Kritik an Methoden der Klimabewegung: Warum Klimaaktivismus alles darf
Olaf Scholz spricht der Klimabewegung ihre Redlichkeit ab. Sie sei nicht an einer Diskussion interessiert. Richtig: Denn Klimakrise ist keine Meinung.
E s war ein Offenbarungseid: Olaf Scholz, den „Klimakanzler“, erinnern Zwischenrufe von Klimaaktivist*innen während einer Podiumsdiskussion an „eine Zeit, die lange zurückliegt, und Gott sei Dank“. Er ist der Meinung, sie würden Veranstaltungen für ihre persönlichen Zwecke manipulieren und seien an keiner Diskussion interessiert.
Der offenkundige Vergleich zu nationalsozialistischen Praktiken ist dabei sicherlich am empörendsten. Für die Debatte um die Bewältigung der Klimakrise viel entscheidender ist jedoch das grundlegende Fehlverständnis der Problematik, dem nicht nur Scholz, sondern die meisten Kritiker*innen der Klimabewegung unterliegen.
Das Fehlverständnis, es ginge bei der Klimakrise um eine Haltung, eine Meinung, die unterschiedlich sein kann und diskutierbar ist. Geht es nicht. Es geht um die Anerkennung eines wissenschaftlich breit und eindeutig belegten Fakts, der uns alle betrifft. Nicht irgendeines Fakts, sondern der Tatsache, dass wir schon in den nächsten Jahren das einzigartige ökologische Gleichgewicht einbüßen werden, dass die gesamte bisherige Menschheitsgeschichte begleitet hat – unsere Lebensgrundlage.
Die Klimakatastrophe wird unsere Gesellschaft, wie wir sie kennen, über den Haufen werfen. Sie wird unzählige Tode und Verteilungskämpfe nach sich ziehen, in Größenordnungen, die wir uns heute kaum vorstellen können. Sie wird uns um existenzielle Ressourcen bringen, um Land, um Wasser, um Nahrung und um eine gesundheitsverträgliche Temperatur. Ressourcen, für die nicht einfach Alternativen gefunden werden können, und ohne die wir nicht leben können.
Eine lebensbedrohliche Wahrheit
Die aktuellen globalen Krisen sind zum Teil bereits Folgen des Klimawandels – und doch nur ein Vorgeschmack: Getreide ist knapp, weil in Indien eine Hitzewelle, die früher ein Jahrtausendereignis gewesen wäre, große Teile der Ernte vernichtet hat. Öl und Gas werden nicht nur wegen des Kriegs in der Ukraine teurer, sondern auch, weil wir (endlich) CO2 bepreisen. Und schon heute verlassen weltweit Millionen von Menschen ihre Heimat, weil diese in Folge von Hitze und ausbleibenden Niederschlägen nicht mehr bewohnbar sind.
Eine Gesellschaft, die schon durch ein paar Millionen Geflüchtete oder teures Benzin zu zerbrechen droht, sollte sich nicht die Illusion machen, mit einem Vielfachen davon umgehen zu können. Wir werden unsere Ansprüche, lebensqualitativ wie moralisch, noch sehr weit nach unten anpassen müssen. Würden diese Tatsachen anerkannt, gäbe es überhaupt keine Diskussion. Die Dinge, die auf dem Spiel stehen, sind viel zu grundlegend, um darüber verschiedene Meinungen zu haben.
Das Problem liegt, wie Luisa Neubauer es formuliert, darin, dass viele die Klimakrise nicht wahrhaben wollen. Und darum geht es bei Klimaaktivismus: Dass anerkannt wird, wie tief wir alle gemeinsam in der Tinte sitzen. Erst dann kann objektiv über die richtigen Mittel und Wegezu mehr Klimaschutz diskutiert werden. Dass wir seit den 90ern keine vernünftige Klimapolitik betreiben, ist der klarste Beweis dafür, dass das bislang nicht geschehen ist.
Und weil das so ist, darf Klimaaktivismus auch alles. Er muss sich nicht hinten anstellen, denn er vertritt keine Meinung unter vielen, sondern eine objektive und lebensbedrohliche Wahrheit. Diskussionen werden geführt, um alternative Positionen abzuwägen. Aber wollen wir überleben, dann gibt es keine Alternative zu radikaler Klimapolitik. Es geht schon längst nicht mehr um Meinungen.
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