Polizeigewalt gegen schwarze Jugendliche: Polizei im Ausrastezustand

Die Hamburger Polizei nimmt einen schwarzen Jugendlichen fest, nachdem dieser eine Rede gegen Polizeigewalt gehalten hatte.

An einer Wand steht "ACAB" gesprayt

Kann vieles heißen, zum Beispiel „All Colours are beautiful“ oder „Acht Cookie, acht Banane“ Foto: Mario Hösel/imago

HAMBURG taz | „Ich muss in Angst leben, weil ich schwarz bin“, sagt Asad F. ins Mikrofon. „Es ist sehr traurig, aber der Grund, warum ich mich auf der Straße ständig umgucke und paranoid bin, seid ihr.“ Mit diesen Worten wendet sich der Redner von seinem Publikum weg und zeigt auf zwei Polizist*innen, die die Kundgebung vom Rand aus beobachten. F. ist 15 Jahre alt und spricht zum ersten Mal vor so vielen Zuschauer*innen. Es ist Samstag, der 10. April und rund 80 Personen hören ihm zu, sie sitzen auf der Balduintreppe an der Hamburger Hafenstraße bei einer Kundgebung gegen rassistische Polizeigewalt.

F. trägt eine lila Cap und einen schwarzen Pulli, auf dessen Vorderseite steht „I can’t breathe“, auf die Rückseite gesprüht: ACAB, was als Abkürzung für „All Cops Are Bastards“ bekannt ist, so viel wie „Alle Polizisten sind Schweine“. Man merkt, dass er wütend ist – auf die Polizei, von der er sich per se verdächtigt fühlt, und auf die Gesellschaft, die diese Polizei hervorbringt. Er ahnt in diesem Moment noch nicht, wie nah er an der nächsten Konfrontation mit der Polizei ist.

Als Asad F. mit seinem ebenfalls schwarzen Bruder Musa F. und einem weißen Freund die Kundgebung verlässt, stürmen an der Reeperbahn mehrere Po­li­zis­t*in­nen auf die drei Jugendlichen zu. „Mindestens 15 Cops in kompletter Riot-Ausrüstung haben uns umstellt und an eine Wand getrieben“, sagt Asad F.

Sein Bruder habe angefangen, die Szene mit dem Handy zu filmen. Ein Polizist habe es ihm untersagen wollen, aber Musa F. habe geantwortet: „Ich kenne meine Rechte – ich darf filmen, ich darf es nur nicht veröffentlichen.“ Der Polizist habe ihm das Handy aus der Hand gerissen und den 16-Jährigen gegen die Wand geschlagen. Fünf Polizisten hätten ihn fixiert.

Knie am Körper gespürt

„Ich wusste überhaupt nicht, was los war“, sagt Musa F., „ich habe nur die Knie an meinem Körper gespürt.“ Als die Po­li­zis­t*in­nen die Jungs aufgefordert hätten, ihre Jacken auszuziehen, sei Asad F. klar geworden, was sie suchten: Den ACAB-Pulli. „Ich bin der, den ihr sucht“, habe er gerufen.

Die Po­li­zis­t*in­nen hätten von seinem Bruder abgelassen und den Jüngeren auf die Davidwache gebracht. Dort hätten sie ihn komplett durchsucht und auch im Intimbereich abgetastet, bis auf die Unterhose habe er sich ausziehen müssen. Musa F. alarmierte seine Mutter, die ihren Sohn abholte.

Musa F., 16 Jahre alt

„Ich wurde schon vorher nervös, wenn ich die Polizei gesehen habe. Der Überfall hat mir gezeigt, dass meine Angst berechtigt ist“

Angelika F. ärgert sich über die Polizei. „Die haben mich nicht mal informiert, dabei ist mein Sohn minderjährig“, sagt sie. Als sie in die Wache gekommen sei, hätte ein Polizist gefragt, ob sie wüsste, was ihr Sohn da für einen Pullover trage und wofür ACAB stehe. „Klar weiß ich das“, habe Angelika F. entgegnet. „All colours are beautiful.“

Als der erste Schock vorbei war und die Familie zuhause ankam habe Musa F. Schmerzen am ganzen Körper verspürt. Seine Mutter brachte ihn ins Krankenhaus, wo die Ärz­t*in­nen ihn über Nacht zur Beobachtung behielten. Sie stellten ein stumpfes Bauchtrauma sowie Prellungen an Kopf, Hüfte und Rippen fest.

Darüber hinaus belastet das Erlebte die Jugendlichen nun psychisch. „Ich wurde schon vorher nervös, wenn ich die Polizei gesehen habe“, sagt Musa F. „Der Überfall hat mir wieder gezeigt, dass meine Angst berechtigt ist.“ Dass die Polizei mit Gewalt auf einen Redebeitrag gegen rassistische Gewalt reagiere, sage einiges aus. Gegen Asad F. ermittelt die Polizei jetzt wegen Beleidigung.

Dabei haben Gerichte schon häufig über die Frage geurteilt, ob das Akronym ACAB diesen Straftatbestand erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2016, dass die Abkürzung von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, weil sie eine generelle Ablehnung der Polizei zum Ausdruck bringt und sich nicht beleidigend gegen einzelne Be­am­t*in­nen richtet.

Die Pressestelle der Hamburger Polizei sagt dazu nichts – wegen des laufenden Verfahrens. Sprecher Holger Vehren bestätigt aber, dass wegen des Anfangsverdachts der Beleidigung eines Polizisten eine Strafanzeige gefertigt wurde. „Nachdem der Tatverdächtige den Versammlungsort verlassen hatte, wurde er durch Beamte der Bereitschaftspolizei angehalten und vorläufig festgenommen“, sagt Vehren.

„Keine Erkenntnisse“ über körperlichen Zwang

Zur Identitätsfeststellung und Übergabe an eine Erziehungsberechtigte sei der Beschuldigte mitgenommen worden. Von körperlichem Zwang wisse er nichts: „Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass körperlicher Zwang ausgeübt werden musste, der zu Verletzungen eines der Beteiligten hätte führen können oder geführt hat“, so Vehren.

Niklas Pietzcker, der Zeuge der Szene wurde, sagte der taz, für ihn habe das anders ausgesehen. Er sei ebenfalls von der Kundgebung gekommen, als er an der Reeperbahn die Jugendlichen von Po­li­zis­t*in­nen umzingelt gesehen habe. Der Jüngere habe mit den Händen gegen das Polizeiauto gestanden und sei abgetastet worden, der andere sei von mehreren Po­li­zis­t*in­nen an der Hauswand fixiert worden. „Es wirkte wie eine aggressive Machtdemonstration“, sagt Pietzcker.

An­woh­ne­r*in­nen der Hafenstraße haben in dieser Woche in einem Statement die „zunehmende Normalisierung rassistischer Polizeigewalt“ im Viertel kritisiert. Die Task Force Drogen, die dort fast permanent schwarze Geflüchtete kontrolliert, mache das Viertel zu einem gefährlichen Ort für schwarze Menschen.

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