Kundgebung „Aufstand für Frieden“: Lasst mich bloß in Frieden
Mehrere zehntausend Menschen sind dem Aufruf von Schwarzer und Wagenknecht gefolgt. Friedensbewegte vereinigen sich mit der Querdenken-Szene.
Neben Schwarzer und Wagenknecht auf der Bühne stehen unter anderem Ex-Bundeswehrgeneral Erich Vad, der Ex-SPD- und Linken-Vorsitzende Oskar Lafontaine und die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen auf der Bühne – und strahlen. Aus gutem Grund: Trotz Kälte und Schneeregen sind mehr gekommen als die 10.000, die die Veranstalter:innen angemeldet hatten. Von einem „Startschuss für eine neue starke Friedensbewegung“, spricht Wagenknecht.
Die Straße des 17. Juni ist zwischen dem Brandenburger Tor, vor dem die große Bühne aufgebaut ist, und Gerhard Marcks' „Der Rufer“-Statue sehr gut gefüllt. Danach dünnt es bis zum Sowjetischen Ehrenmal, vor dem sich die DKP mit mehreren Transparenten aufgebaut hat, stark aus. Von 50.000 Menschen, die gekommen sind, spricht Wagenknecht. Laut Polizeiangaben sollen es etwa 13.000 sein. Die Wahrheit dürfte wohl irgendwo in der Mitte liegen.
Inmitten der Kundgebung stehen auch drei ältere Männer aus Berlin mit IG Metall-Fahnen. „Es braucht schnellstmögliche, bedingungslose Verhandlungen“, sagt einer von ihnen. „Und die Waffentransporte müssen stoppen.“ Für Letzteres zu sorgen, das sei auch Aufgabe von Gewerkschafter:innen. „Die Rüstungskonzerne gehen durch die Decke, Krieg ist auch ein Geschäftsmodell.“ So aber dürfe Arbeit nicht entstehen.
Die Gewerkschaften würden viel zu wenig gegen den Krieg und die Waffenlieferungen machen, ist das Trio überzeugt. Dass die angegriffene Ukraine aber um die Waffen gebeten habe, um die russischen Angriffe abzuwehren? Das schaffe doch keinen Frieden, wettert der Gewerkschafter und spricht lieber über den ukrainischen Nationalismus. Und die fehlende Abgrenzung nach rechts von Wagenknecht und Schwarzer? Die Männer winken ab. „Wir dürfen doch den Rechten nicht die Straße überlassen.“
Weiter hinten steht ein Mann mit grünem „Frieden mit Russland“-Banner. Dass es eines der rechtsextremen „Freien Sachsen“ ist, hat er kaschiert – das Logo ist abgeschnitten. „Wagenknecht ist wunderbar“, sagt der Mann im rotem Anorak. Würde sie wieder für die Linke stehen, würde er auch wieder die Partei wählen, so wie früher, behauptet er.
Dann schimpft er: „Die Kriegshetzerei muss aufhören“. Seit Jahren sei Russland doch bedrängt worden, seien Menschen im Donbass gestorben. Die russischen Verbrechen wischt der Mann weg. Auch er fordert Verhandlungen, ohne Vorbedingungen. Warum könne die Ukraine denn nicht wie eine neutrale Schweiz sein?
Eine jüngere Frau, auch aus Sachsen, verfolgt das Gespräch. „Die Sache ist nicht so einfach“, räumt die Sozialarbeiterin und zweifache Mutter aus Zittau ein. „Ich bin auch zwiegespalten. Aber ich glaube, es wird momentan nicht genug für Diplomatie getan.“ Sie selbst habe eine Ukrainerin zu Hause aufgenommen, die um ihren Sohn bange, der im Krieg kämpfe. „Dieser Konflikt kann nicht auf dem Schlachtfeld gewonnen werde.“ Auf Friedensprotesten sei sie bisher nicht gewesen, Wagenknecht aber gefalle ihr schon lange, deshalb sei sie eigens angereist.
