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Offizielles Gedenken zum 7. OktoberDas Leid der anderen

Daniel Bax

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Daniel Bax

Zum Jahrestag des Terrorangriffs der Hamas wurde offiziell der Opfer in Israel gedacht. Palästinenserinnen und Palästinenser blieben außen vor. Warum?

Vor dem Brandenburger Tor in Berlin wurde mit 1.100 Stühlen an die Opfer des Hamas-Überfalls am 7. Oktober 2023 gedacht Foto: Lilli Förter/dpa

D eutschland ist im Gedenken gespalten. Der Opfer des Hamas-Terrorangriffs in Israel wurde zum Jahrestag an vielen Orten offiziell gedacht. Vor dem Brandenburger Tor in Berlin wurden morgens die Namen der Ermordeten verlesen, später wurden Stühle zu ihrem Gedenken aufgestellt. Abends strahlte dort in Lichtbuchstaben die Forderung, die Geiseln zu befreien: „Bring them home now“. Mehrere Bundesländer und Rathäuser hissten die israelische Flagge oder ordneten Trauerbeflaggung an – auch der Bundestag.

Die Spitzen der Republik bekundeten persönlich ihre Anteilnahme: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach in Leipzig mit Jüdinnen und Juden, Bundeskanzler Friedrich Merz rief zur Solidarität mit ihnen auf, und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner empfing Angehörige von israelischen Opfern. So weit, so einseitig. Palästinenserinnen und Palästinenser blieben außen vor.

In Deutschland lebt die größte palästinensische Gemeinde Europas. Für sie markiert der 7. Oktober den Beginn eines präzedenzlosen Krieges, von Vertreibung und Völkermord. Über 60.000 Menschen hat die israelische Armee im Gazastreifen getötet, darunter mindestens 20.000 Kinder. Allein seit Trump seinen „Friedensplan“ ausgerufen hat, gab es dort über 100 Tote. Doch in deutschen Medien ist das bestenfalls eine Randnotiz, und im offiziellen Gedenken kommen Palästinenserinnen und Palästinenser gar nicht erst vor.

Das Leid der Menschen im Gazastreifen lässt sich nicht mit dem Leid auf israelischer Seite aufwiegen. Man kann die Toten nicht verrechnen. Warum aber sollte Gedenken ein Nullsummenspiel sein? Warum ist das offizielle Deutschland so empathielos und kalt, wenn es um Palästinenserinnen und Palästinenser geht? Warum tut es sich so schwer damit, anzuerkennen, dass auch sie Opfer sind? Statt zu fragen, wie es ihnen hierzulande geht, werden sie seit zwei Jahren mit Ermahnungen und Repressionen überzogen, und zu antipalästinensischem Rassismus gibt es weder Studien noch ein öffentliches Interesse daran.

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Die Komplexität des Konflikts anerkennen

Zur Komplexität des Konflikts gehört zudem, dass die letzten Geiseln schon längst zu Hause wären, hätte sich Israels Premierminister Benjamin Netanjahu schon früher auf eine Verhandlungslösung eingelassen. Doch sein Hauptziel war nicht ihre Befreiung, sondern die Vertreibung und Entrechtung der Palästinenserinnen und Palästinenser.

Wer angesichts dieser Komplexität einseitig Partei nimmt, macht es sich zu einfach. Jedes staatlich organisierte Gedenken verliert seine moralische Autorität, wenn es diese Komplexität ignoriert. Und jedes „Nie wieder“ ist wertlos, wenn es nicht für alle gilt.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax arbeitet als Themenchef im Regieressort der taz. Er ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus.
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8 Kommentare

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  • Vielleicht weil es wenigstens an diesem Jahrestag einmal um die israelischen Opfer gehen sollte, während sonst vor allem für die palästinensischen Opfer demonstriert wird? Dass die Pali-Soli, die sonst global gerade immer und überall Öffentlichkeit hat, das nicht aushält ist so vielsagend wie bezeichnend.

  • "Wer angesichts dieser Komplexität einseitig Partei nimmt, macht es sich zu einfach."



    Richtig - aber dann sollte die Überschrift wohl lauten: Das Leid der einen - und der anderen.

    • @Auweiowei:

      Die Blindheit für das Leid der (jeweils) anderen ist auf beiden Seiten das Problem. Deshalb trifft es die Formulierung sehr gut. David Neuhaus hat das wenige Tage nach den Angriffen vom 7. Oktober ausgezeichnet auf den Punkt gebracht.



      www.katholisch.de/...ektiven-selbstmord

  • Und ich hatte mich gerade noch gewundert, wie man an gerade diesem Tag eine „Propalästina“ - Demo anmelden kann. Aber wahrscheinlich können manche nicht anders, der Redakteur wohl auch nicht.

  • "„Nie wieder“ ist wertlos, wenn es nicht für alle gilt."

    Identifikation erschwert die Komplexität des Konflikts anzuerkennen. Auch darum fließen Tränen einseitig.auf allen Seiten. Das ist natürlich. (Auch) deswegen entwickelten Menschen die Menschenrechte und das Völkerrecht. Staatliches Gedenken verlangt daher im Rechtsstaat die Orientierung daran.

  • Die große palästinensische Gemeinde hat am Anschluss des 07.11.2023 in Berlin schon ausgiebig gefeiert. Wenn jetzt den Opfern des 07.11. gedacht wird, so muss nicht zwangsläufig den palästinensischen Opfern gedacht werden. Es finden hierzu schon genügend unfreundliche Demonstrationen statt, wo den Opfern des Terrors vom 07.11. ebenfalls nicht gedacht wird.

    • @Puky:

      Hat ja wieder nicht lange gedauert, bis jemand behauptet, dass alle Palästinenser die Terroristen unterstützen.

    • @Puky:

      So ist es.