Offizielles Gedenken zum 7. Oktober: Das Leid der anderen
Zum Jahrestag des Terrorangriffs der Hamas wurde offiziell der Opfer in Israel gedacht. Palästinenserinnen und Palästinenser blieben außen vor. Warum?

D eutschland ist im Gedenken gespalten. Der Opfer des Hamas-Terrorangriffs in Israel wurde zum Jahrestag an vielen Orten offiziell gedacht. Vor dem Brandenburger Tor in Berlin wurden morgens die Namen der Ermordeten verlesen, später wurden Stühle zu ihrem Gedenken aufgestellt. Abends strahlte dort in Lichtbuchstaben die Forderung, die Geiseln zu befreien: „Bring them home now“. Mehrere Bundesländer und Rathäuser hissten die israelische Flagge oder ordneten Trauerbeflaggung an – auch der Bundestag.
Die Spitzen der Republik bekundeten persönlich ihre Anteilnahme: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach in Leipzig mit Jüdinnen und Juden, Bundeskanzler Friedrich Merz rief zur Solidarität mit ihnen auf, und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner empfing Angehörige von israelischen Opfern. So weit, so einseitig. Palästinenserinnen und Palästinenser blieben außen vor.
In Deutschland lebt die größte palästinensische Gemeinde Europas. Für sie markiert der 7. Oktober den Beginn eines präzedenzlosen Krieges, von Vertreibung und Völkermord. Über 60.000 Menschen hat die israelische Armee im Gazastreifen getötet, darunter mindestens 20.000 Kinder. Allein seit Trump seinen „Friedensplan“ ausgerufen hat, gab es dort über 100 Tote. Doch in deutschen Medien ist das bestenfalls eine Randnotiz, und im offiziellen Gedenken kommen Palästinenserinnen und Palästinenser gar nicht erst vor.
Das Leid der Menschen im Gazastreifen lässt sich nicht mit dem Leid auf israelischer Seite aufwiegen. Man kann die Toten nicht verrechnen. Warum aber sollte Gedenken ein Nullsummenspiel sein? Warum ist das offizielle Deutschland so empathielos und kalt, wenn es um Palästinenserinnen und Palästinenser geht? Warum tut es sich so schwer damit, anzuerkennen, dass auch sie Opfer sind? Statt zu fragen, wie es ihnen hierzulande geht, werden sie seit zwei Jahren mit Ermahnungen und Repressionen überzogen, und zu antipalästinensischem Rassismus gibt es weder Studien noch ein öffentliches Interesse daran.
Der Israel-Palästina-Konflikt wird vor allem in linken Kreisen kontrovers diskutiert. Auch in der taz existieren dazu teils grundverschiedene Positionen. In diesem Schwerpunkt finden Sie alle Kommentare und Debattenbeiträge zum Thema „Nahost“.
Die Komplexität des Konflikts anerkennen
Zur Komplexität des Konflikts gehört zudem, dass die letzten Geiseln schon längst zu Hause wären, hätte sich Israels Premierminister Benjamin Netanjahu schon früher auf eine Verhandlungslösung eingelassen. Doch sein Hauptziel war nicht ihre Befreiung, sondern die Vertreibung und Entrechtung der Palästinenserinnen und Palästinenser.
Wer angesichts dieser Komplexität einseitig Partei nimmt, macht es sich zu einfach. Jedes staatlich organisierte Gedenken verliert seine moralische Autorität, wenn es diese Komplexität ignoriert. Und jedes „Nie wieder“ ist wertlos, wenn es nicht für alle gilt.
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