Benzinpreise in Deutschland: Noch viel zu billig

Die Debatte über hohe Spritpreise ist unehrlich. Nicht etwa arme Menschen profitieren von Tankrabatten. Sondern die Reichen und Bequemen.

Hand steckt Tankstutzten in den Tank eines PKW

Ah! Das ist ein Gefühl,oder? Die Karre vollpumpen ohne an morgen denken zu müssen Foto: Marijan Murat/dpa

Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit einem Kanister zur Tankstelle und füllen fünf Liter Benzin ab. Sie bohren ein kleines Loch unten in den Kanister. Das Benzin läuft langsam aus. Sie nehmen ein Streichholz und zünden die Pfütze an. Im Gehen hinterlassen Sie eine brennende Spur.

Vermutlich würden Sie schnell festgenommen, vielleicht würden Polizisten rumbrüllen und ihre Waffe ziehen. Wenn Sie also gern Benzin verbrennen, aber Ihnen diese Variante zu gefährlich ist, setzen Sie sich doch lieber einfach in Ihr Auto und fahren los!

Was für ein bescheuerter Vergleich, werden Sie jetzt vielleicht sagen, und damit haben Sie natürlich recht. Aber weniger bescheuert geht gerade leider nicht, womit wir beim Thema wären. Die Benzinpreise steigen. Ein Liter Benzin kostet aktuell über 2 Euro. Finanzminister Christian Lindner, der mit dem Porsche, hat deshalb einen allgemeinen Tankrabatt vorgeschlagen. Den Preis für einen Liter Benzin wollte er so wieder auf unter 2 Euro drücken.

Nur drei Wochen hat es also gedauert, seit dem Beginn des Angriffskriegs in Europa mit bisher drei Millionen Flüchtlingen, und nur eine Woche seitdem ernsthaft über das dringend notwendige Ölembargo gegen Russland diskutiert wurde, bis die deutsche Debatte wieder zum schwarz-rot-goldenen Bauchnabel abgebogen ist.

Höchste Zeit, mit ein paar Mythen aufzuräumen

Damit schrumpft dieser gigantische Krieg in handliches deutsches Debattenformat. Politiker können Politikersachen machen – also Sofortprogramme beschließen und bei Pressekonferenzen einen raushauen. Journalistinnen können Journalistinnensachen machen, also Kommentare wie diesen schreiben. Leser können den Kopf schütteln, bei Facebook kommentieren und ein wütendes Emoji schicken. Alles fast wie vor dem Krieg.

Die Verantwortung für die hohen Benzinpreise tragen die Raffinerien. Sie verweisen auf den Krieg, obwohl der Rohölpreis fast wieder auf Vorkriegsniveau gesunken ist. Das heißt, man kann es nicht weniger drastisch sagen: Sie bereichern sich am Leid in der Ukraine. Aber die Debatte wäre eben auch nicht so groß, würde sie nicht den Deutschen und sein Auto betreffen. Höchste Zeit also, mit ein paar Mythen aufzuräumen.

Die meisten Deutschen steigen nicht deshalb ins Auto, weil sie nicht anders können, sondern weil es bequem ist. Es ist bequem, Fahrtzeit im Vergleich zur Bahn zu sparen. Es ist bequem, keine Coronamaske tragen zu müssen – und keine Handschuhe, weil warme Luft aus Düsen kommt.

Es bequem haben zu wollen, ist nichts Verwerfliches. Aber es gibt kein Anrecht auf Komfort. Nicht, wenn mit dem Erlös aus billigem Benzin Panzer und Bomben gekauft werden. Nicht, wenn mit Sprit die Erderhitzung im wahrsten Sinne des Wortes befeuert wird.

