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Sprache in Zeiten des KriegsSoll man das Wort „kriegstüchtig“ verwenden?

Wer kein Voll-Pazifist ist, sollte semantische Vermeidungsstrategien abstellen: „Kriegstüchtig“ sagt, worum es geht: einen Krieg führen zu können.

Boris Pistorius (SPD, Verteidigungsminister, beim Besuch eines Panzerbataillon: das Wort „kriegstüchtig“ erstmals offensive benutzt Foto: David Inderlied/Kirchner-Media/imago

D ie Beschäftigung mit sicherheitspolitischen Fragen gilt bei Teilen von unsereins als moralisch verwerflich. Wer realisiert hat, dass die gemütlichen Jahre vorbei sind, und über militärische Verteidigung ernsthaft sprechen will, wird häufig keine argumentativ orientierte Auseinandersetzung auslösen, sondern kurz und knapp als „Bellizist“ eingestuft, der seine und unsere „Ideale“ verrät. Sehr schön zu sehen an Reaktionen auf den sich militärisch weiterbildenden Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter („Panzer-Toni“).

Diese etablierte Kultur war eine notwendige Reaktion auf zwei angefangene Weltkriege, den Holocaust und die unauslöschliche Schuld der Deutschen und trug vermutlich zur Zivilisierung und Demokratisierung der Bundesrepublik bei. Sie folgt zugespitzt der Nachkriegslogik, dass der Deutsche halt genetisch oder ethnokulturell kriegsgeil ist.

Wenn er aber niemand überfallen kann, kann auch keinem was passieren. Durch Putins Angriffskrieg auf Europa ist diese illusionistische Einschätzung in einem Wandlungsprozess, in dem von den Bewahrern jedes Wort vehement abgelehnt wird, das ebenjenen Prozess unterstützen könnte.

Das betrifft ganz besonders das Wort „kriegstüchtig“, das laut dem Potsdamer Militärexperten Sönke Neitzel lange Zeit allenfalls in internen Bundeswehrzirkeln benutzt wurde. Selbst Verteidigungsminister hätten die Begriffe „Krieg“ und „Kampf“ viele Jahrzehnte gemieden. Auch ich habe als Redakteur „kriegstüchtig“ stets aus Texten rausgestrichen und durch „verteidigungsfähig“ ersetzt, weil ich das Gefühl hatte, das Wort sei uns nicht zuzumuten und könne Abokündigungen zur Folge haben.

Sich dem „Zeitenbruch“ stellen

Es war Boris Pistorius, der aktuelle Verteidigungsminister (SPD), der „kriegstüchtig“ erstmals offensiv benutzt hat und damit einen Kulturwandel der Deutschen semantisch voranbringen will, der ihm angesichts des russischen Angriffskrieges und des unsicher gewordenen Schutzes durch die USA notwendig erscheint. Es geht dabei nicht darum, wieder andere Länder zu überfallen (es ist bezeichnend, dass man das sagen muss!), sondern, sich dem „Zeitenbruch“ (Joschka Fischer) zu stellen. Es ist allerspätestens seit 2022 nicht mehr alles gut, solange der Deutsche keine richtige Armee hat.

Die Entwicklung eines feinen und emanzipatorisch grundierten Sprechens markiert einen Fortschritt der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Gerade in Zeiten einer teilweisen Verrohung ist sprachliche Sensibilität essentiell. Gleichzeitig ist aber das verdruckste und euphemistische Sprechen nicht angemessen, wo es um Klarheit geht und nicht mehr prioritär um Rücksichtnahme auf kulturell geprägte Empfindsamkeit, die moralische Exzellenz mit Realitätsverweigerung verwechselt.

„Kriegstüchtig“ sagt unverbrämt, worum es geht und was Sache ist, nämlich mit zeitgemäß ausgebildeten Soldaten und Waffen einen militärischen Angriff tatsächlich abwehren zu können, also einen Krieg führen zu können. Wer kein Voll-Pazifist ist, der sollte in der Lage sein, seine semantischen Vermeidungsstrategien nicht als Tugend zu verstehen, sondern abzustellen. Das heißt alles nicht, dass man für Wehrpflicht sein muss und für einen jährlichen Wehretat von 153 Milliarden Euro, aber man muss in der Lage sein, den Dingen ins Auge zu sehen. Im Moment, sagt Sönke Neitzel, bliebe deutschen Soldaten bei einem ernsthaften Angriff nur eine Option: „Mit Anstand zu sterben.“

Ob das so bleiben soll oder wie genau man das ändert, darüber müssen wir sachlich sprechen können. Und doch zögere ich immer noch, das Wort „kriegstüchtig“ zu benutzen.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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12 Kommentare

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  • Hinter dieser nur scheinbar Taschenspielerei



    Steckt die dümmlich überhebliche “Wir sind wieder wer!“ von GazpromGerd & GriiSoß Joseph F. - die Schland Kriegspartei in zwei - in Worten 2 verfassungs&völkerrechtswidrigen Kriegen einbrachte •

    kurz - Wer kriegstüchtig sagt!



    Der muß auch Kriegsminister Pistorius sagen •

    Na Mahlzeit, da ziehts einem doch die Schuhe aus • “ Herr - führe uns nicht in Versuchung!“

    • @Lowandorder:

      In seiner Heimatstadt, der er einst als OB gedient hat, legte der Tarnfleckminister die Grundlagen für das „erfolgreiche" Programm „(Bau)Ruinen schaffen ohne Waffen".

  • Als Bearbock im Mai 2022 die Befürchtung äußerte, "Deutschland" könnte eventuell "kriegsmüde" werden, schwang der Begriff "kriegstüchtig" als der Gegenbegriff bereits mit.

    taz.de/-Nachrichte...nekrieg-/!5857171/

    Und es schwang so viel deutsche Tradition und so viel Russland mit.

    @Peter Unfried: in Deutschland stehen diese Begriffe nicht für sich, sondern müssen auf ihre mögliche historische Dimension geprüft werden.

    Oder anders gesagt: Warum sollte der Begriff "kriegstüchtig" plötzlich völlig neu und unschuldig daher kommen?

    Eine solche Annahme hielte ich für gewagt. Dazu ist noch zu viel Altes im aktuellen Deutschland.

  • Zunächst fiel mir auf, wie der Autor bei der Erläuterung der semantischen Attacke des BMVg Hr. Pistorius die Begriffe "kriegstüchtig" und "offensiv" elegant zusammenklöppelt und damit dem inkriminierten "kt"-Wort (wieder) ein Geschmäckle verpasst.



    "Sie (die beschriebene vollpazifistische "etablierte Kultur") folgt zugespitzt der Nachkriegslogik, dass der Deutsche...genetisch oder ethnokulturell kriegsgeil ist." Ich würde meinen, dass es sich hier um eine rein deutsche Debatte, Selbstwahrnehmung und eine deutsche (lustvolle) Selbstzuschreibung handelt. Die Verbündeten in der Nato haben nach 1990 vom wirtschaftlich stärksten Verbündeten Ditschl. souveränes Handeln erwartet. D.h. eine einsatzfähige Armee zur Verfügung zu stellen und zu wissen, was "kriegstüchtig" bedeutet. Eigentlich ist es ein schweres Versäumnis, dass man hierzulande erst jetzt überhaupt eine Debatte darüber führt. Ich behaupte mal, dass in allen anderen Nato-Staaten mit einer ernstzunehmenden Streitkraft zwischen Friedensbewegten und Generalstäblern ziemlicher Konsens herrscht, was das "kt"-Wort in der Praxis bedeutet.



    U.a. dem mehrfach erwähnten Hr. Neitzel ist zu verdanken, den Finger in diese Wunde zu legen.

  • Sehr richtig.

    Den Begriff der Verteidigungstüchtigkeit vorzuziehen zeugt von Realtitätsverweigerung: Sich nicht damit auseinandersetzen wollen, dass tatsächlich ein Krieg droht und sich entsprechend nicht drauf vorbereiten zu müssen. Weil man sich ja auf Verteidigung konzentriert. Und das ist ja etwas vollkommen anderes als Krieg. Und hier liegt der Irrtum.

    Denn:



    Wer verteidigungsfähig ist ist kriegstüchtig.



    Wer nicht kriegstüchtig ist ist nicht verteidigungsfähig.

