+++Vor 25 Jahren rettete die Genossenschaft die taz.
Heute ist weit mehr bedroht als eine einzelne Zeitung, sagt Mathias Döpfner
In Jugoslawien beginnt der Kroatienkrieg, die Sowjetunion zerfällt und im wiedervereinigtenDeutschland wählt der Bundestag Helmut Kohl zum dritten Mal zum Bundeskanzler.
Das ist das Jahr 1991. Alles, was berichtenswert ist, ordnen Zeitungen zuverlässig ein. Von der Weltbis zur taz, die in diesem Jahr ihre Genossenschaft gründet, von der Bildbis zur FAZ.Die Leser dankten es den Redaktionen, sie hatten, zugegebenermaßen, keine andere Wahl. Und wer das Publikum in Deutschland erreichen wollte, der musste Werbung in der Zeitung schalten.
Das Geschäftsmodell war einfach und erfolgreich. Die vierte Macht im Staat war deshalb finanziell stark genug, um Unternehmen und Politikern jederzeit aufrecht gegenüberzustehen. Auch wenn nie besonders reich, aber stets besonders kritisch: die taz. Im Jahr 1991 lernte außerdem ein Einjähriger namens Evan in Los Angeles gerade laufen.
Er stand natürlich nicht in der Zeitung, heute dagegen schon. Evan Spiegel, Erfinder von Snapchat, ist mit 27 Jahren Milliardär. Und nur eines von vielen Beispielen dafür, wie schnell sich die Medienwelt verändert. Für die Verlagsbranche sind das zunächst ausgezeichnete Entwicklungen. Niemals konnten Journalisten mehr Menschen mit ihrer Arbeit erreichen. Reporter berichten, nur mit ihrem Handy ausgestattet, live von Kriegsfronten, vom Börsenparkett und aus den Parlamenten.
Doch Konzerne wie Snapchat, Google und Facebook deuten an, dass sie mehr sein wollen als die technischen Anbieter. Falls die Kalifornier Ernst machen, wird Facebook der Medienkonzern mit der größten Reichweite aller Zeiten. Das wäre das Gegenteil jener Medienvielfalt, die die Demokratie benötigt. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.
Der Prozess hat bereits begonnen. Regelmäßig lässt Facebook Bilder, Texte und Videos auf der eigenen Plattform verschwinden, darunter einige der berühmtesten Gemälde und Fotografien aller Zeiten. Ehemalige Mitarbeiter berichten, dass sie redaktionell in die Themenverbreitung eingreifen mussten. Das Problem wird von der Bundesregierung vergrößert statt bekämpft. Künftig soll Facebook gegen „Fake News“ vorgehen, als wäre der Kampf gegen Enten und Fehlinformationen nicht eine uralte Aufgabe von Redaktionen. Einige deutsche Redaktionen haben erklärt, dass sie den Kaliforniern bei dieser Aufgabe helfen können. Sie laufen Gefahr, eine ihrer wichtigsten Fähigkeiten an Oligopolisten mit Milliardengewinnen zu verschenken.
Nicht der erste unfaire Handel mit einem Tech-Konzern: Google hat mit Google News ein einträgliches Geschäft aufgebaut. Es basiert auf den Texten, die aus Redaktionen kommen. Geld bezahlt Google dafür nicht. Fairer Wettbewerb sieht anders aus. Defätistisch könnte man anmerken: Was soll’s?
Für deutsche Verlage ist Wettbewerbsverzerrung Alltag. Munter baut der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Angebot aus, im Internet und in Apps sind oft kaum Unterschiede zu den Angeboten deutscher Verlage zu erkennen. Diese durch eine Art Steuer finanzierte Konkurrenz ist wegen ihres Jahresbudgets von circa 8 Milliarden Euro kaum zu schlagen. Dagegen steht die Kreativität Hunderter Zeitungsmarken, die alle nicht nur um inhaltliche Exzellenz, sondern um ein digitales Geschäftsmodell ringen. Die taz hat es 1991 geschafft, das drohende Aus mit der Hilfe ihrer Leser abzuwenden. Das war bewundernswert.
Heute geht es um die Zukunft der ganzen Branche. Dennoch sollten wir genauso wenig nach dem Staat rufen, wie es die taz vor 25 Jahren getan hat. In der Phase der Transformation benötigt die Verlagsbranche stattdessen neben wirtschaftlichem und intellektuellem Wettbewerb Einigkeit in den ganz grundsätzlichen medienpolitischen Fragen. Einigkeit, die sicherstellt, dass künftig weiter gestritten werden kann. Im Wettbewerb und vor allem in der gesellschaftlichen und politischen Debatte. Und da, ja, liebe taz-Genossen, sind sogar Allianzen zwischen taz und Bilddenkbar.
Mathias Döpfner