FDP-Erfolg bei Erstwähler:innen: Eine Sache für Profis
Weil viele Erstwähler:innen für die FDP stimmten, müssen sie Spott ertragen und werden von rechts beklatscht. Beides ist falsch.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ein Politiker, der jungen Menschen keine komplexen Denkzusammenhänge zutraut, ausgerechnet jener Altersgruppe einen beachtlichen Imageerfolg zu verdanken hat. Einst äußerte sich Christian Lindner herablassend über die Zukunftsängste junger Menschen („Sache für Profis“) – nun stellt der frisch im Amt bestätigte FDP-Chef selbst die Hoffnung vieler junger Menschen dar.
Fast jede:r vierte, der am Sonntag zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl wählte, traut ihm und seiner Partei in Sachen Zukunft am meisten zu. Nicht dass diese Stimmen einen großen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt hätten – die liberalen Erstwähler:innen machen nur 1 Prozent der Wahlberechtigten aus. Entscheidender ist der Symbolwert: Die FDP holte bei den Jüngsten mehr Stimmen als die Grünen, die selbsternannte Zukunftspartei.
Spätestens seit Sonntag lautet das neue liberale Selbstverständnis: Wir sind hip und modern. Da kann ein Christian Lindner in Anzug und Krawatte zwischen seinen JuLi-Jüngern sitzen und tiefenentspannt die Legalisierung von Cannabis empfehlen. Oder mit Süffisanz die Eigenverantwortung der Bürger:innen – Stichwort grüne Verbote – betonen. Und das kommt gut an, zumindest bei den Jungen.
Das nämlich ist ein anderer Aspekt des Wahlergebnisses: Während der Nachwuchs auf Lindners Truppe fliegt, wenden sich die Älteren ab. Je älter das Wahlvolk, desto weniger Bock auf FDP. Ähnlich wie bei Grünen und Linken. Die FDP mag für junge Menschen ein Zukunftsversprechen sein – die jungen Menschen sind es plötzlich auch für die FDP. Der nächste deutsche Kanzler kann das nicht von seiner Partei behaupten, egal ob Scholz oder Laschet das Rennen macht.
Warum wählen die bloß alle FDP?
Über die Gründe der Jugendliebe FDP wird seit der Wahlnacht aufgeregt spekuliert. Soziolog:innen nennen die Corona-Einschränkungen der vergangenen anderthalb Jahre und das Gefühl der Jungen, von der Politik nicht gehört zu werden. Bildungsexpert:innen das Digitalisierungsversprechen an Schulen, das die FDP glaubwürdiger vertritt als die anderen. Marketing-Strateg:innen verweisen auf die Reichweite bezahlter Postings in den sozialen Medien, hier sind die Liberalen einsame Spitze. Und Konservative à la Ulf Poschard sehen in dem Wahlergebnis den Beweis, dass auch die Jugend den Moralismus der Klimabewegung nicht abhaben kann. Die FDP selbst ist überzeugt, dass ihr Pochen auf Freiheitsrechte junge Stimmen eingebracht hat.
Viele, die diese Beliebtheit nicht so recht mitbekommen haben (was angesichts der medialen Aufmerksamkeit für die Fridays for Future auch uns Medien zu denken geben sollte), reiben sich verwundert die Augen. Warum wählen die bloß alle FDP? Und beim Unverständnis hört es nicht auf. Die Erstwähler:innen werden regelrecht mit Spott und Häme bedacht, weil sich viele von ihnen für die FDP entschieden haben.
„Alles Millionäre“, witzelt da einer im Netz. Ein Lehrer fragt seine Kolleg:innen, was sie „den Leuten“ nur in Politik und Sozi beigebracht hätten. Andere teilen Fotos, auf denen Golfer cool zum Putt ansetzen, während in ihrem Rücken ein heftiger Waldbrand lodert. Subtext: FDP-Wähler:innen sind schnöselige Klima-Asis. Wer als junger Mensch FDP wählt, hat falsche Prioritäten.
Was an den Unterstellungen dran ist, hat der Krautreporter Bent Freiwald untersucht. Er fragte Erstwähler:innen, warum sie FDP gewählt haben. Tatsächlich gehen manchen die grünen Bevormundungen, oder was sie dafür halten, zu weit. Von „staatserzieherischen Elementen“ ist da die Rede, von „innovationsfeindlichen Verboten“. Andere wiederum stimmten für die FDP, um der Union einen Denkzettel zu verpassen, beim Thema Steuern auf Nummer sicher zu gehen, die Bürokratie zu entschlacken oder – legal Gras rauchen zu dürfen.
Also alles halb so wild? Leider nein.
Kurz: Jede:r hat seine eigenen Gründe. Sie deshalb pauschal als egoistische Klimagegner:innen zu bashen ist genauso daneben wie sie als Kronzeugen einer vermeintlichen grünen Klimadiktatur zu instrumentalisieren. Zumal repräsentativen Umfragen zufolge nicht nur jungen Grünen Klimaschutz wichtig ist, sondern auch jungen Liberalen. Klar, über die richtigen Instrumente gibt es Meinungsverschiedenheiten. Aber die gibt es schließlich auch mit der SPD oder mit der Linken. Die Zeit-Journalistin Yasmine M’Barek empfiehlt deshalb der „gelb-grünen Generation“, den Klimaschutz gemeinsam anzugehen. So wie sich Gelb und Grün im Falle einer Ampel (oder Jamaika) beim Thema Klima auch zusammenraufen werden. Also alles halb so wild? Leider nein.
Die hohe Zustimmung für Grüne und FDP bei den jungen Menschen ist durchaus bedenklich, weist sie doch auf ein großes demokratisches Versagen der vergangenen Jahre hin. Egal ob bei Klimaschutz oder Pandemiebekämpfung: Die Bundesregierung hat die Sorgen der Jungen nicht ernst oder nicht ernst genug genommen. So zumindest empfinden das die Betroffenen: Vor der Bundestagswahl gaben mehr als 80 Prozent der 16- bis 26-Jährigen an, dass die Regierung ihre Interessen „ignoriert“. Bei 70 Prozent sei das Vertrauen in die Politik in den letzten vier Jahren gesunken. Das sind bedenkliche Zahlen. Verdenken kann man es den jungen Menschen nicht.
Um nur ein Beispiel zu nennen: die Existenzsorgen der Studierenden. Erst vergangene Woche hat der neue MLP Studentenwohnreport gezeigt, dass sich die Mietsituation im vergangenen Jahr weiter verschärft hat. Weil die Politik unfähig ist, die Mieten wirklich einzufrieren. Und weil viele Studierende wegen der Pandemie ihren Nebenjob verloren haben. Die Hilfe der Bundesregierung: Kredite. Nothilfe bekam nur, wer weniger als 500 Euro auf dem Konto hat. Herzlichen Dank für gar nichts!
Die gute Nachricht für die Jungen ist: Grüne und FDP werden bald selbst regieren und können zeigen, dass sie alles besser können. Vorausgesetzt, Christian Lindner duckt sich nicht wieder weg. Damit würde er die Wähler:innen, die in seiner Politik die Zukunft sehen, ganz schnell wieder verlieren.
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