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Der Pazifismus der LinksparteiMehr Rationalität wagen

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Die Linkspartei wird angegriffen, weil sie ihr Wahlprogramm nicht über Bord werfen will. Doch die Kritik folgt einer unterkomplexen militärischen Logik.

Plakate auf dem Bundesparteitag der Linken am 18. Januar in Berlin Foto: Steafn Boness/ipon

E s hat schon fast etwas unfreiwillig Komisches. Sowohl den anderen demokratischen Parteien als auch der medialen Öffentlichkeit waren die außen- und sicherheitspolitischen Positionen der Linken in den vergangenen Jahren schlichtweg egal. Die Partei wurde nur noch mitleidig belächelt, ernst genommen wurde sie nicht.

Das hat sich mit der Bundestagswahl radikal geändert. Denn künftig gibt es nur mit ihr eine Zweidrittelmehrheit jenseits der faschistischen AfD. Nun ist die Aufregung groß, weil die Linke doch tatsächlich nicht bereit ist, noch vor Konstituierung des neuen Parlaments einfach mal ihr Wahlprogramm über Bord zu werfen. Was für eine Unverschämtheit von diesen Vaterlandsverräter:innen!

Es scheint für viele schwer erträglich zu sein, dass die Partei keine Kopie der Grünen sein will, also früher mal friedensbewegt und heute „realpolitisch“ nur noch in einer militärischen Logik denkend, egal was es kostet. Dabei ist genau das der Wert der Linken: dass es im Bundestag wenigstens eine Stimme gibt, die nicht einfach mitmarschiert, sondern die Renaissance des Militärischen in Frage stellt. Ohne dabei entweder naiv oder mutwillig – wie die Kremlparteien AfD und BSW – die reale Bedrohung der europäischen Ordnung durch Putins Russland zu ignorieren.

Etwas mehr Rationalität würde der Debatte um die angeblich unumgängliche drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben guttun. So hat der Linken-Vorsitzende Jan van Aken recht, wenn er feststellt, dass bei den Militärausgaben kaufkraftbereinigt jährlich 430 Milliarden US-Dollar der europäischen Nato-Staaten 300 Milliarden US-Dollar Russlands gegenüberstehen. Ebenso eigentümlich ist es, wenn ignoriert wird, dass die Nato konventionell Russland weit überlegen ist. Da braucht es kein neues „Sondervermögen“, auch wenn das gerade die herrschende Meinung ist.

Linke war von Anfang an gegen Schuldenbremse

Eine Abschaffung oder Reform der Schuldenbremse wäre hingegen mit der Linken kein Problem: gegen die war sie von Anfang an. Damit ließen sich dann auch höhere Verteidigungsausgaben finanzieren. Eine andere Möglichkeit wäre, die Einnahmeseite des Bundeshaushalts zu verbessern, beispielsweise durch eine Reichensteuer. Dafür würde eine ganz normale Regierungsmehrheit reichen, wobei die Linke sicherlich zustimmen würde. Aber die Prioritäten derjenigen, die so laut tönen, es müsste drastisch aufgerüstet werden, sind dann offenkundig doch andere.

Wie absurd die gegenwärtige Diskussion ist, zeigt sich schon daran, dass dieselben, die behaupten, die EU-Staaten müssten jetzt Fantastilliarden ausgeben, um sich vor Russland zu schützen, ebenso behaupten, die EU-Staaten könnten der Ukraine auch ohne die USA zu einem Sieg über Russland verhelfen. Das eine wie das andere ist falsch. Was allerdings richtig ist: Auch wenn die USA ihre militärische Unterstützung für die Ukraine einstellen, könnten die europäischen Staaten dafür sorgen, dass Russland seinen Krieg nicht gewinnt.

Aber das würde voraussetzen, dass auch andere Länder, beispielsweise Frankreich, Italien oder Norwegen, einen angemessenen ökonomischen Beitrag leisten. Als Erstes wäre es an der Zeit, dass Deutschland das blockierte 3-Milliarden-Euro-Paket für die Ukraine zur Luftabwehr freigibt. Auf die Linkspartei kommt es dabei nicht an.

