Putin erkennt die „Volksrepubliken“ an: Schmierenkomödie eines Aggressors
Mit dem Truppenaufmarsch in der Ostukraine hat Präsident Putin vollends seine Maske fallen lassen. Damit scheint das Minsker Abkommen tot zu sein.
W ir müssen Wladimir Putin vielleicht sogar dankbar sein: Mit der formalen Anerkennung der beiden sogenannten Volksrepubliken Lugansk und Donezk – eine Schmierenkomödie, deren Drehbuch schon lange vorher geschrieben worden war – hat Russlands Präsident endlich seine Maske fallen lassen.
Jetzt ist amtlich, was schon seit Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzungen 2014 mit rund 13.000 Toten offensichtlich ist: Der vermeintliche ukrainische Bürgerkrieg war und ist nichts anderes als ein bislang primitiv camouflierter russischer Feldzug gegen den Nachbarstaat, für den sich die Separatisten, in Wahrheit Marionetten des Kremls, bereitwillig zur Verfügung stell(t)en.
Beachtung verdient hier auch Putins Märchenstunde, die der eigentlichen Anerkennung am Montagabend vorausging und im Gewand eines historischen Exkurses daherkam. Fazit: Die Ukraine gibt es gar nicht, sie ist ein Irrtum der Geschichte – ein Staat, der, wie Putin schon des Öfteren gesagt hat, keine Existenzberechtigung hat. Wir erinnern uns noch gut daran, als vor einigen Jahren bei einer Pro-Putin-Demonstration auf dem Roten Platz in Moskau Plakate mit folgender Aufschrift zu sehen waren: „Die Ukraine ist Russland, wir werden siegen.“
Auch wenn sich Putin auf der Siegerstraße wähnen mag, die Frage ist jetzt: Wie geht es weiter? Per Dekret hat Putin am Montagabend die Entsendung von Friedenstruppen in die Ostukraine angeordnet – ein Déjà-vu. Das war auch 2008 so, als dem Krieg zwischen Russland und Georgien die Anerkennung der beiden Regionen Abchasien und Südossetien sowie die Entsendung russischer Truppen folgten. Dort stehen sie bis heute, wobei sich die Grenze im Fall Südossetiens immer weiter in das Landesinnere von Georgien verschiebt.
Kein Gewinn, nur ein Status quo
Doch die Südkaukasusrepublik ist nicht die Ukraine. Da geht es für Putin um weitaus mehr. Mit der offiziellen Entsendung von Truppen, um die bedrohten russischen Landsleute zu verteidigen, wäre nicht viel mehr gewonnen, sondern lediglich der Status quo festgeschrieben.
Russlands Innenminister Wladimir Kolokolzew hat am Montag vorgeschlagen, die beiden Volksrepubliken in ihren „historischen Grenzen“ anzuerkennen, das heißt in den Grenzen von 2014 und damit vor dem Ausbruch des militärischen Konflikts. Aktuell kontrolliert jedoch Kiew den größeren Teil der Gebiete Lugansk und Donezk. Seit einem „Referendum“ von 2014 betrachten die Separatisten die Grenzen der Volksrepubliken mit denen der gleichnamigen Gebiete als deckungsgleich.
In Gesetzen, die 2019 beide Volksrepubliken verabschiedet haben, heißt es darüber hinaus, dass die Unverletzlichkeit dieser Grenzen notfalls auch mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden müsse. Im Klartext heißt das: Es ist nicht ausgeschlossen, dass es in der Ukraine demnächst zu einem Krieg größeren Ausmaßes kommen könnte. Die Folgen, vor allem für die Zivilbevölkerung in der Ukraine, möchte man sich gar nicht ausmalen.
Doch wie auch immer die weitere Entwicklung verlaufen wird: Mit der jüngsten Volte des Kreml scheint das Minsker Abkommen tot zu sein – ein Instrument, auf dessen Umsetzung vor allem auch die EU gesetzt hat, um einen Krieg zu verhindern. Unklar ist, wo jetzt diplomatische Bemühungen noch ansetzen können.
Klar hingegen sollte sein, dass es mit Drohungen gepaart mit Beschwichtigungsversuchen allein nicht mehr getan ist. Will heißen: Die Sanktionen, die ja schon jetzt angeblich küchenfertig auf dem Tisch liegen, müssen sofort umgesetzt werden, ohne Wenn und Aber. Wie sonst sollte der Westen seine Glaubwürdigkeit bewahren?
Wie lautet doch immer die Solidaritätsadresse an die Ukrainer*innen: „Wir stehen fest an Ihrer Seite!“ Eben. Putin hat am Montag die Karten auf den Tisch gelegt, der Westen muss die seinigen jetzt ausspielen.
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