    • @metalhead86:

      Einfach mal Nena - 99 Luftballons 🎈 🎈🎈🎈



      www.youtube.com/wa...xvbnMgbmVuYQ%3D%3D



      “…99 Kriegsminister



      Streichholz und Benzinkanister



      Hielten sich für schlaue Leute



      Witterten schon fette Beute



      Riefen, Krieg und wollten Macht



      Mann, wer hätte das gedacht



      Dass es einmal so weit kommt



      Wegen 99 Luftballons



      99 Jahre Krieg



      Ließen keinen Platz für Sieger



      Kriegsminister gibt es nicht mehr



      Und auch keine Düsenflieger



      Heute zieh ich meine Runden



      Seh die Welt in Trümmern liegen



      Hab' nen Luftballon gefunden



      Denk' an Dich und lass' ihn fliegen

  • Verteidigungsfähig heißt bereit zur Verteidigung, kriegstüchtig bedeutet bereit für Krieg zu sein ohne dass dazu gesagt wird um was für Kriege es dabei gehen soll. Aber schon mit der Verteidigung wird nicht so ganz klar, was eigentlich verteidigt werden soll. Wie steht es um das politische System mit seinen 25% Rechtsextremen-Wählern und seinen rechten Kulturkämpfern in der Regierung. Wie steht es um die Verbündeten in der NATO. Türkei und USA sind zunehmend demokratiefeindlich. also Feinde der Freiheit.

    • @Klobrille:

      Ist ja mal 'ne putzige Sichtweise. Bevor ich ein Land veteidige, in dem ein Viertel Nazis wählen, lasse ich mich doch eher von den Russofaschisten regieren. Ganz mal davon abgesehen, dass die von Ihnen inkriminierten Naziwähler ganz auf Ihrer Linie sind: her mit Putin und russischer Herrschaft... Wie kommt man eigentlich darauf – Danke für gar nichts Ole Nymoen – dass man ein Land verteidigt? Man verteidigt kollektiv sich selbt und seine Lieben.

    • @Klobrille:

      WIe wäre es mit der europäischen EInigung – dem wichtigsten Pfeiler für Frieden zwischen Frankreich und Deutschland? Dem Ticket der europäischen Staaten in der Welt kein geopolitischer Spielball zu sein?

  • Vielen Dank für diesen Kommentar. Die globale politische Lage hat sich in den letzten 10-15 Jahren massiv verändert. Die Autokraten schließen an allen Ecken und Enden aus dem Boden und überziehen die Welt mit Krieg und Gewalt.

    Vor diesem Hintergrund ist es enorm wichtig, die eigene Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Leider verfügt Deutschland nicht über Atomwaffen, denn diese garantieren letztendlich das eigene Überleben. Mit ein paar hundert Atomsprengköpfen in der Hinterhand könnten wir deutlich kostengünstiger Aufrüsten, da bräuchte es nicht viel Militär.

    Gleichzeitig nimmt die hybride Bedrohung durch autokratische Kräfte zu, auch in Deutschland verfallen viele Menschen der autokratischen Propaganda, sei es durch innerdeutsche Kräfte oder durch ausländische Einflussnahme.

    Wer allem Ernstes immer noch glaubt, man müsse mit Putin nur verhandeln, der hat die Veränderungen der letzten Jahrzehnte tatsächlich verschlafen.

  • Fragt dochmal Thykidenes. Oder Platon.

  • Ach was!? Zögerlich?!! Ah geh!

    Wem der erste deutsche Krieg post WK II -



    - Teilnahme der Bundeswehr im Rahmen der Nato an der Bombardierung Kosovo - Newahr!



    Mit dem Weltpolitiker van de Griii Soß Joeph F. - kein verfassungs&völkerrechtswidriger Krieg ist. Der ist zu recht als Bellizist zu bezeichnen •



    D.h. “Anhänger und Befürworter des Krieges; Kriegstreiber“ & dann - ehrlicherweise - könn‘s



    aufhören zu zögern und “kriegstüchtig“ sagen •

    So geht das ©️ Kurt Vonnegut



    Remember:“Wir sind, was wir vorgeben zu sein. Deshalb müssen wir vorsichtig sein, was wir vorgeben zu sein.“



    & next step



    "Bombardiert zu werden ist eine außerordentlich passive Angelegenheit. Es gibt nichts, was man tun kann – außer vielleicht zu den Bomben zu sprechen. Man hat als Überlebender auch nichts, worauf man stolz sein könnte." – in einem Gespräch mit Volker Hage, welt.de, 12. April 2007