Die wettert unterdessen von der Bühne gegen die grüne Außenministerin Annalena Baerbock, die wie ein Elefant durch einen Porzellanladen trampele. „Von all den grünen Panzernarren fühlen wir uns nicht vertreten“, ruft Wagenknecht in scharfem Ton unter dem Applaus der Menge und „Baerbock raus“-Rufen.
Währenddessen postieren sich am Rande der Kundgebung immer wieder Menschen, die sich solidarisch mit der Ukraine erklären, auch mit Fahnen des angegriffenen Landes – beides fehlt beim Wagenknecht-Schwarzer-Protest völlig. „Solidarität statt Ego-Pazifismus“, reckt ein Mann ein Schild in die Höhe.
Die Kundgebungsteilnehmenden reagieren teils hitzig, teils wird aber auch sachlich diskutiert. „Ich hatte heftigere Reaktionen erwartet“, sagt Mary Killian, die in der Gegenkundgebung steht. „Es gibt offensichtlich Redebedarf.“
Immer wieder betonen Killian und die anderen in der kleinen Gegenkundgebung, dass die Ukrainer:innen ein Recht hätten, ihr Leben zu verteidigen. Dass Putin doch gar nicht zu Verhandlungen bereit sei. Wagenknecht und Teile der Linken sollten „vor Scham in die Hölle sinken, dass sie der Ukraine die Solidarität verweigern“, schimpft Killian. Ihre Hoffnung mit ihrem Gegenprotest: „Vielleicht kommt ja doch einer ins Grübeln, ob wir Recht haben könnten.“
Es gibt ein paar Gegenveranstaltungen an diesem Samstag. Aber sie sind allesamt sehr klein. Auf der anderen Seite des Brandenburger Tors kritisiert ein Häuflein Antifa-Aktivist:innen unermüdlich die Wagenknecht-Demo. Ein Mann am Mikro sagt in Richtung der strömenden „Friedensdemonstrant:innen“: „Wer durch das Tor geht, hat die Arbeiterklasse verraten. Wer durchgeht, wird automatisch ein Nazi.“ Nicht nur auf der Schwarzer-Wagenknecht-Kundgebung gibt es Menschen mit allzu schlichtem Weltbild.
„Die Kampagne gegen uns gipfelte darin, dass man versucht hat, uns in die Nähe der extremen Rechten zu rücken“, beschwert sich Wagenknecht. Daran sehe man, „wie krank die Diskussion in Deutschland inzwischen ist“. Selbstverständlich hätten Neonazis und Reichsbürger „auf unserer Friedenskundgebung nichts zu suchen“. Das verstehe sich doch von selbst. Ist das so?
Nun ja, während Wagenknecht spricht, stehen vor der Bühne im Publikum so einige, die das offenkundig anders sehen. Der verurteilte Holocaust-Leugner Nikolai Nerling ist mit dabei, die AfD ist unter anderem mit dem sachsen-anhaltischen Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider, ihrem sächsischen Landeschef Jörg Urban, dem Berliner AfD-Abgeordneten Gunnar Lindemann und seinem Brandenburger Parteifreund Lars Günther vertreten.
Gekommen ist auch Reichsbürger und Ex-NPD-Funktionär Rüdiger Hoffmann. Neben einem „Wagenknecht, die beste Kanzlerin“-Schild raucht Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer grinsend eine Zigarette. Anders als noch am Samstag zuvor in München ist es für ihn und seine Kameraden in Berlin jedoch nicht ganz so gemütlich. Die Kundgebung muss er eingekreist von „Nazis raus!“ skandierenden linken Demonstrant:innen verbringen. „Mit AfD und Co ist kein Frieden zu machen“ steht auf ihren Schildern.
Mit der Begründung, er wolle die Veranstaltung stören, hatten zuvor bereits die Wagenknecht-Vertraute Dağdelen und der Ostermärsche-Organisator Willi van Ooyen im Namen der Versammlungsleitung versucht, Elsässer von der Polizei entfernen zu lassen. Doch dessen Beteuerungen, die Kundgebung nicht stören, sondern unterstützen zu wollen, erschien den Ordnungskräften offenkundig plausibel – und so durfte der extrem rechte Publizist bleiben, wenn auch isoliert.
