Intellektuelle zum Krieg in der Ukraine: Weltmeister im Pazifismus
Deutsche Intellektuelle belehren die Welt mit ihrer Tugend und halten Waffenlieferungen an die Ukraine für kriegstreibend. Putin dürfte das gefallen.
I ch verliere langsam die Beherrschung, wenn ich jenen zuhöre, die sich gerade als Pazifisten inszenieren. Natürlich braucht eine Demokratie den vielfältigen Diskurs. Natürlich müssen Fragen nach den Bedingungen, Ursachen und Zielen dieses Krieges gestellt werden. Der Zweifel gehört dazu, die Unsicherheit darüber, was richtig ist in dieser Zeit, all das muss seinen Platz haben. Doch es gibt eine spezifische Art des deutschen Pazifismus, die sich absichtlich dumm und naiv gibt, die so tut, als wäre ein gewisser Habitus ausreichend, um Lösungen für das Ende eines Angriffskriegs aus dem Handgelenk zu schütteln.
Locker, so den Ellbogen auf der Lehne des biederen Ohrensessels, versteht sich, denn wie unverschämt muss man sein, um als gebildeter Deutscher zu fragen: Wann hat Krieg etwas Gutes über die Menschheit gebracht?
Man tut so, als wüsste man nicht, wie es ist, wenn faschistische Herrscher ihre Machtansprüche mit Gewalt durchsetzen. Wenn unter Diktatoren Kritiker eingesperrt, wenn Zivilisten ermordet, Frauen vergewaltigt und Unschuldige aus ihren Häusern vertrieben werden.
Krieg bringt nie Gutes, aber so mancher Verteidigungskrieg besiegt Böses. Ex-Bundespräsident Gauck brachte es bei Markus Lanz in der Sendung auf den Punkt: „Pazifismus ist ehrenvoll, führt aber nicht zum Guten. Er zementiert nur die Dominanz der Bösen, der Unmenschlichen und der Verbrecher.“
Im Moment wird man für Sätze wie diese in Deutschland immer häufiger als Kriegstreiber beschimpft. Während sich die Superpazifisten als friedliebend und besorgt inszenieren, werfen sie anderen den Krieg und seine Fortsetzung vor, ohne auf die spezifischen Bedingungen näher einzugehen. Wer der Ukraine für ihren Verteidigungskrieg Waffen liefern will, der wird zunehmend in die Ecke der Kriegstreiber gestellt. Wer Waffenlieferungen fordert, sei angeblich an Verhandlungslösungen nicht interessiert. Seit Monaten äußert sich im Zwei-Tages-Takt irgendein deutscher Intellektueller in diese Richtung, und sie alle bereiten damit eine gefährliche Stimmung in einem Land, das bald schon in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten wird und deshalb Ausdauer und Moral braucht.
Man tut in Texten und Interviews so, als sei die Verteidigung gegen Putin das größte Problem an diesem Krieg. Man tut so, als wäre mit Putin nie zuvor verhandelt worden, als hätte es nicht unzählige Abkommen mit Russland gegeben, die Putin selbst gebrochen hat. Man tut nicht nur zwischen den Zeilen, sondern immer offener so, als wäre dieser Krieg letztlich kein strategisch angelegter Vernichtungskrieg Russlands, sondern die unnötige Folge der Selbstverteidigung der Ukrainer. Kurz: Man tut so, als seien alle anderen schuldiger an diesem Krieg als Putin. Am schlimmsten seien demnach jene Kräfte, die mithelfen, die Vernichtung der Ukraine – im völkerrechtlichen wie kulturellen wie körperlichen Sinn – zu verhindern. Das sei unpazifistisch, womit wir wieder beim Anfang dieses Textes wären und bei einer Debatte, die sich im Kreis dreht, doch genau dieses Im-Kreis-Drehen ist der geistige Zermürbungskrieg, den Putin auf moralischer Ebene bewirken will: Die Europäer, die ohnehin zu hoch zu Werteross saßen, sollen entlarvt werden in ihrer Heuchelei.
Wenn nun also auch der Soziologe Hartmut Rosa einen Text schreibt, der jene, die der Ukraine Waffen liefern wollen, in die Nähe von Kriegsbefürwortern rückt, so ist das nicht nur eine Ehrverletzung jener, die den Freiheitskampf der Ukraine verstehen, es ist auch ein gefährliches Spiel mit den moralischen Kategorien, die es braucht, um Putin die Stirn zu bieten.
Diesen Krieg will jedoch niemand außer Putin führen, wenn er anhält, so nur deshalb, weil der Angriffskrieg nicht aufhört. Auch Rosa suggeriert, wie viele andere, Putin würde bei entsprechenden Angeboten den ausgehandelten Frieden akzeptieren – dafür wollen sie ihm fremdes Territorium schenken, wie großzügig.
Der gute Putin wird – diesen Fantasien nach – plötzlich akzeptieren, dass die zerstückelte Ukraine und andere russische Nachbarländer Teil der Nato werden. Nach all dem Verständnis für sicherheitspolitische Bedrängungsgefühle Putins soll er bei diesen Friedensverhandlungen plötzlich akzeptieren, von der Nato umzingelt zu sein?
Das Völkerrecht ist plötzlich egal und die Jugoslawienkriege werden instrumentalisiert und verzerrt – da habe man auch Kroatien und Slowenien neu anerkannt. Ja, aber um die Angegriffenen zu schützen. Wenn man Bosnien und Herzegowina herbeizieht, dann sollte man erwähnen, was das bis heute bedeutet, wenn Aggressoren Land erhalten und von da an die Geschichte zu ihren Gunsten und zum Schaden der Opfer verzerren, dafür reicht der Kampf um das Erinnern in Srebrenica, das seit dem Abkommen von Dayton zur Republika Srpska gehört.
Warum verwenden all diese Intellektuellen ihre Kraft nicht für Überlegungen, wie aus der Energieabhängigkeit von Russland herauszukommen wäre oder die Ärmeren durch den Winter gerettet werden könnten? Warum hat man oft den Eindruck, eine bestimmte intellektuelle Klasse fürchtet, dass sie ihre Themen so weit ausdifferenziert hat, dass ein archaischer Krieg keinen Platz hat – und so opfert man die Realität dem Wunschdenken und labelt das dann auch noch „Realpolitik“ – wie Hartmut Rosa es tat.
Es tut weh, wenn Autoren aus der Ukraine sich gezwungen sehen, den offenen Briefen deutscher Intellektueller mit Texten entgegenzutreten, und man in jeder Zeile liest, dass sie um ihr nacktes Überleben kämpfen. Nicht um höhere Stromrechnungen, sondern um Vernichtung geht es.
Dabei argumentieren die Ukrainer entlang des Rechts, das die freie westliche Welt sich gab, während jene, die in Freiheit leben, denken und reden dürfen, bereit sind, diese Freiheit zu opfern, als wäre sie nichts.
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