Letzte Generation und Reichsbürger: Die staatsgläubigen Klimaaktivisten

Die Letzte Generation nimmt buchstäblich ernst, was Gesetzeslage ist. Damit stellt sie die Politik bloß, die darauf panisch und absurd reagiert.

Protestierende halten einen Banner

Aktivisten der „Letzte Generation“ blockieren eine Zufahrt zur Tiefgarage des Bundestages Foto: Julius-Christian Schreiner/tnn/dpa

Es war von verquerer Symbolik: Auf die Razzia gegen die Reichsbürger folgte eine Razzia gegen Klimaaktivisten der Letzten Generation. Diese Ereigniskette insinuiert, dass von rechts und links Terror gegen den Staat droht. Tatsächlich ist es jedoch genau andersherum: Niemand ist so staatsgläubig wie die Letzte Generation. Die Aktivisten wollen die Regierung zwingen, ihre eigenen Gesetze ernst zu nehmen.

Es scheint längst vergessen, aber das letzte Kabinett Merkel hat 2021 ein Klimaschutzgesetz verabschiedet, nach dem Deutschland bereits im Jahr 2045 klimaneutral sein soll. Man muss kein Mathematiker sein, um sofort zu erkennen, dass nur noch 23 Jahre bleiben. Eigentlich wäre also Tempo angesagt, doch stattdessen wird viel Zeit vergeudet. Noch nicht einmal ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ließ sich durchsetzen.

Besonders erstaunlich agiert die Union: Fraktionschef Friedrich Merz tut jetzt so, als wäre der Klimaschutz eine Zumutung, die eigens von den Grünen erfunden worden wäre, um die unschuldigen Mitbürger zu quälen. Beherzt verdrängt er, dass die Union die Kanzlerin stellte, als das Klimaschutzgesetz verabschiedet wurde.

Aber dieser Zynismus fällt vielen nicht auf. Die meisten Politiker und Bürger haben sich längst damit arrangiert, dass Gesetze gelegentlich ein politisches Handeln vortäuschen sollen, das es gar nicht gibt. Sie wundern sich nicht, dass der Klimaschutz stockt, obwohl es doch ein Klimaschutzgesetz gibt. Die Letzte Generation hingegen fordert völlig ironiefrei: Was das Parlament beschlossen hat, das muss gelten.

Retterin der Demokratie

Der Letzten Generation wird gern vorgeworfen, dass sie kompromisslose Moralapostel seien, die glaubten, sie hätten die Klimawahrheit gepachtet. Dabei ist es so viel schlichter: Die Aktivisten nehmen nur buchstäblich ernst, was Gesetzeslage ist. Damit aber stellen sie die Politik bloß, was wiederum erklärt, warum viele Politiker seltsam panisch und absurd reagieren.

So behauptete Finanzminister Lindner (FDP) am vergangenen Donnerstag in seinem Podcast „CL+“, dass die Aktivistengruppe „brandgefährlich“ sei und demnächst die Demokratie relativieren könnte. Das Gegenteil ist jedoch richtig: Die Letzte Generation sieht sich als Retterin der Demokratie. Sie will erreichen, dass demokratisch gewählte Volksvertreter demokratisch erlassene Gesetze umsetzen.

Allerdings wählen die Klimaaktivisten einen Weg, der zunächst widersprüchlich erscheint: Sie nutzen illegale Mittel, um den legal beschlossenen Klimaschutz zu erzwingen. Es ist nun einmal ein Fakt, dass man sich nicht auf der Straße festkleben oder verglaste Kunstwerke mit Kartoffelbrei bewerfen darf. Die Klimaaktivisten leugnen auch gar nicht, dass sie Unrecht begehen, und akzeptieren die Strafen. Sie wollen stören, aber nicht schaden.

Der Staat bricht täglich das Gesetz

Ihre Botschaft ist friedlich: Sie begehen Gesetzesverstöße, um darauf hinzuweisen, dass täglich Gesetze gebrochen werden – und zwar ausgerechnet durch den Staat. Diese Botschaft lässt sich jedoch gezielt missverstehen, wie Lindner vorführt. In seinem Podcast wirft er den Klimaaktivisten vor, sie verfolgten ein „geradezu autoritäres Gesellschaftsmodell“. Eine „Gruppe von Eingeweihten“ sage einer Mehrheit, was gut und richtig sei. Das ist eine seltsame Kritik. Man muss nicht „eingeweiht“ sein, um zu wissen, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein will. So steht es im Gesetz.

Lindner tut bewusst so, als wären die Klimaaktivisten mit den Reichsbürgern gleichzusetzen. Dieser rechtsradikale Trupp verfolgt tatsächlich ein „autoritäres Gesellschaftsmodell“, indem man die Existenz der Bundesrepublik leugnet und sich immer noch im Deutschen Reich wähnt. Zugleich wollte diese kleine „Gruppe von Eingeweihten“ einen Staatsstreich organisieren und sich selbst zu Ministern ernennen. Der Bundestag sollte gestürmt und mit Waffengewalt aufgelöst werden. Zudem wurden zwei „Feindeslisten“ gefunden, auf denen unter anderem Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und Friedrich Merz aufgeführt waren.

Wie harmlos sind dagegen die Klimaaktivisten: Statt Abgeordnete zu verhaften, wie es die Reichsbürger planten, haben sie sich am Donnerstag vor zwei Tiefgaragen festgeklebt, die zu Bundestagsbüros gehören. Nach zwei Stunden wurden die Demonstranten von der Polizei weggetragen, und die Mandatsträger konnten wieder ihre Parkplätze ansteuern.

Der Staat höhlt sich selbst aus

Trotzdem fürchtet sich die Politik nicht etwa vor den Reichsbürgern, sondern vor den Klimaaktivisten. Also wurde die Bundestagspolizei entsprechend instruiert. Niemand informierte die Schutzbeamten über einen möglichen Angriff der Reichsbürger – aber sie wurden explizit vor den harmlosen Aktionen der Letzten Generation gewarnt.

In den Reihen der Reichsbürger befinden sich auch Beamte, Polizisten und Soldaten. Das ist nicht nur gefährlich, sondern auch bizarr, weil sie einen Staat ablehnen, von dem sie zugleich ihr Gehalt oder ihre Pension beziehen. Aber nicht nur die Reichsbürger sind inkonsequent, sondern auch der Staat selbst – indem er Klimagesetze erlässt, an die er sich dann nicht hält.

Die Regierung führt selbst herbei, worauf die Reichsbürger so inniglich hoffen: Der Staat höhlt sich von innen aus, indem er das Recht als Attrappe missbraucht. Diesen Zustand will die Letzte Generation nicht akzeptieren, auch weil es um ihre Zukunft geht. Aber es ist mehr: Sie sind echte Demokraten und glauben an den Staat.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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