Extremisten wollen Agrarproteste kapern: Achtung, Bauern von rechts
Zur Blockadeaktion gegen Wirtschaftsminister Habeck hatten auch Rechtsextreme mobilisiert. Der Bauernverband geht nur lasch gegen Unterwanderung vor.
Die Gruppe hat es auf Habeck abgesehen. Polizei und Reederei werden später mitteilen, dass der Mob die Fähre stürmen wollte. Polizist*innen bilden eine Reihe, schubsen einzelne Protestierende immer wieder zurück, eine Sirene heult auf, irgendwann sieht man einen Strahl einer Flüssigkeit in Richtung der Menge spritzen – die Polizei musste nach eigenen Angaben Pfefferspray einsetzen.
Habeck hat zuvor noch ein Gespräch mit Vertreter*innen der Protestierenden angeboten. Doch die aggressive Menge lehnt ab. Die Fähre muss wieder ablegen, erst in der Nacht kann Habeck an Land gehen. Nun wird wegen Nötigung und Landfriedensbruch gegen Unbekannt ermittelt.
Der Protest der Bauern weist Verbindungen ins rechtsextreme Milieu auf und kann gewalttätig werden, das zeigte sich auch in Schlüttsiel. Rechtsextreme versuchen, die Bauernproteste für sich zu nutzen – um die Ampelkoalition und das „System“ zu stürzen. Sie mobilisieren für die Protestwoche, die der Deutsche Bauernverband am Montag starten will. Er hält an ihr fest, obwohl die Bundesregierung ihm entgegengekommen ist. Sie will nun die KfZ-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge doch nicht abschaffen und den Steuerrabatt auf Agrardiesel lediglich stufenweise bis 2026 streichen.
Inhalte der „Identitären Bewegung“
Bevor laut Polizei bis zu 300 Menschen an den Fähranleger kamen und rund 100 Traktoren auffuhren, hatte es Aufrufe in sozialen Medien gegeben. Unter anderem ein Post im Telegram-Kanal „Freie Schleswig-Holsteiner“ forderte am frühen Nachmittag dazu auf, in Schlüttsiel zu protestieren. Der Kanal hat fast 6.000 Abonnent*innen und ist inspiriert von der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Partei „Freie Sachsen“.
Ein eigener Versand des Telegram-Kanals zeigt auf T-Shirt-Motiven das bekannte ideologische Arsenal der Querdenker-Szene: Hass auf Grüne, Hass auf Gesundheitsminister Karl Lauterbach, Freundschaftsbekenntnisse zu Russland sowie szeneübliche Kürzel wie die „NWO“. Die Abkürzung steht für die antisemitisch grundierte Verschwörungsideologie einer „Neuen Welt Ordnung“, bei der eine globale Elite angeblich an einer heimlichen Weltregierung feile.
Das Landesamt für Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein erwähnt den Telegram-Kanal in seinem Bericht für das Jahr 2022 unter der Kategorie „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, die nach den Coronaprotesten neu geschaffen wurde. Laut der Behörde ist der Telegram-Kanal von Beginn an „als größte Stimme der Protestbewegung aufgetreten“, wobei es zuletzt zu einer thematischen Verschiebung gekommen sei: Jedes Thema sei aufgegriffen worden, „das auch nur im Ansatz geeignet schien, Empörung zu erzeugen“. Nach der Hochphase der Pandemie lautete demnach die pauschale Forderung, die Regierung komplett abzusetzen.
Eigentlich verbreitet der Kanal beispielsweise Inhalte von Martin Sellner weiter, einem Anführer der rechtsextremen Identitären Bewegung, Videos des rechten US-Influencers Tucker Carlson oder Beiträge zur AfD, die deren Kurs als zu wenig radikal kritisieren. Einige der Nachrichten zeigen nun aber auch einen Bezug zu den Bauernprotesten.
Am Donnerstag berichtete der Kanal für seine Abonnent*innen am frühen Abend fast live mit Videos und Bildern von der Protestaktion gegen Habeck und von Rangeleien mit der Polizei am Fähranleger in Schlüttsiel. „Die Bauern bereiten den Empfang“, heißt es unter einem Video eines Trecker-Konvois am Deich. „Habek (sic!) wird mit Feuerwerk zurück ins Watt geschickt“, so der Kommentar unter zwei Fotos.
„National. Revolutionär. Sozialistisch“
Auch bei der rechtsextremen Partei „Der III. Weg“ kennt man derzeit vor allem ein Thema: die Bauernproteste. Unter Bildern von moosgrünen Flaggen mit dem Eichenlaub-Logo der Partei und T-Shirts mit dem Slogan „National. Revolutionär. Sozialistisch“ wirbt die Internetseite der Rechtsextremen für die Protestwoche der Bauern. „Stoppt die Volksverräter!“ steht auf der Homepage, daneben die schwarze Fahne der gewalttätigen Landvolk-Bewegung aus den 1920er Jahren mit Pflug und blutrotem Schwert, die als ein Wegbereiter der NSDAP gilt. „Wir von der Partei ‚Der III. Weg‘ werden uns selbstverständlich nach unseren Möglichkeiten an den Aktionen beteiligen“, kündigte die Gruppierung an. Auch die AfD, „Die Heimat“ (die frühere NPD), die „Freien Sachsen“, auch die rechtsoffene Querdenker-Partei „die Basis“ solidarisieren sich mit den Protesten.
In diversen Telegram-Gruppen wird für eine lange Reihe von Protestaktionen am Montag aufgerufen, die Rede ist von einem „Generalstreik“, ganze Branchen hätten zugesagt, sich an den Protesten der Landwirte zu beteiligen. Die Gruppe „Landvolk schafft Verbindung“ beispielsweise gibt es bereits seit Juli 2020, heute hat sie gut 6.500 Mitglieder. „Wenn eine Regierung Scheiße baut, gehört sie abgesetzt!“, heißt es hier, unter dem Hashtag: DeutschlandErblüht. Es gehe darum, die „grüne Welle zu brechen, bevor sie uns bricht“, der Regierung wird angeboten, „auf den Pfad der Vernunft zurückzukehren“, andernfalls müsse sie abgesetzt werden. Ständig werden auf Telegram neue „Ortsgruppen“ gegründet und Aktionen angekündigt.
Rechtsextreme hatten auch schon frühere Proteste von Bauern gegen schärfere Umweltvorschriften versucht zu unterwandern. Tatsächlich tauchten bei Demonstrationen immer wieder Landvolk-Fahnen auf – aber nur vereinzelt.
Innenministerium warnt vor Instrumentalisierung
Das Bundesinnenministerium warnt nun vor Versuchen von extremen Kräften, die Bauernproteste zu missbrauchen. Ein Sprecher von Ministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, es sei davon auszugehen, dass insbesondere Akteure aus dem rechtsextremistischen Spektrum wie auch aus dem Spektrum derjenigen, die den Staat delegitimieren wollten, im Verlauf der Protestwoche versuchen würden, Veranstaltungen für eigene Interessen zu instrumentalisieren.
Schon am 30. Dezember in Augsburg demonstrierten laut Polizei unter den rund 1.100 Teilnehmern auch Bauern mit insgesamt 277 Traktoren. Aufgerufen hatte keine landwirtschaftliche Organisation, sondern das „Bürgerforum Schwaben“. Diese Initiative hat bereits früher gegen „manipulierte Medien“, „erleichterte Einbürgerung“ und für die „Offenlegung aller Corona-Massnahmen“ und „Transparenz der Impfschäden“ demonstriert.
Bei mehreren der jüngsten Protestaktionen von Bauern haben manche Teilnehmer unter Rechtsextremen beliebte Parolen, Galgensymbole und die Fahne der Landvolk-Bewegung gezeigt. Die Veranstalter distanzierten sich im Nachhinein auf taz-Anfrage, waren aber nicht eingeschritten. Bei der zentralen Demonstration des Bauernverbands am 18. Dezember in Berlin konnte einer der Hauptredner auf der Bühne Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) mit einem als rassistisch verstandenen Spruch verhöhnen, ohne dass der daneben stehende Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied das dort verurteilt hätte.
Sein Verband hat zwar die Blockadeaktion gegen Habeck verurteilt und bezieht auch gegen Rechtsextreme Stellung: „Der Deutsche Bauernverband distanziert sich von solchen Trittbrettfahrern und Symbolen wie Galgen, Särgen, schwarzen Fahnen, die auf unseren Demonstrationen nichts zu suchen haben“, teilte Generalsekretär Bernhard Krüsken mit. Er ging aber nicht auf die Frage der taz ein, mit welchen konkreten Maßnahmen er verhindern will, dass an den Demonstrationen Rechtsextremisten teilnehmen und solche Symbole gezeigt werden.
Agrarwende-Aktivisten kritisieren Bauernverband
„Die Distanzierungen auf Twitter reichen nicht. Das kam viel zu spät“, kritisiert denn auch Inka Lange, Sprecherin des ökologisch orientierten „Wir haben es satt“-Bündnisses, das die gleichnamige Demonstration für eine Agrarwende am 20. Januar in Berlin organisiert. „Wir schreiben diese Distanzierung gleich in unseren Aufruf rein.“ Auf den Demos des Bündnisses würden Ordner die Flaggen und Statements anschauen. „Und wenn das in gewisse Richtungen geht, es diffamierend wird, fordern wir dazu auf, die runter zu nehmen. Das passiert bei den Bauernverbands-Demos alles nicht.“
Der zweite große Veranstalter der Agrardieseldemos, der Bauernverein Landwirtschaft verbindet Deutschland (LSV), reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf eine Bitte der taz um Stellungnahme zu den Unterwanderungsversuchen von Rechtsaußen. LSV-Sprecher Anthony Lee hat auch kein Problem damit, in einem langen Video gemeinsam mit einer Landesvorsitzenden der Querdenkerpartei „die Basis“ aufzutreten. Sie duzen sich sogar. Mehrmals hat er rechten Medien wie Tichys Einblick oder Demokratischer Widerstand Interviews gegeben. Und bei einer Veranstaltung im September 2021 hatte sich Lee ausländerfeindlich und „klimaskeptisch“ geäußert. Gut möglich, dass solche Parolen auch bei den über 100 angekündigten Protesten in der kommenden Woche zu hören sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich