Streiken und Kleben: Fahrerflucht nach vorn

Diese Woche wurde aus guten und schlechten Gründen gestreikt. Derjenige, der nach zwei verpatzten Wahlgängen hätte streiken sollen, hat's nicht getan.

Reifen eines LKW

Trucker sind die Gewinner dieser Woche Foto: ingimage/imago

Das war knapp. Fast wäre diese Kolumne diese Woche ausgefallen. Denn es war ja LKW-Streik. Endlich hatte ich auch mal einen Anlass, meine dienstlichen Verpflichtungen ruhen zu lassen. Ich weiß zwar nicht, ob mein Namenskürzel als Streikbegründung arbeitsrechtlich durchgehen würde. Auch der Verweis darauf, dass ich als Student für die Firma Schlund & Ruppert Klopapier ausgefahren habe, würde vermutlich als verjährt abgetan. Eine larmoyante Klage über das taz-Gehalt zöge kaum, denn im Vergleich zu den georgischen und usbekischen Langstreckenfahrern, die an einer Autobahn in Hessen gegen ihre Ausbeutung durch eine polnische Spedition protestierten, geht es uns bestens.

Aber am Ende ist alles glimpflich ausgegangen. Die LKW-Fahrer erhielten doch noch ihren Lohn, um den man sie betrügen wollte. Auch wenn das nur geschah, um eine besonders lukrative Lieferung in die Schweiz zu sichern, sind die Trucker die Gewinner dieser Woche. Sie bewiesen Mut, bekamen recht und endlich mediales Interesse für ihre katastrophalen Jobbedingungen. Also beendeten sie ihren Streik und ich natürlich auch.

Dafür gab es in Berlin Blockaden auf den Straßen. Und ich gebe zu: Nicht nur als persönlich betroffener LKW bin ich von der Letzten Generation genervt, die jetzt versucht, die Hauptstadt lahmzukleben, sosehr ich versuche, diese Protestform zu verstehen. Wirklich. Aber ich begreife einfach nicht, was die destruktive Behinderung von Autofahrern bringen soll, die ja nicht nur Porsche-Fahrer beim Rasen ohne Tempolimit trifft, sondern auch prekär bezahlte Berufstätige, Krankenwagen oder ­soccer moms und dads, die ihre Kinder zum Auswärtsspiel in umliegende Dörfer bringen, wohin nur einmal am Tag ein Bus fährt. Es scheint mir taktisch ungeschickt zu sein, eine Mehrheit gegen sich aufzubringen, die man bei den nächsten Wahlen eigentlich bräuchte, um klimapolitisch voranzukommen.

Aufmerksamkeit ist auch kein Selbstzweck. Dass es den Klimawandel gibt, weiß inzwischen jedes Kind und jeder Opa. Nur wenige leugnen ihn noch. 80 Prozent sind für mehr Klimaschutz. Nicht das Ziel ist strittig, sondern der Weg, der möglichst gerecht gestaltet werden sollte. Wie kompliziert das ist, zeigt sich beim geplanten Heizungsaustausch. Die Blockierenden signalisieren mit ihren immer gleichen Klebemitteln jedoch vor allem: Ihr checkt es nicht. Wir müssen euch nerven. Denn ihr seid zu blöd, die Dringlichkeit der Klimakatastrophe zu kapieren. Das mag auch bei mir zutreffen, aber eine Beleidigung ist selten ein guter Anfang für ein Erfolg versprechendes Gespräch, das in einer Demokratie nötig wäre. Sie hilft eher den fossilen Hardlinern, die mit vollkommen übertriebener Härte auf die Proteste reagieren.

Wahrscheinlich ist alles auch ein Generationenproblem. Nicht so sehr wegen des unterschiedlichen Lebensalters. Auch Großeltern sorgen sich über die Zukunft ihrer Enkel. Aber ich zum Beispiel wurde nicht durch die Klima­krise politisiert, sondern durch Pershing II, Tschernobyl und Gudrun Pausewangs Atomangstbücher. Das sitzt tief. Offenbar auch bei den Grünen. So tief, dass sie den Atomausstieg trotz Energiekrise eisenhart durchziehen und lieber noch länger klimaschädliche Kohlekraftwerke laufen lassen.

Immerhin gibt es jetzt das 49-Euro-Ticket. Aber leider noch kein Tempolimit. Dabei wäre das inzwischen mehrheitsfähig, sozial und seniorengerecht. Als älterer LKW kann und will ich beispielsweise sowieso nicht allzu schnell fahren. Das will so richtig nur noch die FDP, die sich neuerdings auch für die Straffreiheit von Fahrerflucht einsetzt.

Der neue Berliner Hänge- und Würgemeister Kai Wegner wäre zwischendurch wahrscheinlich am liebsten auch geflohen. Spätestens nach dem zweiten Wahlgang hätte er den Unfallort verlassen sollen. Die unklare Herkunft seiner Stimmen im dritten Anlauf ist peinlich für die schwarz-rote Koalition, aber auch für Grüne und Linke, die plötzlich alles nachplappern, was die AfD behauptet. Sicher weiß niemand, wer Wegner nun gewählt hat. Ich kann nur schwören, auch im Namen des manchmal trotzigen LKW: Ich nicht.

Nächste Woche: Hasnain Kazim

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seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens

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