Bundesverfassungsgericht zu Hartz IV ​: Kinder weg, Haus weg ​

Ziehen Kinder von Hartz IV-Bezieher:innen aus, dann sinkt auch der Wohnbedarf, so das Bundesverfassungsgericht. Ein Paar muss sein Haus nun verkaufen.

Urteil zu Hartz-IV-Schonvermögen: Bundesverfassungsgericht Foto: Uli Deck/dpa

FREIBURG taz | Eltern, deren Kinder ausgezogen sind, dürfen beim Hartz IV-Schonvermögen gleich streng behandelt werden wie Kinderlose. Das entschied nun das Bundesverfassungsgericht und lehnte eine Vorlage des Sozialgerichts Aurich ab, das mehr Rücksicht auf die Situation von Eltern verlangte.

Konkret ging es um ein Ehepaar aus Ostfriesland, das im eigenen Haus mit 143 Quadratmeter Grundfläche lebte. Der Mann war schon Rentner, die Frau wurde arbeitslos und beantragte 2018 Grundsicherung. Das Jobcenter lehnte den Antrag jedoch mit Verweis auf das große Haus ab, die Frau sei nicht wirklich bedürftig. Das Haus könne „verwertet“, also verkauft, werden. Für ein Ehepaar genügten 90 Quadratmeter Wohnfläche.

Das Jobcenter berief sich dabei auf die Regeln zum Schonvermögen für Hartz IV-Bezieher:innen im Sozialgesetzbuch 2. Dort heißt es, dass Arbeitslosengeld 2 auch dann bezahlt wird, wenn die arbeitslose Person „ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung“ hat.

Doch was ist angemessen? Hier hat das Bundessozialgericht 2016 festgestellt, dass für eine vierköpfige Familie Wohneigentum von 130 Quadratmeter angemessen ist und für zwei Personen 90 Quadratmeter.

Ähnliche Probleme für arbeitslose Mie­te­r:in­nen

Das ostfriesische Ehepaar wandte nun ein, dass sie das Haus 1997 bezogen hatten, als die Familie noch achtköpfig war. Doch nach und nach zogen die sechs Kinder aus. Seit 2013 lebte das Ehepaar allein im Familienhaus.

Das Jobcenter verwies wiederum auf das Gesetz. Für die Angemessenheit von Wohneigentum komme es auf den Zeitpunkt an, zu dem Sozialleistungen beantragt werden. Es sei unerheblich, dass das Wohneigentum in der Vergangenheit angemessen war, als die Kinder noch bei den Eltern wohnten.

Das Sozialgericht Aurich, bei dem der Fall landete, sprang jedoch den Eltern bei und legte den Fall in Karlsruhe vor. Es sei eine Diskriminierung von Eltern, wenn diese nach dem Auszug der Kinder ihr Haus verkaufen müssen, während ein kinderloses Paar sein Haus behalten könne. Die Eltern verlieren so den bisherigen Lebensmittelpunkt, während die Kinderlosen im gewohnten Umfeld bleiben können, argumentierte das Gericht. Das Grundgesetz verbiete eine Schlechterstellung von Eltern gegenüber Kinderlosen.

Doch der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hält die aktuellen Regelungen zum Schonvermögen für verfassungskonform. Der Gesetzgeber habe bei Sozialleistungen einen weiten Gestaltungsspielraum. So könne er Eltern und Kinderlose – wie derzeit – formal gleichbehandeln, indem nur auf die aktuelle Bewohnerzahl und ihren Flächenbedarf abgestellt wird. Soweit dies bei Eltern zu Umzügen führt, die Kinderlosen erspart bleiben, sei dies gerechtfertigt. Der Staat müsse Sozialleistungen nur dort gewähren, wo ein echter Bedarf besteht.

Ähnliche Probleme haben auch Mieter:innen, die Hartz IV beziehen. Wenn die Kinder ausziehen, kann eine bisher angemessene Wohnung plötzlich zu groß werden. Das Jobcenter hat die Mieter früher aufgefordert, sich binnen sechs Monaten eine billigere Wohnung zu suchen. Seit März 2020 ist die Prüfung der Wohnverhältnisse bei Hartz IV-Bezieher:innen zwar coronabedingt ausgesetzt. Die Sonderregelung soll jedoch zum Jahresende 2022 auslaufen. Die Probleme von Mie­te­r:in­nen spielten im aktuellen Karlsruher Fall aber keine Rolle.

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