Die Mehrheit ist bereit, solidarisch mehr zu bezahlen

Aber die Bequemlichkeit der Einzelnen ist nicht alleine schuld. Die Regierungsparteien behaupteten noch im Wahlkampf, beim Abschied von den fossilen Energien müsse niemand auf Komfort verzichten. Diese Lüge rächt sich jetzt. Es wäre schön, wenn Olaf Scholz vor die Kameras träte und sagte: „Es gibt ein Recht auf Mobilität. Aber es gibt kein Recht auf billiges Benzin.“

Politisch ehrlich wäre es, folgende Zahlen zu nennen: 91,7 Prozent der Deutschen wohnen 600 Meter oder weniger von einer Bushaltestelle entfernt oder maximal 1.200 Meter von einem Bahnhof mit mindestens 20 Abfahrten am Tag. Für die große Mehrheit gibt es längst Alternativen zum eigenen Auto. Fahrräder, auch elektrische, Lastenräder, Mitfahrgelegenheiten.

Es ist angenehm, gerade nicht Mitglied der Bundesregierung zu sein und deshalb schreiben zu können: Der Benzinpreis ist noch viel zu niedrig. Das sieht man auch daran, dass die Deutschen kein bisschen weniger fahren, seit die Preise gestiegen sind – und keinen km/h langsamer. Das zeigt eine Auswertung der Daten von Navigationsgeräten.

Die Mehrheit der Deutschen ist bereit, höhere Energiekosten zu tragen, um die Ukraine solidarisch zu unterstützen. Das zeigen Umfragen. Der Benzinpreis muss auch deshalb steigen, weil das Ölembargo die wirksamste Sanktion ist, die Deutschland noch in der Hand hat. Wenn sich die Bundesregierung weiter dagegen sperrt, hat Deutschland ein ganz anderes Preisproblem: Dann ist es politisch und moralisch bankrott.

Krankenschwestern aus Stroh

Aber was ist mit der berühmten „Krankenschwester auf dem Land, die mit ihrem Nissan Micra zur Arbeit pendelt“? Es gibt sie, ihr muss geholfen werden – und gleichzeitig ist sie eine Strohpuppe. Es gibt leider kaum Statistiken, wie viele dieser Strohpuppen aus Fleisch und Blut sind. Besser erforscht ist etwas anderes: Je reicher Menschen sind, desto mehr Autos gibt es in ihrem Haushalt, desto größer sind die Autos, desto mehr Kilometer fahren sie zur Arbeit. Und: Wirklich arme Menschen haben kein Auto. Von billigerem Benzin profitieren also vor allem Leute mit Geld.

Ist die Krankenschwester aber aus Fleisch und Blut und nicht aus Stroh, kann man sie unterstützen: Durch ein Energiegeld, durch niedrigere Steuern, durch besseren, günstigeren Nahverkehr, nicht zuletzt durch höhere Löhne. Bloß: Für einen läppischen Pflegebonus brauchte es erst eine ganze Pandemie. Für Debatten über Tankrabatte reicht es hingegen, wenn Benzin ein paar Tage lang teurer wird.

Es wäre wünschenswert, dass Menschen lauter darüber streiten, für wen das Leben noch bezahlbar ist

Robert Habeck, vermutlich auch Christian Lindner und Olaf Scholz wissen, dass Benzin noch teurer werden muss. Wenn sie schon bei einem Benzinpreis von etwas über 2 Euro so einen Alarm machen, dann muss einem bange werden vor künftigen Debatten in der Klimakrise.

Warum knicken sie ein? Ist es die diffuse Angst vor deutschen Gelbwesten? Wären die – wenn man für einen Moment die reaktionären Elemente dieser Bewegung beiseite lässt – so schlimm? Der soziale Friede an der Tankstelle ist ja derzeit weder besonders sozial noch besonders friedlich. Es wäre wünschenswert, dass Menschen lauter darüber streiten, für wen das Leben noch bezahlbar ist. Von mir aus in einer gelben Weste, von mir aus mit Umweg über die Zapfsäule.

Vielleicht wird dann auch der Bundesregierung klar, dass sie die Verteilungsfrage nicht länger weiträumig umfahren kann wie eine Baustelle auf der Autobahn. Denn zwei Dinge sind unabänderlich: 1. Der ökologische Umbau der Welt wird unbequem. 2. Wessen Leben dabei besonders unbequem wird, ist eine politische Entscheidung.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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