Reaktionen auf Letzte Generation: Woher kommt der Hass?
Seit einer Woche will die Letzte Generation Berlin lahmlegen. Die Störaktionen mögen nerven, aber die Reaktionen sind übertrieben.
Wer diese Woche in Berlin zur Arbeit, zur Kita oder ins Restaurant kommen wollte, hatte keine Chance. Überall klebten Hände, Füße und Köpfe auf den Straßen, orange Westen setzten sich einem entgegen und verhinderten mit ihren Körpern und Plakaten ein Durchkommen. Den Berliner_innen blieb nichts anderes übrig, als zu Hause zu bleiben, schlimmer als im Lockdown. Seit fünf Tagen steht Deutschlands Hauptstadt still, nichts ist mehr möglich.
An diesem Szenario ist kaum etwas richtig. Es beschreibt – maßlos übertrieben – die Ziele der Letzten Generation, die Berlin mit Blockaden lahmlegen will. Es beschreibt vor allem die Befürchtungen der Kritiker_innen, die reagieren, als würde die Klimabewegung gerade unsere Welt abfackeln und nicht für ein bisschen Verkehrschaos sorgen.
In der Realität haben eine dreistellige Zahl von Aktivist_innen in den letzten Tagen Protestmärsche und über hundert Straßenblockaden veranstaltet und sich dafür an verschiedenen Orten auf der Fahrbahn festgeklebt, auch auf der A 100 gab es Blockaden. Die Folgen sind Staus auf der einen und gelegentliche Festnahmen auf der anderen Seite.
Die Stadt war (bislang) zu keinem Zeitpunkt lahmgelegt, die Aktionen der Letzten Generation können höchstens gestört und die Polizei ein bisschen auf Trab gehalten haben. Es ist alles wahnsinnig harmlos.
Noch harmloser als die Proteste sind die Forderungen der Klimaaktivist_innen. Sie wollen die Einführung eines Tempolimits von 100 km/h, ein deutschlandweites 9-Euro-Ticket und einen Gesellschaftsrat, der erarbeitet, wie Deutschland die Nutzung fossiler Rohstoffe bis 2030 beendet.
Wenig revolutionär
Maßnahmen, die weder radikal noch revolutionär und schon gar nicht extremistisch sind. Im Gegenteil, sie finden sich so oder so ähnlich im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung.
Obwohl aus dem Besetzen und Festkleben der Aktivist_innen, dem Anrücken der Polizei mit Speiseöl und Pinsel und anschließendem Wegtragen schon eine Art Routine geworden ist, werden die Blockaden skandalisiert. In einem immer größeren Ausmaß. Die Reaktionen der Zivilgesellschaft und der Politik haben mittlerweile jegliche Form der Verhältnismäßigkeit verloren.
Die Aktivist_innen auf der Straße sind enorm viel Gewalt ausgesetzt. Durch Schmerzgriffe der Polizei, aber auch durch Verkehrsteilnehmer_innen auf Rollern und im Auto, die sich auf die Kleber_innen stürzen, als wären sie im Recht. Sie schubsen, treten, schlagen, drohen den Aktivist_innen notfalls die Haut abzureißen, ziehen sie über den Asphalt oder versuchen sie, wie zuletzt am Freitag, anzuzünden.
Dieser leidenschaftliche Hass kommt nicht von ungefähr. Er wird seit Monaten durch Medien und Politik befeuert. Aktuell behauptete der CDU-Generalsekretär Mario Czaja, die Aktivist_innen nähmen eine ganze Stadt in „Geiselhaft“, FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete die Straßenblockaden als „physische Gewalt“.
Justizminister Marco Buschmann vergleicht die Bewegung mit Extremisten der 20er und 30er Jahre und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wiederholte jüngst seinen quatschigen Ausdruck der „Klima-RAF“.
Harte Folgen für Aktivist_innen
Die Folgen für die Aktivist_innen auf der Straße sind hart. Wer beobachtet, wie sich die Gewalt immer weiter zuspitzt, weiß: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Autofahrer_innen nicht mehr bremsen, sondern einfach draufhalten.
Woher kommt der Hass? Verkehrsteilnehmer_innen ärgern sich, dass sie im Stau stehen und zu spät zur Arbeit kommen. Sie wollen normalen Alltag, dabei wissen sie eigentlich, dass es ihn in der jetzigen Form nicht mehr lange geben wird.
Zu leicht lässt sich – gerade angesichts der niedrigen Temperaturen aktuell in Berlin – vergessen, dass wir mitten in einer Klimakrise stecken. Die Proteste führen ihnen jedoch ständig vor Augen, dass gehandelt werden muss. Es schimpft und schubst sich eben leichter, als das eigene Verhalten zu hinterfragen und politische Veränderungen zu erkämpfen. Die Abwehrhaltung der Politik offenbart die eigene Ideen- und Verantwortungslosigkeit.
Sie überlassen die Debatte, wie wir schneller Erfolge im Klimaschutz erreichen können, den Aktivist_innen und verlieren sich selbst in Protestkritik oder ruhen sich auf Nebenschauplätzen aus.
Da gibt es Extreme, wie CDU-Chef Friedrich Merz, der nicht nur die Proteste, sondern Klimaschutz an sich überbewertet findet, die Welt gehe schließlich nicht morgen unter. Aber auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil scheint etwas grundsätzlich falsch verstanden zu haben.
Vor ein paar Tagen sagte er: „Ich erwarte von Aktivisten, dass man sich anstrengt, für politische Mehrheiten zu sorgen und zu werben und nicht als kleine Gruppe von oben elitär sagt: Das hier ist die Wahrheit und das setzen wir durch.“
Pools mit Beton füllen
Seit wann ist es die Aufgabe von Protestbewegungen, Mehrheiten zu organisieren? Mehrheiten für Maßnahmen für besseren und schnelleren Klimaschutz zu organisieren, ist die Aufgabe der Politik. Die führt sie nicht sonderlich gut aus.
Die Letzte Generation will nicht mehr untätig zusehen, wie die Regierung untätig zusieht – also begibt sie sich in Gefahr, um zu zeigen: So kann es nicht weitergehen. Während in Spanien die Menschen schon Ende April unter Extremhitze und Dürre leiden, in Italien die Seen und Flüsse austrocknen und in Thailand die Straßen durch die Sonneneinstrahlung schmelzen, kommen hier Aktivist_innen ins Gefängnis, weil sie mit Mitteln des zivilen Ungehorsams mehr Klimaschutz fordern.
Doch auch als Minderheitenbewegung gelingt es der Letzten Generation, das Thema präsent zu halten – mediale Aufmerksamkeit ist ihnen sicher.
Wenn die Straßenblockaden zu routiniert oder die Gefahr zu groß wird, gibt es genügend Protest-Alternativen: die Pools der Superreichen mit Beton füllen, sich an Verkehrsminister Volker Wissing kleben oder Kohlebagger besetzen.
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