Proteste der „Letzten Generation“: Die Geister, die sie riefen

Bei einer Aktion der „Letzten Generation“ wurde die Rettung einer verunglückten Radfahrerin behindert. Hat die Umweltgruppe den Bogen überspannt?

Handabdruck nach einer Klebeaktion auf dem Straßenpflaster

Festkleben schön und gut – aber über den Klimawandel wird deshalb kaum mehr gesprochen Foto: Michele Tantussi/reuters

Es existiert etwas im beginnenden 21. Jahrhundert, das wertvoller ist als Gold und Diamanten: Aufmerksamkeit. Nach ihr giert jedes Produkt, jede Idee, jeder Influencer, jedermann und jede Frau. Sie zu erzeugen ist eine Kunst, die nicht immer gelingt. Es gibt da eine kleine Gruppe, die darin eine Meisterschaft erreicht hat. Sie nennt sich „Letzte Generation“ und will den Klimawandel bekämpfen. Doch nun droht sie zu scheitern – an sich selbst.

Die Forderungen dieser meist jungen Frauen und Männer sind so banal wie mehrheitsfähig: eine Fortsetzung des 9-Euro-Tickets im Nahverkehr und ein Tempolimit auf der Autobahn. Das ist politischer Mainstream, hundertfach wiederholt, gewiss richtig, aber auch ziemlich langweilig. Damit lockt man keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Die Praxis der Aufmerksamkeitsökonomie bestraft solches Verlangen in der Regel mit vollständiger Nichtbeachtung.

Wären da nicht diese spektakulären Aktionen. Jedenfalls bis jetzt.

Bisher galt unter Protestierenden die Praxis, dass eine Gruppierung gleich welcher Coleur darum bemüht sein sollte, sich in der Öffentlichkeit möglichst positiv darzustellen. Das Greenpeace-Schlauchboot gegen die Ölplattform. Der sich um die Nöte der Bevölkerung sorgende Bundeskanzler. Die Partei, die den Bürgern zur Seite steht. Die Inszenierung muss sitzen, die Art und Weise, wie eine Forderung gestellt wird, auf die Sympathie der Menschen stoßen und damit die Gruppierung selbst sympathisch machen.

In der Werbung hat man schon lange verstanden, dass das zu verkaufende Produkt in keinem Zusammenhang mit der Umgebung stehen muss, in der es dargestellt wird. Giftiger Tabak entspricht Pferden und Abenteuern, ungesunde Schokoladenriegel oder alkoholische Getränke werden mit munter sprudelnden Bergbächen in Verbindung gebracht und klimaschädigende Automobile mit Streuobstwiesen. Die Hauptsache ist, dass das Produkt in einem positiven Umfeld erscheint, dessen Güte wiederum auf das Produkt abstrahlt und es begehrenswert macht.

Sympathie ist nicht das Ziel

Die „Letzte Generation“ hat dieses Prinzip für sich entdeckt. Die Inszenierung ihrer Proteste hat wenig bis nichts mit ihrem Anliegen zu tun – sieht man einmal davon ab, dass Meisterwerke in Museen häufig in Ölfarbe gemalt sind. Aber ihr geht es im Unterschied zur bisherigen Praxis nicht um Sympathie. Es ist gewiss, dass ihre Aktionen, vorsichtig ausgedrückt, bei der Mehrheit der Betroffenen auf wenig Gegenliebe stoßen. Welcher Autofahrer steht schon gerne im Stau? Welcher Museumsbesucher findet es gut und richtig, wenn Kunstwerke besudelt werden, von den Mitarbeitern der Museen ganz zu schweigen?

Die „Letzte Generation“ hat die bisherigen Standards der Aufmerksamkeitsökonomie umgedreht. Ihr geht es ganz offenbar nicht darum, geliebt zu werden. Sie nimmt den Hass für das Ziel der Aufmerksamkeit billigend in Kauf. Und sie hat Erfolg mit dieser Strategie. Alle reden über sie. Mit jeder Protestnote und jeder Presseerklärung von CDU und FDP, jeder Distanzierung von den Grünen bis zum Bundeskanzler gewann die „Letzte Generation“ mehr Aufmerksamkeit.

Allerdings: Über den Klimawandel, das eigentlichen Anliegen, wird deshalb nicht unbedingt mehr gesprochen. Aber über die sich an Straßen, Gemälden und Saurierskeletten festklebenden Frauen und Männer. Im Mittelpunkt der Kampagne steht also gar nicht das politische Ziel, sondern es geht um die Kampagnenteilnehmer. Das erinnert an das Verhalten so mancher Sekte.

Dabei achtet die „Letzte Generation“ ganz im Unterschied zu einer Sekte genauestens darauf, das eigene Risiko zu minimieren. Ihre Aktionen ließen sich bisher juristisch maximal als Nötigung ahnden, und so nimmt kein Teilnehmer eine Haftstrafe in Kauf.

Bei den Aktionen gegen Kunstwerke achten die Teilnehmer darauf, dass diese hinter Glas ausgestellt sind – nicht dass etwa Schadenersatz in Millionenhöhe fällig wird (auch wenn da ein erhebliches Restrisiko bleibt).

Kalkuliertes Risiko

Ein anderes Risiko aber geht die „Letzte Generation“ bewusst ein. Und dieses droht nun, eine je nach Sichtweise heldische oder idiotische Gruppe in einem furchtbaren Licht erscheinen zu lassen.

Am Montag blieb ein Spezialfahrzeug der Berliner Feuerwehr in einem Stau stecken und erreichte eine von einem Lastwagen lebensgefährlich verletzte Radfahrerin nur mit Verspätung. Dieser Stau ging auf eine Klebeaktion der „Letzten Generation“ an einer Autobahn zurück. „Wir hoffen inständig, dass sich der Gesundheitszustand der Radfahrerin durch die Verspätung nicht verschlimmert hat“, erklärte dazu eine Sprecherin der Gruppe. Stets sei es oberstes Gebot, „die Sicherheit aller teilnehmenden Menschen zu gewährleisten“.

Ausgerechnet eine Radfahrerin, nicht etwa ein angetrunkener SUV-Fahrer, der eine Mauer touchiert hat. Eine Gute also. Ein Mensch, dessen Leben durch eine Aktion zusätzlich gefährdet wurde, im Bemühen die Menschheit zu retten. Und die, dies nur nebenbei bemerkt, nicht zu den „teilnehmenden Menschen“ zählte. Wie soll das bitte zusammenpassen? Nein, da passt gar nichts.

Unterstützer mögen nun hektisch nach Entschuldigungen suchen. Dass die Feuerwehr doch eine andere Straße hätte nehmen können. Dass es auch bei angemeldeten Demonstrationen zu Verkehrsstaus kommen kann. Dass das so niemals gewollt war.

Das wird nicht mehr viel helfen. Die Aufmerksamkeitsökonomie hat sich gegen die „Letzte Generation“ gewandt und droht diese zu vernichten.

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