Ja, dass die Linkspartei Waffenlieferungen an die Ukraine weiterhin ablehnt, kann und sollte kritisiert werden. Ohne die militärische Unterstützung des Westens hätte das angegriffene Land der Aggression Russlands nicht bis heute standhalten können.

Deswegen ist es inkonsequent, wenn die Partei einerseits – wie in einem Vorstandsbeschluss vom Wochenende – verkündet, „immer an der Seite der Unterdrückten und Angegriffenen“ zu stehen, und ihre „volle Solidarität den Menschen in der Ukraine“ bekundet, aber andererseits nicht dazu beitragen will, dass das Land so lange standhalten kann, bis der Aggressor zu mehr bereit ist, als mit dem überfallenen Land über dessen Kapitulation zu verhandeln. Albert Einsteins Unterscheidung zwischen einem „vernünftigen“ und einem „unvernünftigen“ Pazifismus könnte hier hilfreich sein.

Auf alle Parteien kommen schmerzhafte Diskussionen zu

Aber das Dilemma, in dem sich die Ukraine-Solidarität befindet, ist nicht der Linken geschuldet. Das Problem ist doch eher, dass die EU-Staaten mit der BRD vorneweg in den vergangenen Jahren nicht – wie von der Partei gefordert – bereit waren, eigenständige diplomatische Initiativen zum Beispiel mit China und anderen Brics-Staaten zur Lösung des Konflikts zu starten. Keine Ahnung, ob sie Erfolg gehabt hätten. Aber stattdessen nur auf die USA und sonst bloß auf Waffenlieferungen zu setzen, war ein Fehler.

Jetzt sitzt mit Donald Trump ein autoritärer Kleptokrat im Weißen Haus, der in alter imperialistischer Manier einen „Deal“ mit einer anderen Großmacht machen will: Russland bekommt den Boden, den es will, die USA die Bodenschätze – und die Ukrai­ne hat sich zu fügen und ausplündern zu lassen. So stellt Trump sich das vor.

Angesichts der dramatischen Veränderung der Weltlage werden der Linkspartei schmerzhafte Grundsatzdiskussionen nicht erspart bleiben. Aber für die anderen demokratischen Parteien dürften sie noch wesentlich schmerzhafter sein. Denn was lässt Trump von der viel gepriesenen westlichen Wertegemeinschaft übrig? Was ist eine Nato noch wert, wenn deren Kern, also die Beistandsverpflichtung, für deren stärksten Mitgliedstaat nicht mehr gilt? Ist es wirklich verantwortbar, dass in Deutschland Mittelstreckenwaffen stationiert werden sollen, über deren Einsatz ausschließlich ein unberechenbarer antidemokratischer Geschäftemacher in den USA entscheidet? Und was ist mit den in der BRD stationierten Atomwaffen, über die Trump die alleinige Verfügungsgewalt besitzt?

Die Linkspartei hat darauf Antworten, die man nicht unbedingt in jedem Punkt teilen muss, die aber nachvollziehbar sind. CDU, CSU, SPD und Grüne haben das bisher nicht.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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13 Kommentare

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  • Dem kann ich voll und ganz zustimmen.

    Und was mir gerade noch durch den Kopf ging, und nicht erst jetzt, sondern immer mal wieder seit sehr langer Zeit: Zuviel Wohlstand macht scheinbar teilnahmslos, träge und selbstzufrieden. Anders kann ich mir nicht erklären, dass, wenn es um Einschnitte geht, sofort eine Hyperventilation den Verstand aussetzt. Schon alleine, wenn es um Steuern geht, und vielleicht doch mal ernsthaft eine Reform des Steuersystems angegangen werden soll, inklusive der Wiederaktivierung der Vermögenssteuer. Ein gerechtes Steuersystem ist dabei nur ein Baustein, um handlungsfähig zu bleiben. Und ohne diese Handlungsfähigkeit ist unsere Zukunft, und zwar von allen, gefährdet.

  • Danke für den Artikel!

    "Die Linkspartei hat darauf Antworten, die man nicht unbedingt in jedem Punkt teilen muss, die aber nachvollziehbar sind."

    dem kann ich nur voll zustimmen!

  • Wohltuender Kommentar.



    OK, man kann sich streiten, ob die Nato ohne USA wirklich weit überlegen ist - die meisten Panzer stehen in Griechenland und der Türkei, sind also nicht verfügbar - aber die Finanzierung von Rüstung über diese Sondervermögen (Das sind keine Vermögen, sondern Schulden!) ist einfach nur Ausplünderung von Volk und Staat.



    Weg mit der Schuldenbremse und her mit Erbschafts-, Vermögens-, Reichen- und Übergewinnsteuern!

  • Die Antwort auf die Frage, was mit den Atomwaffen in Büchel passiert, ist einfach.



    Nichts.



    Denn ohne die dort stationierten Tornados bleiben die da, wo sie sind: in Bunkern.



    Und über die Tornados haben die Deutschen die Befehlsgewalt.

  • "dass es im Bundestag wenigstens eine Stimme gibt, die nicht einfach mitmarschiert" - das ist ja gerade nicht so: Die AfD marschiert ja auch nicht mit. Die Linke organisiert also ganz ungeniert ihre neue Sperrminorität zusammen mit der AfD. Brandmauer gegen Rechts - ... war da was?

  • Ein objektiver Kommentar zur internationalen Entwicklung und zu der Partei die Linke! Ein seltenes Juwel journalistischer Arbeit in den deutschen Leitmedien.

    • @Erwin1.:

      Der Kommentar ist ausgewogen. Objektiv wäre, wenn überhaupt, eine Nachricht.

      Ich gönne der Linken ihren Wahlerfolg. Aber genau jene argumentativen Schwächen, die Herr Beucker beschreibt, haben mMn ein besseres Ergebnis verhindert.



      Demokratiepolitisch hielte ich es übrigens für besser, die Schuldenbremse im neuen Bundestag mit Hilfe der Linken zu reformieren. Dann könnten Bundesregierungen jeder Couleur wieder mit einfacher Mehrheit Prioritäten setzen.

  • Ich stimme zu. Gut auf den Punkt gebracht, vielen Dank!

  • Der fundamentale Pazifismus hat das gleiche Problem wie die Toleranz in der Gegenwart von Intoleranten.

    Aber viel wichtiger: Ist der Pazifismus der Linkspartei denn einfach nur "unvernünftig"? Ich meine: Nein.

    Wer in der Vergangenheit bei den 9. Mai-Paraden auf dem roten Platz ehrfürchtig den die Pracht der russischen Truppen bewundert hat und die heute die Hamas als Widerstandskämpfer feiert, der ist kein naiver Pazifist.

  • Komischerweise wurden den großen Parteien während des Wahlkampf, so gut wie gar keine Fragen zur Außenpolitik gestellt, obwohl das eigtl. vom großen Interesse sein sollte. Nun gibt es gemeinsame Abstimmungen in der UN von den USA mit Israel, Nordkorea und dem Iran. Wo verläuft jetzt der Achse der Bösen und die Achse der Guten? Ist der globale Süden überhaupt noch bereit uns anzuhören?

  • Das auf dem Poster " Friedensfähig statt Kriegstüchtig " eine russische Kalashnikov abgebildet ist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie - nun muss das nur noch vor den Kreml getragen werden! Vielleicht motiviert das ja den rasant hochrüstenden russischen Faschismus zur Friedfertigkeit oder den Faschisten in Washington, den Raketenmann von Pjöngyang oder die Islamofaschisten im Nahen Osten.



    Ich würde aber lieber nicht das Leben meiner Kinder darauf wetten wollen, sorry.

  • Die Linke im Wahlkampf mit Themen wie Miete zweistellige Wahlergebnisse erhaschen, im Bundestag dann doch ihre nein-Sageritis zu wirksamen, also militärischen, Hilfen durchdrücken spuckt auf den Wähler*innenwillen.

    Weder Menschen in der Ukraine, noch in Israel, noch in der Türkei, oder Syrien profitieren von dieser Anti Solidarität.

    Die nordischen Staaten haben übrigens überproportional Hilfen bewilligt, anders als Italien und Irland.

  • Es gibt keine "militärische Logik", es gibt nur Logik. Das ist ein 40 Jahre alter Versuch, unlogische Politik gegen Kritik zu immunisieren. Wer die Ukraine den Wölfen zum Fraß vorwirft, ist nicht besser als Putin, Trump oder die AfD.