Verbale Attacken gegen Impfgegner: Spalterische Rhetorik
Ungeimpfte werden zunehmend als asoziale Minderheit dargestellt. Dabei werden die tatsächlichen Machtverhältnisse auf den Kopf gestellt.
D ie Frustration ist nachzuvollziehen. Eine substanzielle Minderheit in Deutschland verweigert eine Impfung gegen Corona. Die Infektionszahlen explodieren, die Intensivstationen füllen sich mit Patienten, Bund und Länder arbeiten an neuen Einschränkungen. Kein Wunder, dass bei vielen Geimpften die Wut auf jene wächst, die ihren Beitrag zur Bewältigung der Pandemie nicht leisten wollen. Doch die spalterische Rhetorik, die einige Politiker und Funktionäre dabei verwenden, ist weder der Sache angemessen noch hilfreich.
Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery spricht von einer „Tyrannei der Ungeimpften“. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) meint, die 20 Prozent der Erwachsenen, die sich nicht impfen lassen wollen, reichten aus, „um eine ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen“. Und FDP-Vorstand Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagt, Impfverweigerer sollten sich „im Klaren darüber sein, dass sie nicht als Minderheit die Mehrheit terrorisieren dürfen“.
Inzwischen ist bekannt, dass Nichtgeimpfte ihre Entscheidungen aus unterschiedlichsten Gründen treffen. Das Bedürfnis, Mitbürger zu „terrorisieren“ oder zu „tyrannisieren“, dürfte dabei kaum eine Rolle spielen. Schlimmstenfalls fahrlässiges und egoistisches Verhalten deuten Montgomery, Strack-Zimmermann und Co in eine aktive Schädigungsabsicht gegenüber der Gesellschaft um und kehren nebenbei auch die Machtverhältnisse auf den Kopf.
Denn es sind Bund, Länder und Behörden, die Macht ausüben und nicht Menschen, die sich aus welchem Grund auch immer nicht impfen lassen. Zu den Nichtgeimpften gehören auch Menschen, die als Pfleger die Krankenhäuser in Betrieb halten und als Supermarkt-Kassierer die öffentliche Versorgung aufrechterhalten. Es sind Menschen, die es nicht verdient haben, wegen einer fragwürdigen Entscheidung pauschal an den gesellschaftlichen Rand gedrängt zu werden.
Darüber sollten im Übrigen vor allem jene nachdenken, die Antidiskriminierung zu ihrem politischen oder publizistischen Lebensinhalt gemacht haben.
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