Klimaproteste der Letzten Generation: Was wirklich die Falschen trifft

Gern fühlen sich einfache Leute von Klimaprotesten zu Unrecht bestraft. Doch vor allem ist es die Klimakrise, die die Falschen trifft.

Eine auf der Straße festgeklebte Hand, im Hintergrund Polizei

Sind festgeklebte Hände wirklich das, was die Falschen leiden lässt? Foto: Nadine Weigel dpa

Es könnte alles so einfach sein. Oder zumindest könnte es richtigergemacht werden, und vor allem gerechter. Anstelle den Berufsverkehr und damit die sogenannten einfachen Leute zu blockieren, hätten sich die Ak­ti­vis­t*in­nen ja mal vor dem Bundestagsgebäude festkleben können, oder in der Ausfahrt des politischen Fahrservice. Die Politik müsste es schließlich treffen, wenn überhaupt.

Wir einfachen Leute fühlen uns oft zu Unrecht bestraft. Wir können doch nichts dafür, dass sich die Bundesregierung nicht genug um das Erreichen des 1,5 Grad-Ziels bemüht. Wir wollen nur ein gutes Leben leben und das ist derzeit schwer genug zu haben. „Das trifft die Falschen“, so lautet also der Reflex, wenn Streiks oder Klimademos in den Alltag eingreifen, und die Falschen, das sind wir Normalos. Wir und dieses vermeintlich unantastbare Recht auf Ungestörtheit, auf die Verteidigung des stetig fließenden Status Quo, das deutsche Second Amendment sozusagen.

Wer warten muss, weil jemand den Weg versperrt, wird eingeschränkt und das ist ärgerlich. Man muss das aber nicht persönlich nehmen, oder als pseudomoralische Schelte, weil man nicht genug Gas gespart hat, gern heiß duscht oder in den Urlaub fliegen will. Auch die Letzte Generation weiß, dass „die einfachen Leute“ nicht die Schuldigsten sind. Sie sind aber auch nicht die, die am meisten unter der politischen Lahmheit im Kampf gegen die Klimakrise leiden. Auch wenn das Ausmaß der Empörung das nahelegt.

Bezeichnend, wie viele Menschen jammern, schreien, oder sogar gewalttätig gegenüber Ak­ti­vis­t*in­nen werden, weil sie mal kurz warten mussten. Beunruhigend, wer Ak­ti­vis­t*in­nen mittlerweile alles zu Sündenböcken stilisiert, um selbst besser dazustehen. Oft heißt es, mit Störungen des öffentlichen Lebens überzeuge man niemanden. Dabei braucht es weniger Überzeugung und mehr politische Maßnahmen, weil die Bedrohung durch die Erderwärmung längst wissenschaftlich unstrittig ist.

Es trifft schon lange die Falschen

Es reicht ein Blick auf die absehbaren Folgen der Klimakrise:132 Millionen Menschen, die durch die globale Erwärmung bis 2030 inextreme Armut getrieben werden, wenn nicht schnell und umfassend in Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen investiert wird. Über 200 Millionen Menschen, die deshalb bis 2050 gezwungen sein könnten, zu fliehen. 3,5 Milliarden Menschen, die in 50 Jahren unter extremer Hitze leiden könnten.

Das trifft die Falschen, schon lange. Am härtesten jene, die am wenigsten Emissionen verursachen und für deren Akzeptanz klimapolitischer Untätigkeit sich bisher kaum jemand interessiert hat. Die Klimakrise trifft Kinder, Hungernde, Flüchtende, die Ärmsten vor dem Mittelstand vor den Wohlhabenden vor den Superreichen. Klar kann man sich trotzdem ärgern, wenn man im Stau steht. Man kann sich aber auch wundern, warum wir ständig im Ärger steckenbleiben.

Warum wir uns lieber als Kollateralgeschädigte zwischen Protestaktionen und Politik verstehen, anstatt uns selbst etwas zuzutrauen. Sei es, sich an Kreuzfahrtschiffen und Superyachten festzukleben, Abgeordneten zu schreiben, Bäume zu pflanzen. Warum wir lieber die Falschen bleiben, als die Richtigen zu werden – die aus ihrer Getroffenheit mehr machen als ein ewiges “so nicht“.

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Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Ihr erster Roman 'Wovon wir träumen' erschien 2022 bei Piper. Zuletzt wurden ihre Kurzgeschichten in Das Wetter Buch für Text und Musik und Delfi Zeitschrift für Neue Literatur veröffentlicht.

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