Ergebnis der Europawahl in Deutschland: Die Anti-Ampel-Wahl
Die Ampel-Regierung wurde mit einem historischen Ergebnis abgestraft, Union und Populist*innen triumphieren. Geht Politik 2024 nur noch in populistisch?
D as Wahlvolk nutzt Europawahlen oft als Denkzettel für die Regierung. Aber nur ein Drittel für die Ampelparteien? Das ist mehr als Ausdruck situativen Missvergnügens. Das letzte Mal, dass Regierungsparteien bei einer Europawahl so miserabel abschnitten, war 2004. Ein Jahr später war Rot-Grün am Ende. Man muss kein Untergangsprophet sein, um das für ein Menetekel zu halten.
Dabei hat die SPD viel Energie und politisches Kapital investiert. Der Kanzler, der gar nicht zur Wahl stand, lächelte besonnen von den Plakaten. Angesichts des Rechtsrucks in Europa hoffte die SPD auf die Gegenmobilisierung. Dieses Kalkül ist nicht aufgegangen. Die Wahlbeteiligung zeigt zwar, dass viele die Vorstellung aufgeschreckt hat, dass Le Pen und Meloni in Europa den Ton vorgeben. Deshalb haben viele für eine demokratische Partei votiert – aber nicht für die Sozialdemokraten.
Und jetzt? Das Vertrauen in Scholz’ Erzählung, dass die Deutschen am Ende ihn und nicht Merz als Kanzler wollen, hat noch mehr Risse bekommen. Die Debatte, ob Boris Pistorius Scholz verdrängen wird, ist allerdings noch immer mediale Flatterhaftigkeit und keine realpolitische Möglichkeit.
Anti-Ampel-Affekt und Grünen-Groll
Die Union hat fast so viel Zuspruch bekommen wie SPD, Grüne und FDP zusammen. Wenn man Wahlen ganz altmodisch als Konkurrenz unterschiedlicher Ideen versteht, ist das ein erstaunlicher Sieg. Aber was will die Union eigentlich? Auf ihren Plakaten prangten Slogans, die wie ein „Best of“ der letzten 50 Jahre wirkten: Wohlstand und Freiheit. Die Union hat auf die Anti-Ampel-Stimmung vertraut. Selbst etwas zu wollen, hätte da nur gestört.
Das ist ein Wink für die Bundestagswahl 2025: Scholz’ Hoffnung, gegen einen angriffslustigen, wankelmütigen Merz automatisch im Vorteil zu sein, kann von etwas anderem verdrängt werden: der fest eingravierten Ablehnung gegen die Ampel. Die mag auch das AfD-Ergebnis erklären. Die AfD ist zudem, fast wie Trump, resistent gegen Skandale.
Die Grünen wirken noch ratloser als die SPD. Der Anti-Ampel-Affekt ist vor allem ein teils irrationaler Hass auf die Ökopartei. Das Image, eine moralisierende Partei von Besserverdienern zu sein, ist tief eingefräst. Die Grünen wirken in einer veränderungsunwilligen Gesellschaft wie eine Provokation. Auch sich selbst zu verharmlosen und Robert Habeck als onkelhaften Wiedergänger von Ludwig Erhard zu inszenieren, nutzt nichts. Diese Wahl zeigt: Die Stimmung ist anti-öko und antilinks. Beides spiegelt sich auch im Aufstieg der Wagenknecht-Partei und im Abstieg der Linkspartei. Die Mitte-links-Parteien stehen vor einer unschönen Frage: Müssen sie populistischer werden, um die Populisten zu schlagen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann