Absturz von Union und Grünen: Parteiapparateritis
Union und Grüne zahlen laut Umfragen einen hohen Preis dafür, den parteiinternen Befindlichkeiten zu entsprechen. Die SPD war da schlauer.
D as Wahlsystem in den USA mag viele Schwächen haben, aber bei der Auswahl des Präsidentschaftskandidaten zeigt sich ein großer Vorteil: Jeder Bewerber und jede Bewerberin muss sich bei den Vorwahlen echten Wähler*innen stellen – ein gnadenloser Realitätscheck. In Deutschland dagegen entscheiden die Parteien, meist sogar nur die Parteispitzen, darüber, wer ins Rennen geschickt wird. Der Absturz der Union und der Grünen in den Umfragewerten ist deshalb keine Überraschung, sondern der Preis für eine wenig erfolgversprechende Parteiapparateritis.
Armin Laschet ist Kanzlerkandidat der Union geworden, weil er der größeren Schwesterpartei angehört. Er konnte die Gremien seiner Partei davon überzeugen, dass die CDU Schwäche zeigen würde, wenn man CSU-Chef Markus Söder den Wettstreit um die Kandidatur gewinnen ließe. Die besseren Umfragewerte für den Konkurrenten – das Einzige, was einem Realitätscheck ein wenig nahekommt – wurden mit dem Argument beiseite geschoben, dass die Parteien hierzulande nun mal über die Spitzenkandidatur entscheiden und nicht die Wähler*innenschaft.
Ähnlich verlief es bei den Grünen. Die Partei entschied nach ihren Parteibedürfnissen. Eine Frau als Kandidatin entspricht dem eigenen Selbstverständnis. Auch die Angst vor einer übermächtigen Figur – wie zuvor Joschka Fischer – dürfte bei vielen Grünen, die Annalena Baerbock statt Robert Habeck unterstützt haben, eine erhebliche Rolle gespielt haben.
Die SPD-Führung, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, hatte dagegen die Größe, auf eigene Ansprüche zu verzichten und Olaf Scholz die Kandidatur zu übergeben. Es hat sich gelohnt.
Die Grünen werden sich damit trösten können, dass sie auf jeden Fall ein besseres Ergebnis erzielen werden als die 8,9 Prozent von 2017 und dass sie als Juniorpartner wohl mitregieren können. Für die Union aber wird es nach jetzigem Stand richtig bitter. Sie erhalten die Machtverhältnisse in der Unionsfamilie und verlieren darüber mit großer Wahrscheinlichkeit die Macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Von wegen Untergang des Liberalismus
Wird der Wahlkampf eine nationale Katastrophe?