jetzt bis zum Ende des Putinimus (wie auch immer dieses sich gestalten wird) im Gefängnis sitzen. Die politische Bühne ist also frei, und alle besser geeigneten Oppositionspolitiker Russlands können sich nun frei entfalten und zeigen, was in ihnen steckt.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Nawalny ist ein wertkonservativer Liberaler, der vor über einem Jahrzehnt nach Allianzen am rechten Rand gesucht hat. Wie weit er sich in den vergangenen Jahren von solchen Positionen wegbewegt hat, versteht jeder, der seinen Blog und vor allem sein praktisches politisches Handeln verfolgt. Die russischen Rechten jedenfalls verstehen das, und beschimpfen ihn seit Jahren als „westlichen Liberalen“.
Ich finde es deshalb nicht sinnvoll, sein politisches Programm aus zwölf Jahre alten Entgleisungen abzuleiten. Nawalny hat für seine Präsidentschaftskampagne 2017 ein Programm vorgelegt und seitdem vertieft und erläutert hat. z.B. aktuell hier (mit englischen Untertiteln):
www.youtube.com/watch?v=zflfa6jAKPE
Neben Übergangsforderungen (Freilassung der politischen Gefangenen, freie Wahlen, Aufhebung der repressiven, gegen Grundrechte gerichteten Gesetze der Putinzeit) formuliert er konkrete Reformziele und legt dar, wie er sie praktisch umsetzen will. Etwa: Beschneidung des Präsidentenamtes und Stärkung des Parlaments, hin zu einer parlamentarischen Demokratie, Wiederherstellung der von Putin de facto zerstörten föderalen Verfasstheit des Russische Staates, mit weitreichender Autonomie der Regionen und der großen Städte. Wiederherstellung eine unabhängigen Justiz, Korruptionsbekämpfung, Reform des Strafvollzugs, Maßnahmen zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, Befreiung der Gewerkschaften von staatlicher Kontrolle, massive Investitionen ins Bildungswesen, Restitution des in der Putinära gestohlenen Staatseigentums, „Wiedergutmachung“ durch Sonderbesteuerung für in den „wilden“ 90er Jahren (also vor Putin) privatisierte Staatsbetriebe.
Wie man den außenpolitischen Scherbenhaufen des Putinismus beseitigen wird, weiß in der russischen Opposition (und nicht nur dort) wohl niemand so recht. Nawalnys Position diesbezüglich würde ich wie folgt umreißen: Beendigung der imperialen Überdehnung, die Russland komplett überfordert, und Annäherung an die EU.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Der böse Nazi Nawalny. Getretener Quark wird breit, nicht stark.
Ich hoffe, ich erschüttere Ihr Weltbild nicht allzusehr, wenn ich Ihnen verrate, das der böse Herr Nawalny (beispielsweise) im Herbst 2019 einem Dutzend kommunistischer Oppositionspolitiker zu Mandaten im Moskauer Stadtparlament verholfen hat.
Und eine reine Verständnisfrage: Inwiefern ist er ihrer Meinung nach "nicht besser als Putin"? Bitte erläutern.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Der politische Ansatz von Herrn Navalny beruht auf der (völlig richtigen) Erkenntnis, dass zum Herrschaftsintrumentarium eines totalitären Regimes unabdingbar (!) eine Staatspartei mit faktischer Monopolstellung gehört. Ganz ohne Staatspartei und imitierte Demokratie regiert man kein Volk von 140 Mio Menschen. Im vorliegenden Falle heißt die Partei "Einiges Russland". Und diese Partei ist spätestens seit der Pensionsreform 2018 extrem unbeliebt im Volk. Und Nawalny hat in den (regionalen) Wahlen der letzten Jahre gezeigt, dass und wie dieses Monopol durchbrochen werden kann. Die Entscheidung, ihn zu ermorden, kam ja nicht von ungefähr.
zum BeitragBarbara Falk
[Re]: Nordstream 2 hat für Herrn Putin und seine Freunde den Zweck weitgehend erfüllt: Für den russischen Teil der Finanzierung, rund 5 Mrd Euro für die Pipeline, und nochmal 5 Mrd für das russlindeinterne Zuleitungsnetz, hat Gazprom sich bei russischen Banken verschuldet, das Geld hat sich Putins Spezi Timtschenko, der die Pipeline baut, längst eingesackt, und Gazprom (=russischer Steuerzahler), wird diese Schulden jahrelang zurückzahlen. Wenn das Projekt jetzt einseitig gekündigt wird, werden Gazprom und die deutschen Co-Finanziers (nochmal 5 Mrd) die Hand aufhalten und sich für ihr willkürlich gestopptes Energie-Infrastrukturprojekt völlig zurecht, unter Berufung auf den Internationalen Energiecharta-Vertrag, mit 15 Mrd Euro vom deutschen Steuerzahler entschädigen lassen. Da freut sich Herr Putin ein zweites Mal.
Gut, wenn er die Pipeline nicht hat, kann er damit nicht der Ukraine schaden (die ihre Durchleitungsgebühren verliert). Aber zum "Der-Ukraine-schaden" fällt Herrn Putin sicher was Neues ein.
Nordstream 2 ist ein von Anfang an absolut skandalöses, rein politisches Projekt gewesen, aber es jetzt zu beenden ist reines Symbolhandeln, was (siehe oben) Putin sogar finanziell und politisch in die Hände spielen würde. Wenn der deutsche Staat meint, 15 Mrd Euro (Entschädigung) dafür über zu haben, sind die in eine Unterstützung der russischen Zivilgesellschaft sicher besser investiert.
Viel wirksamer und wichtiger ist jetzt die Sanktionierung von Personen aus seinem Umfeld. Die rechtliche Grundlage dazu hat ja die EU geschaffen, belibt zu hoffen, dass es jetzt nicht bei warmen Worten a la "zutiefst beunruhigt" blablabla, bleiben wird.
zum BeitragBarbara Falk
Und, Herr Clasen, Sie schreiben: "Vor wenigen Tagen waren Vertreter von Facebook, Tiktok und Telegram vorgeladen worden, weil sie Aufrufe zu Demonstrationen nicht aus dem Netz genommen hatten. Wie lange wird es dauern, bis die Behörden Youtube und Facebook auf den Index setzen?"
Leider erzählen Sie den Lesern nicht, welche praktischen Auswirkungen diese "Vorladungen" der letzten zwei Wochen gehabt haben, deshalb tue ich es: Gar keine. Was Sie damit meinen, der russische Staat könne Youtube oder Facebook "auf den Index setzen", ist mir auch nicht klar? Youtube "verbieten", oder was?
zum BeitragDavon beispielsweise, Telegram zu bockieren, schwadroniert und träumt das Putin-Regime schon seit Jahren, nichts als heiße Luft.
Russland ist nicht China, zum Glück. Die Verteidigung des freien Internets durch eine umfassende Protestbewegung ist einer großen Erfolge der russischen Zivilgesellschaft in den letzten Jahren (Stichwort digital resistance, 2018).
Und, um auf die 100 Mio Klicks von Nawalnys Film zurückzukommen. Der wird in die Geschichte eingehen. Nicht wegen seines Inhalts (es werden dort ja im Großen und Ganzen bekannte Tatsachen zusammengefasst und anschaulich und unterhaltsam vorgeführt). Sondern weil dieser Film den Wendepunkt markiert, an dem die Putinische Propagandamaschine ihre Vorherrschaft verloren hat. Stell dir, vor, Kiseljow hetzt, und keiner hört zu...
Barbara Falk
Öhem Herr Clasen, "gerade mal ein paar Tausend"? Und das wussten Sie gestern schon, als sie den Kommentar geschrieben haben, während die russische Opposition und russische unabhängige Medien noch dabei sind, sich einen Überblick über die gestrigen Ereignisse in rund 200 Städten zu verschaffen, und frühestens heute oder morgen eine vorläufige Schätzung vorlegen werden. Letzte Woche: rund 250.000 Demonstranten landesweit, alles deutet daraufhin, dass die Zahl letzten Sonntag höher war, trotz massiver Polizeigewalt und sonstiger Repressionen (ruinöse Geldstrafen, Arreststrafen, Entlassung aus dem Staatsdienst, Zwangsexmatrikulation).
Ihre Ausführungen bezüglich "Geldstrafen wegen Sanitärauflagen" sind in zweierlei Hinsicht sachlich falsch. Erstens wurden die maßgeblichen Oppositionellen aus Navalnys Umfeld nicht zu "Geldstrafen" verurteilt, sondern (in einer maßlosen Überschreitung angemessener Rechtsmittel) zu zweimonatigem Hausarrest wegen strafrechtlicher Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Seuchenschutzgesetz. Zweitens reichen Geldstrafen nicht aus, um jemandem in Russland das passive Wahlrecht zu entziehen (so weit ist es zum Glück noch nicht).
Sie sind der Ansicht, das alles werde sich nicht auf die Dumawahlen auswirken, weil die den Russen egal sin. Ich halte das für eine krasse Fehleinschätzung. Das von Putin letzen Oktober für diese Wahl vorgegebene "Planziel" einer Zweidrittelmehrheit für "Einiges Russland" war schon im Herbst unrealistisch (selbst nach offiziellen Umfrage ist das eine 25%-Partei) , nach den Ereignissen der letzten Monate muss man sagen: Völlig utopisch. Wer (und das haben Sie als Russland-Fachmann der TAZ ja bestimmt) den Moskauer Kommunallwahlkampf 2019 beobachtet hat, weiß, wie der Dumawahlkampf 2021 aussehen wird, aber jetzt nicht nur in einer Großstadt, sondern landesweit: Das Regime schlägt mit aller Härte auf die Opposition ein, und wird sich am Ende doch eine blutige Nase holen, da werden auch Wahlfälschungen nicht mehr helfen.
zum BeitragBarbara Falk
Und zum von Frau Oerten angesprochenen „Märtyrertum“ (?) und den Auswirkungen der Recherchen von Christo Grozev (Bellingcat) und der Filme, die Nawalny darüber gemacht hat: Wenn jemand eigenhändig einen politischen Mordversuch gegen sich selbst (mit)aufklärt und im Zuge dessen fast eine Stunde lang seelenruhig vor laufender Kamera mit einem der Täter telefoniert (gab es so etwas überhaupt schon mal?) spekuliert er sicher nicht auf eine Opferrolle und Zustimmung aus Mitleid, sondern zeigt sich als sehr starke, aktive und autonom handelnde Persönlichkeit. Nawalny hat im Dezember allen, egal ob Anhänger, indifferent, oder Gegner, gezeigt, wo der Hammer hängt. Auch das ist seine politische Dividende.
Und die ganze Wirkung dieser Enthüllungen ist noch überhaupt nicht abzusehen. Die Recherchen haben erst angefangen, weitere Nachweise von außergerichtlichen Hinrichtungen des Geheimdienstes werden folgen. Dabei ist gar nicht das Wichtigste, ob und wie viele oppositionell gesinnte Menschen deshalb zu dezidierten Nawalny-Anhängern mutieren, sondern wie stark innerhalb der systemerhaltenden Eliten – z.B. Medien, Polizei, Gerichte, Scheinopposition (KPRF, LPDR), Alibi-Liberale a la Gref, Najbullina – die Bereitschaft erodieren wird, einem Präsidenten zuzuarbeiten, der seit Jahren Menschen, die seine Kreise stören (und das sind nicht nur Oppositionelle!), vom Geheimdienst ermorden lässt. Nicht, dass das eine neue Erkenntnis wäre, aber nun ist es bewiesen und von Putin am 17. Dezember 2020 vor laufenden Kameras quasi offen zugegeben, das ist etwas anderes wie „schon immer irgendwie geahnt“.
Der Kreml leugnet nichts, schweigt und hofft vielleicht, keine Ahnung, dass es „vorübergeht“. Was unwahrscheinlich ist. Auf die Ausrede: „Das wusste ich nicht“ kann sich von nun an niemand, der für dieses Regime arbeitet oder der es verteidigt, berufen. Dafür hat, neben Christo Grozev, Alexei Nawalny gesorgt, und natürlich verschafft ihm auch das eine politische Dividende.
zum BeitragBarbara Falk
Auf welche Quelle bezieht sich Frau Oerten, wenn sie schreibt, dass die Zustimmung für Nawalny nach seinen beiden Filmen im Dezember in einem Maße gesunken sind, das über statistisches Rauschen hinausgeht?
Die politische Reichweite Nawalnys an Zustimmungwerten zu messen, ist nicht zielführend, weil ihm das passive Wahlrecht entzogen wurde und weil ihm seit Jahren verweigert wird, eine Partei zu registrieren, obwohl er alle gesetzlichen Voraussetzungen dafür in mehreren Anträgen bei der Zentralen Wahlkommission erfüllt hat. Nawalny steht also in absehbarer Zukunft, etwa bei den Dumawahlen im September 2021, nicht zur Wahl.
In Russland gibt es quasi keine unabhängigen Meinungsforschung. Auch sind in autoritären Regimen alle Ausagen über politische Präferenzen einem Bias zugunsten der Herrschenden unterworfen. Trotzdem geben die Umfragen der letzten Monate ein interessantes Bild, z.B. ist Nawalnys Bekanntheitsgrad stark angestiegen. Laut Lewada-Center wussten im September 2020 82% (!) der Befragten, wer Alexei Nawalny ist (im Mai 2013: 41%). 54 % derjenigen, die ihn kannten, hatten eine „negative“ oder „indifferente“ Einstellung. Das verwundert nicht, denn viele kennen Nawalny nur aus den Staatsmedien. Die gestiegene Bekanntheit geht darauf zurück, dass der Kreml im Sommer von seiner bisherigen Strategie – totschweigen, ausgrenzen – zu massiver Diskreditierung übergegangen ist. Diffamierungskampagnen gab es auch vorher, aber nicht im Dauerfeuer, sondern nur „dosiert“, um genau den jetzt eingetretenen Effekt zu vermeiden. Zu erfahren, dass es einen Politiker überhaupt gibt, ist der erste Schritt der Meinungsbildung, die Ansichten über diese Person entwickeln (und verändern) sich erst danach, und mitunter, gerade in Umbruchsituationen, sehr schnell. Allein der hohe Bekanntheitsgrad ist bereits eine große politische Dividende aus dem Mordanschlag. Was sich daraus entwickelt, man wird sehen.
Quelle zur Umfrage: www.levada.ru/en/2...02/alexey-navalny/
zum BeitragBarbara Falk
Ganz so einfach wird das mit dem Einsperren nicht werden. Die betreffende Bewährungsstrafe von 3,5 Jahren, die jetzt angeblich in eine reale Haftstrafe umgewandelt werden soll, beruht auf dem Urteil im sog. Yves-Rocher-Prozess, welches Navalny und sein mitverurteilter Bruder Oleg erfolgreich vor dem EGMR angefochten haben. Quelle: hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-161861
Insgesamt haben die Brüder Navalny beim EGMR rund 150.000 Euro Kompensation erstritten, die von Russland auch gezahlt wurden (Schadenersatz, Anwaltskosten, Rückzahlung gezahlter Geldstrafen, Haftentschädigung für Hausarrest während des Prozesses). Die Nichtaufhebung der Bewährungsstrafe aus diesem Prozess ist mindestens Rechtsbeugung, oder auch Rechtsbruch des Russischen Staates, der sich wie alle Mitgliedsstaaten verpflichtet hat, der Rechtsprechung des EGMR zu folgen. Nach demselben Muster wurde auch im sogenannten Kirovles-Prozess 2013 (Revision 2017) verfahren. Erfolgreiche Anfechtung durch Navalny vor dem EGMR, 56.000 Euro Schadenerstatz erstritten, aber Vorstrafe und Bewährung wurden entgegen dem expliziten (!) Entscheid des EGMR nicht aufgehoben.
Bislang dienten diese juristischen Absurditäten „nur“ dazu, Navalny das Leben schwer zu machen: Willkürlich und kurzfristig angesetzte Meldetermine, und vor allem, mit Verweis auf seine „Vorstrafen“, der Entzug der Anwaltslizenz und des passiven Wahlrechts. Sollte nun tatsächlich ein Gericht eine reale Haftstrafe aussprechen, wird die Sache unweigerlich wieder vor dem EGMR landen, mit vorhersehbarem Ausgang. Das wäre für Putin wohl eher in Schuss ins eigene Knie.
Im Übrigen ist der Gerichtstermin, an dem über die Haftstrafe entschieden werden soll, erst für den 29. Januar anberaumt. Eine rechtliche Grundlage, Herrn Navalny bis dahin in Haft zu nehmen gibt es nicht, von einer kurzfristigen Festnahme am Flughafen zur Feststellung der Personalien etc. abgesehen. „Fluchtgefahr“ werden die Behörden wohl kaum geltend machen können.
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