Einen Konsens, wie mit Leute wie Elsässer umzugehen ist, gibt es unter den Demonstrierenden nicht. Bezeichnend dafür: Um Verstärkung gegen Elsässer zu holen, sucht ein Linken-Mitglied ein paar Meter weiter in der Menge lautstark nach Mitstreiter:innen. „Nur 30 Meter weiter steht der Querfront-Stratege und Neonazi Jürgen Elsässer“, ruft er. „Wir wollen keine Nazis hier, schließt euch an und drängt ihn mit uns aus der Kundgebung!“ Kaum jemand folgt ihm. Eine ältere Frau fordert ihn auf, er solle nicht so rumbrüllen. Und überhaupt: Gegen den Krieg sein, das ginge ja nur gemeinsam, man solle aufhören mit der ewigen Spaltung.
Ein Mann trägt ein großes Schild mit der Aufschrift: „Linkes Sektierertum und Distanzeritis verhindert den Aufbau einer nachhaltigen Friedensbewegung. Hört endlich auf damit!“ Nicht weit entfernt steht jemand mit QAnon-Symbol um den Hals und genießt die Szenerie.
Neben den dominierenden Weiße-Taube-auf-blauem-Hintergrund-Friedensfahnen kommen auch immer wieder Russlandfahnen zum Vorschein. Hin und wieder kommen Ordner:innen und weisen deren Schwenker:innen daraufhin, dass Nationalfahnen auf der Kundgebung generell nicht erwünscht seien. Die würden sonst medial ausgeschlachtet, erklärt ein Ordner einem unverständigen Demonstranten, der sogar zwei Russlandfahnen mitgebracht hat. Nur widerwillig rollt er sie ein.
Es ist eine merkwürdige Mischung, die sich in Berlin versammelt hat. Viele Slogans und Fahnen stammen aus der Friedensbewegung der 1980er Jahre. Versammelt haben sich „klassische“ Friedensbewegte und zahlreiche Mitglieder der Linkspartei, aber – und zwar unübersehbar – auch sehr viele aus der Coronaleugner:innen- und der sogenannten Querdenken-Szene, die für sich inzwischen den Ukrainekrieg zum neuen Aktionsfeld auserkoren haben.
Es hat den Anschein als bildet die verschwörungsideologische „Querdenken“-Bewegung hier den Kitt zwischen Rechtsextremen, Resten der traditionellen Friedensbewegung und einer antiimperialistischen Linken auf Abwegen. Ringsum halten Teilnehmer:innen Schilder der Kleinpartei „Die Basis“ hoch. Die „Oberhavel Trommler“ trommeln für den Frieden und gegen die Corona-Diktatur. Ein großes Banner verharmlost den Nationalsozialismus, indem darauf in Anlehnung an Goebbels Sportpalastrede steht: „Wollt ihr den totalen Krieg?“
Auf dem Hin- und Rückweg zur Schwarzer-Wagenknecht-Kundgebung kommt es vor der russischen Botschaft Unter den Linden zu mitunter heftigen Wortgefechten. Dort hat eine pro-ukrainische Dauerkundgebung ihren Platz. Ebenso steht dort ein im Ukrainekrieg zerstörter russischer Panzer, den Kriegsberichterstatter und Aktivist Enno Lenze dort aufstellen ließ. Darauf weht eine Ukraineflagge.
Ein Demonstrant, den das offenbar stört, klettert auf den Panzer, schmeißt die Ukraine-Flagge runter und hält stattdessen eine laminierte Russlandflagge hoch, die er wohl irgendwo hinhängen will. Lenze klettert ebenfalls auf den Panzer, hängt die ukrainische Flagge wieder auf, knüllt die russische zusammen. Polizist:innen bitten beide runter und eskortieren den Mann mit der Russlandflagge weg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen