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Erfolgreicher Volksentscheid in HamburgKlimaschutz doch nicht unpopulär

Die Hamburger haben am Sonntag entschieden, mit dem Klimaschutz früher Ernst zu machen. Einen Modellversuch zum Grundeinkommen lehnten sie dagegen ab.

Der Name der Party-Location ist Programm: Klima-Bewegte jubeln im Café „Schöne Aussichten“ Foto: Georg Wendt/dpa

Hamburg taz | Die Hamburger Bevölkerung hat sich am Sonntag für einen ambitionierteren Kurs beim Klimaschutz ausgesprochen. 53 Prozent der abgegebenen Stimmen lauteten auf Ja für den sogenannten „Zukunftsentscheid, 47 Prozent auf Nein – bei einer Abstimmungsbeteiligung von knapp 44 Prozent.

Bei der parallel stattfindenden Volksabstimmung für den Test eines bedingungslosen Grundeinkommens mussten die Initiatoren eine Niederlage einstecken: 62,5 Prozent der Stimmen lauteten auf Nein, 37,5 Prozent auf Ja.

Beim Zukunftsentscheid ging es um eine Verschärfung des geltenden Hamburger Klimaschutzgesetzes. Der Gesetzentwurf der Volksinitiative sieht vor, das Zieldatum für Klimaneutralität um fünf Jahre vorzuziehen – von 2045 auf 2040.

Verbindliche Zwischenziele

Darüber hinaus soll ein linearer Reduktionspfad für CO2 mit jährlichen Zwischenzielen festgelegt werden. Diese werden überprüft, bei Nichteinhaltung muss der Senat handeln. Über- oder Untererfüllungen von Zwischenzielen können über fünf Jahre verrechnet werden. Im bestehenden Gesetz ist nur ein Zwischenziel – minus 70 Prozent CO2-Ausstoß bis 2030 – festgelegt.

Der Gesetzentwurf der Initiative sieht überdies vor, den Klimaschutz verpflichtend sozialverträglich zu gestalten. Im heutigen Gesetz ist nur vom Prinzip der Sozialverträglichkeit die Rede.

Gegen die Verschärfung des Klimaschutzgesetzes hatte im Vorfeld neben CDU und SPD eine ganze Riege von Verbänden argumentiert – allen voran die Wohnungswirtschaft, die vor schneller steigenden und höheren Mieten warnte, während der Mieterverein zu Hamburg das als Panikmache bewertete. Industrievertreter warnten vor einer Überforderung – obwohl sich die Unternehmen via Handelskammer selbst das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 gesetzt hatten.

„Hamburg ist ab jetzt das einzige Bundesland, dessen Menschen sich ihr Klimaschutzgesetz selbst gegeben haben“, kommentierten die Initiatoren des Zukunftsentscheids ihren Erfolg. „Weil sie sich entschieden haben, nicht länger untätig zusehen zu wollen, sondern die notwendigen Maßnahmen anzugehen.“ Jetzt werde Hamburgs Klimapolitik sozial, planbar und verantwortungsbewusst.

SPD warnt vor „erheblichen Anstregungen“

Die SPD-Landesvorsitzenden Melanie Leonhard und Nils Weiland versicherten, sie respektierten das Ergebnis des Volksentscheides, warnten aber, „dass damit erhebliche Anstrengungen auf Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und die Stadt zukommen werden“. Bei der Umsetzung müssten offene Fragen geklärt werden, „insbesondere, was unter einer sozialverträglichen Umsetzung zu verstehen ist“.

Rosa Domm vom Koalitionspartner, den Grünen, wollte mehr Chancen als Risiken im Ausgang des Zukunftsentscheids erkennen. „Die Ham­bur­ge­r*in­nen haben heute ein Zeichen gesetzt, das weit über die Stadtgrenzen hinausgeht“, kommentierte die Fachsprecherin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende. „In Zeiten, in denen Klimaschutz in vielen Teilen der Welt infrage gestellt wird, hat Hamburg gezeigt: Diese Stadt lässt nicht locker – sie will vorangehen.“

CDU-Fraktionschef Dennis Thering sprach demgegenüber von einem bitteren Tag für Hamburg. Drastisch steigende Mieten, Jobverluste, Fahr- und Heizungsverbote würden die Folge sein. Die oppositionelle CDU habe frühzeitig davor gewarnt und versucht, die regierende SPD zu einem „gemeinsamen Kraftakt gegen diesen gefährlichen Vorschlag zu bewegen“. Doch das Angebot sei viel zu lang unbeantwortet geblieben. „Insbesondere Bürgermeister Peter Tschentscher und die SPD haben diesen Volksentscheid vollkommen unterschätzt.“

Wirtschaft besorgt, aber „konstruktiv“

Andreas Breitner, Direktor des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen, der vor allem Genossenschaften und kommunale Unternehmen vertritt, zeigte sich enttäuscht vom Ergebnis des Zukunftsentscheids: „Ich habe Sorge, dass sich der Erfolg der Initiatoren als Scheinsieg herausstellen wird.“ Die im Verband organisierten Unternehmen würden jetzt prüfen und gegebenenfalls ihre Planungen überarbeiten.

Das Vorziehen von Klimaneutralität werde vor allem für Menschen mit mittlerem und geringem Einkommen eine große finanzielle Belastung werden, warnte der VNW-Direktor. Zu glauben, dass die Stadt die immensen Mehrbelastungen einfach „Wegfördern“ könne oder dass am Ende die Vermieter diese allein tragen würden, sei ein Irrglaube.

Handelskammer-Präses Norbert Aust versicherte, die Wirtschaft werde sich konstruktiv einbringen. Mit verschiedenen Initiativen zeige sie „bereits heute, wie ambitionierter, marktwirtschaftlich getragener Klimaschutz funktionieren kann“. Die nun beschlossenen starren Vorgaben, bürokratischen Gremien und jährlich drohenden Sofortprogramme außerhalb parlamentarischer Kontrolle seien aber der falsche Weg.

Nur ein Drittel für das Grundeinkommen

Die zweite Initiative, Hamburg testet Grundeinkommen, setzte sich für einen Modellversuch ein. 2.000 repräsentativ ausgewählte Hamburger in einem oder mehreren Quartieren sollten ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1.346 Euro bekommen, dazu Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge. Die Summe sollte zu einem bestimmten Schlüssel mit dem jeweils verfügbaren Einkommen verrechnet werden – je höher das Einkommen, desto geringer der Zuschuss.

Der Test sollte über drei Jahre laufen, verschiedene Modelle untersuchen und wissenschaftlich begleitet werden. Die Initiative begründete ihn mit positiven Erfahrungen bisheriger Versuche und damit, dass er der erste staatlich finanzierte und demokratisch beschlossene Test in Deutschland gewesen wäre.

Laura Brämswig von Hamburg testet Grundeinkommen kommentierte, sie habe den Vorab-Umfragen zufolge mit einem knapperen Ergebnis gerechnet. Dass deutlich mehr als ein Drittel der Stimmen für das Grundeinkommen abgegeben wurden, betrachtet sie dennoch als ermutigend: „Das zeigt, dass das Grundeinkommen kein Nischenthema mehr ist.“

Allein die Kampagne hatte ihrer Einschätzung nach jedoch schon große Strahlkraft. „Wir konnten sehr viel Bildungsarbeit zum Thema Grundeinkommen machen“, sagt Brämswig. Zugleich seien sie und ihre Mitstreiter froh, dazu beigetragen zu haben, dass der Zukunftsentscheid das notwendige Beteiligungsquorum erreichen konnte.

„Wir halten die Entscheidung für richtig“, kommentierten die SPD-Vorsitzenden Leonhard und Weiland die Ablehnung des Modellversuchs. Hamburg stehe vor großen Zukunftsaufgaben und investiere Rekordsummen in Infrastruktur, Bildung, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit. „Es ist daher vernünftig, auf ein teures Experiment ohne klaren Mehrwert zu verzichten“, finden die SPD-Chefs.

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1 Kommentar

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  • "Wirtschaft besorgt, aber konstruktiv"



    Und dann lese ich hauptsächlich über das Gejammer von Vermietern.



    Hat den niemand mal Vertreter von Handwerk und Baugewerbe gefragt? Oder Leute, die Solar- oder Windanlagen bauen? Die werden sich mit beschleunigten Klimaschutzaktivitäten die Nase weiter vergolden lassen. Und das ist Wirtschaft!



    Aussagen seitens SPD klingen nicht so, als sähe man sich in der Lage, das Ganze sozialverträglich zu gestalten. Und dass eine CDU etwas sozialverträglich gestalten will, ist ja ohnehin schon länger vorbei...