Präsidentschaftswahl in Frankreich: Warum wählen Linke nicht Macron?

Immerhin geht es bei der Wahl in Frankreich auch darum, Europa gegen den Nationalismus zu verteidigen. Die Antworten sind unbequem.

Ein abgerissenes Wahlplakat des französischen Präsidenten Emmanuel Macron

Sie hassen Europa genauso wie Le Pen: Abgerissenes Wahlplakat von Emmanuel Macron in Lyon Foto: Laurent Cipriane/ap

Warum wählen Linke auch dann nicht den Europäer Emmanuel Macron, wenn es darum geht, gegen Marine Le Pen die liberale ­gegen die illiberale Demokratie zu verteidigen, die offene Gesellschaft gegen politischen Rassismus und Europa gegen den Nationalismus?

Das ist die große Frage vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich an diesem Sonntag. Zwei mögliche und unbequeme Antworten. Erstens: Genau das zeichnet diese Linke aus – dass sie Europa genauso hassen wie Le Pen. Zweitens: Es sind keine Linken, es sind in zentralen Bereichen Rechte.

Nun muss man die Einschätzung und gar Hassgefühle gerade auch der jungen Antikapitalisten verstehen, dass Macron „neoliberal“ und ein „Reichenfreund“ sei und die EU eine Umverteilungsmaschine nach oben. Wenn ich eh nicht Teil der Zukunft zu sein scheine oder sogar täglich ums Überleben kämpfe, dann interessiere ich mich zu Recht erst mal für meine Lage im Hier und Jetzt.

Nur ist es leider so, dass die linkssozialdemokratischen Parteien zwar Weltmeister (oder besser gesagt: nationale Meister?) im Dagegensein sind, aber noch weniger Zugriff auf die real globalisierte Welt finden als die liberalen Parteien, die sie teilweise zu Recht dafür kritisieren. Beziehungsweise: Wenn diese Linken sich dann doch auf die Realität einlassen, verlieren sie ihre linkspopulistisch konditionierten Wähler an Rechtspopulisten, wie man im deutschen Osten sehen kann. Womöglich, weil die subkutane Hookline die gleiche ist: Liberaldemokraten sind arrogant, elitär, asozial und verraten euch. Wir kümmern uns.

Wird Marine Le Pen die nächste französische Präsidentin? In der taz am wochenende vom 23./24. April 2022 schauen wir auf Frankreich vor der Stichwahl, auf die Wäh­le­r:in­nen von Le Pen und auf die, die ihren Wahlsieg am meisten fürchten. Außerdem: Die Linkspartei in der Krise. Und: Wie das „Missoir“ für Geschlechtergerechtigkeit beim Pinkeln sorgt. Ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Der Linkspopulist Mélenchon kommt ohne ostentativen Rassismus aus, aber er spielt einen ähnlichen Song – gegen Europa, gegen die Nato und im Zentrum eine national-soziale Ideologie, autoritär gefärbt. „Unbeugsames Frankreich“? Aus dem Parteinamen trieft ja der Nationalismus. Es ist der Traum von der Gerechtigkeit einer fossilen, homogenen Industriegesellschaft hinter nationalen Grenzen, den auch die Wagenknechtianer favorisieren.

Nun mal im Ernst: Wir leben in einer Umbruchphase, die viel radikaler ist, als wir das mit unserem bisherigen biografischen Glück wahrhaben möchten. Der Élysée-Palast wie auch das Kanzleramt waren viele Jahre die Bastionen des Gestern und des illusionären „Weiter so“. Macron hat das Gestern schon 2017 in die Luft gesprengt und die überforderten Volksparteien auch. Nur ist es auch ihm noch nicht gelungen, Politik des Heute zu machen, weder innenpolitisch noch europäisch – Letzteres vor allem, weil die Yesterday’s-Heroes-Bundesregierung von Union und SPD dazu nicht in der Lage war. Aber nirgendwo ist mehr Staat als in Frankreich, nicht mal in Deutschland. Okay, vielleicht in Polen, wo national-soziale und (­damit?) autoritär-illiberale Politik mehrheits­fähig ist. Wenn auch nicht zukunftsfähig.

Wer aber als Europäer individuelle Freiheit und gemeinsame Zukunft will, der muss sehen, dass die Zukunft der Freiheit aus erneuerbaren Energien, sozialem Ausgleich, europäischer Verteidigungsfähigkeit und „planetarischer Verantwortungspolitik“ (Joschka Fischer) besteht. Wer da den Unterschied zwischen Macron und Le Pen nicht sehen kann, ist nicht links, sondern geistig herausgefordert. Und wer die Gemeinsamkeiten zwischen der rechten Le Pen und dem linken „Unbeugsamen Frankreich“ ignoriert, ist blind.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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