551 Fragen im Bundestag: Union attackiert Zivilgesellschaft
Die Union verschärft ihre Drohungen gegen Initiativen gegen rechts: In einer Anfrage stellt sie 551 Fragen zu deren staatlicher Förderung. Die reagieren empört.
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„Staatlich finanzierte Organisationen müssen ihre politische Neutralität wahren“, heißt es in der Anfrage der Union, die der taz vorliegt. Eine „direkte oder indirekte Wahlkampfunterstützung“ für oder gegen eine Partei sei „nicht vereinbar“. Genau dies moniert die Union in eigener Sache. Denn, so heißt es weiter: „Hintergrund sind Proteste gegen die CDU Deutschlands, die teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden.“
Dies, so die Union, werfe die Frage auf, „inwiefern sich gemeinnützige Vereine, die zusätzlich noch mit Steuergeldern gefördert werden, parteipolitisch betätigen dürfen, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu gefährden.“ Mehr noch wird in der Anfrage von einer angeblichen Debatte geraunt über „eine Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt“ – mit Verweis auf einen Welt-Artikel, der über einen „deutschen Deep State“ fabuliert.
Omas gegen Rechts oder Greenpeace im Visier
Akribisch wird sodann in den 551 Fragen an die Bundesregierung um Antworten gebeten, wie viele staatliche Fördergelder verschiedene Initiativen erhalten – und wo es Hinweise auf eine „missbräuchliche“ Nutzung dieser Staatsgelder „für parteipolitische Zwecke“ gebe. Explizit gefragt wird nach Förderungen für die Omas gegen rechts, Correctiv, Campact, attac, der Amadeu Antonio Stiftung, Peta, Animal Rights Watch, Foodwatch, Dezernat Zukunft, die Deutsche Umwelthilfe, die Agora Agra GmbH, Greenpeace, BUND, Netzwerk Recherche, Neue Deutsche Medienmacher und Delta.
Mehrere dieser Organisationen riefen zuletzt mit zu Demonstrationen gegen Rechtsextremismus auf, nachdem die Union im Bundestag einen Tabubruch beging und bei einem Anti-Migrations-Antrag auch auf die Stimmen der AfD setzte. Hunderttausende Menschen protestierten daraufhin bundesweit. Andere Gruppen oder Medien wie Correctiv scheinen der Union anderweitig ein Dorn im Auge zu sein.
Schon kurz vor der Wahl hatte der CDU-Politiker Mathias Middelberg angekündigt, gemeinnützigen Organisationen, die sich an „parteipolitische Aktionen“ gegen die Union oder Merz beteiligten, künftig Staatsgelder zu entziehen. „Ein solches Agieren ist ganz sicher nicht mehr gemeinnützig und auch nicht förderungswürdig durch Steuermittel der Allgemeinheit.“ Middelberg zielt dabei vor allem auf Fördergelder aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben“, das im Bundesfamilienministerium angesiedelt ist. Diese Förderprogramme werde man scharf prüfen „und gegebenenfalls auch ganz streichen“.
„Ein Einschüchterungsversuch, den wir zurückweisen“
Die in der Kleinen Anfragen genannten Initiativen reagierten am Dienstag entsetzt. Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, sprach von einem „Einschüchterungsversuch, den wir entschieden zurückweisen“. Gemeinnützige Organisationen müssten und dürften Missstände benennen und Debatten anstoßen. „Das ist die Aufgabe einer kritischen Zivilgesellschaft“, so Reinfrank zur taz. „Wer Fragen zu unserer Arbeit hat, kann uns anrufen. Demokratie lebt von Kontroversen, nur dann ist sie lebendig.“
Auch Felix Kolb, Mitbegründer der Kampagnenorganisation Campact, auf die sich 24 Fragen der Liste beziehen, sagte, die Anfrage reihe sich „nahtlos in die jüngsten Versuche der Union ein, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und ihr einen Maulkorb zu verpassen“. Kolb warf der Union in der Anfrage eine „Aneinanderreihung von Halbwahrheiten“ vor, die „ein Zerrbild der rechtlichen Rahmenbedingungen für gemeinnützige Organisationen“ zeichneten. „Gemeinnützige Organisationen dürfen die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung beeinflussen und auch Parteien kritisieren – ob es der Union passt oder nicht.“
Noa Neumann von Attac kritisierte ebenso: „Diese Anfrage zeigt: Der zu befürchtende Großangriff auf die emanzipatorische Zivilgesellschaft unter einer Regierung Merz hat begonnen.“ Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit und der Kampf gegen rechts seien der Union offensichtlich ein Dorn im Auge. Sie versuche, Akteure der demokratischen Zivilgesellschaft „gezielt zu diskreditieren und damit schon im Vorfeld der Amtszeit von Friedrich Merz zu schwächen“.
Auch die SPD reagierte irritiert über die Anfrage. „Die Union sollte tunlichst keine Praktiken anwenden, die wir von der AfD kennen“, sagte der gerade wiedergewählte Abgeordnete Helge Lindh der taz. „Die Anfrage erweckt den Anschein eines Generalverdachts und einer Einschüchterung der demokratisch aktiven Zivilgesellschaft.“ Dabei seien Gruppen wie die Omas gegen rechts über jeden Extremismusverdacht erhaben. „Über das Gemeinnützigkeitsrecht kann man sachlich diskutieren. Aber der Union geht es offensichtlich um Gruppen, die sie zuvor kritisiert haben. Das ist nicht nur unsouverän, das ist höchst fragwürdig.“
Kritik auch aus der SPD
Merz hatte gerade erst Kritik der SPD auf sich gezogen, als er kurz vor der Wahl in einer Wahlkampfrede erklärte, er werde künftig Politik machen für eine Mehrheit der Bevölkerung, die noch „alle Tassen im Schrank“ habe und nicht „für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt“. Lindh sagte der taz, diese Äußerung erscheine nun in einem neuen Licht. „Das wirkt jetzt nicht mehr wie ein Ausrutscher, sondern wie ein konzertiertes Vorgehen. Und da sollte sich die Union sehr hüten, in einen AfD-Kulturkampf einzusteigen. Umso mehr, wenn sie gerade eine Regierung bilden will, die sich autoritärer Angriffe auf die Demokratie erwehren muss.“
Scharfe Kritik kam auch von den Grünen. „Die 551 Fragen lesen sich wie eine Abschussliste“, sagte Sven Giegold, stellvertretender Bundesvorsitzender der Grünen, der taz. „CDU und CSU kopieren die Methoden vieler rechter Parteien international, um die kritische Zivilgesellschaft einzuschüchtern.“
Bereits seit Jahren attackiert auch die AfD gemeinnützige Vereine, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren und auch gegen die Partei positionieren – teils auch mit Anzeigen beim Finanzamt. Das rechtsextreme Netzwerk „Ein Prozent“ hatte genau zu solchen Anzeigen aufgerufen und dafür auch einen Leitfaden veröffentlicht.
Die Ampelregierung wollte das Gemeinnützigkeitsrecht eigentlich reformieren, um derartige Angriffe auf Vereine zu verhindern, scheiterte damit aber unter anderem an der Blockade der FDP.
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