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Kommentar Waffenstillstand UkraineFragiles Abkommen

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Seit Sonntag wird in der Ostukraine weniger geschossen. Doch es braucht jetzt auch eine Abrüstung der Sprache. Sonst wird das Töten weitergehen.

Der Waffenstillstand wir weitgehend eingehalten: ukrainischer Soldat in der Nähe von Debalzewe. Bild: reuters

D ie Minsker Friedensverhandlungen haben ein konkretes Ergebnis gebracht: Seit Sonntag wird in der Ostukraine weniger geschossen. Ohne den Waffenstillstand von Minsk wäre das Töten weiter eskaliert.

Doch das Abkommen ist sehr fragil. Dies war bereits am Sonntagnachmittag erkennbar. Auf beiden Seiten lassen wichtige Entscheidungsträger eine wirkliche Bereitschaft zur Umsetzung des gesamten Abkommens vermissen. Die Erklärung von Separatistenchef Alexander Sachartschenko, man werde das Minsker Abkommen im Prinzip einhalten, aber nicht in Debalzewe, dürfte der Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens genauso abträglich sein wie die Erklärungen der extremen rechten Kommandeure von Rechtem Sektor und dem Bataillon Asov, die sofort nach Verkündung der Minsker Vereinbarung deutlich gemacht hatten, dass sie sich an dieses Abkommen nicht gebunden fühlen.

Auch Russlands Präsident Putin trägt mit seiner Weigerung, die ukrainische Pilotin Sawtschenko freizulassen, nicht zur Deeskalation bei. Damit verletzt er die Minsker Vereinbarung, die eine Freilassung aller Kriegsgefangenen vorsieht. Das Gleiche gilt für Kiew, das den für russische Medien tätigen ukrainischen Sportjournalisten Andrei Sachartschuk festnehmen ließ. Was jetzt dringend nottäte, wären vertrauensbildende Maßnahmen: Putin könnte die ukrainische Pilotin Sawtschenko freilassen, die Ukraine den Journalisten Andrei Sachartschuk.

Kiew sollte sich überlegen, ob man Personen, die sich offen gegen die Minsker Vereinbarungen ausgesprochen hatten, wirklich mit dem Kommando militärischer Einheiten betrauen sollte. Gleichzeitig brauchen wir eine Abrüstung der Sprache. Solange Kiew die Aufständischen als Terroristen bezeichnet und diese die ukrainischen Soldaten als Faschisten, wird das Töten weitergehen.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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7 Kommentare

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  • 0G
    0564 (Profil gelöscht)

    An wen wird denn die Forderung nach sprachlicher Abrüstung gestellt, wird die TAZ auch in ukrainsichen und neurussischen Strategietanks wahrgenommen, sprich gelesen und diskutiert? Vielmehr scheint Sinn und Zweck des Aufrufs darin zu liegen, dem_der hiesigen_hiesiger TAZ- leser_leserin zu vermitteln, dass sich hier zwei hochgeschaukelt haben, die nun mal besser wieder runterkommen sollten. Die Meinung wird vertreten und propagiert, der Konflikt beruhe (auch) auf einer irrationalen, emotionalen Komponente. Also nicht sich im Wege stehende Machtinteressen werden militärisch ausgetragen und zur moralsichen Legitimation des Kampfes damit einhergehende Feindbilder erzeugt (es kämpft sich schlecht mit dem Wissen für nichts gutes), nein, die Feindbilder selbst trügen den Konflikt über die eigentliche Interessenspolitik hinaus. Solange die Ukrainische Politik die Gegenseite nicht als Machtblock akzeptiert, sondern ihn weiterhin militärisch beseitigen will, so lange wird sie diesen auch sprachlich delegitmieren, sprich als Terroristen bezeichnen. So wie es auch die Assad mit seinen Gegnern tat/tut, die wiederum der Westen zur syrischen Opposition. Von den Neurussen oder was weiß ich wird der Faschismusbegriff natürlich hauptsächlich darum angewendet um ihren Kampf als moralisch richtig zu beahaupten, zu bewerben. Dennoch scheint mir der Abbau von Feindbilder hier auch den Zweck zu verfolgen, auch die Faschisten in den ukrainischen Machtzirkeln zum verschwinden zu bringen. Aber diese Faschisten existieren, sie bezeichnen sich selbst als solche, denn sie beziehen sich positiv auf diese Ideologie. Viele Politiker/innen aus dem Westen und der Ukraine wollen und wollten auf diese faschistische Manpower zur Durchsetzung ihrer Umsturz/Revolutionsziele nicht verzichten. Durch Sprachabrüstung bekommt man diese Ultranationlaisten aber hinterher nun auch nicht wieder weg.

  • Die öffentliche Gewalt des Staates, insbesondere die von seinen bewaffneten Formationen ausgeübte militärische Gewalt, hat zwei grundlegende Anwendungsgebiete: "Klassenkampf und Eroberungskonkurrenz".

     

    (Vgl. Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats.)

     

    Die "selbsttätige bewaffnete Organisation der Bevölkerung" ist unmöglich geworden, "weil die zivilisierte Gesellschaft in feindliche und noch dazu unversöhnlich feindliche Klassen gespalten ist, deren ,selbsttätige' Bewaffnung zu einem bewaffneten Kampf unter ihnen führen würde".

     

    (Vgl. W. I. Lenin: Staat und Revolution.)

    • 0G
      0564 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      Danke für den Klarsinn in Gegenwart solch naiven Blödsinns wie: "Gleichzeitig brauchen wir eine Abrüstung der Sprache".

  • Nun ja es soll ja offensichtlich halten außer in Debalzewe (Quelle: Zeit) wo immer noch gekämpft wird. Die Stadt liegt zwischen Donetsk und Luhansk wenn GoogleMaps das richtige Ergebnis ausspuckt, also offensichtlich mitten innerhalb des Separatistengebiets.

     

    Offensichtlich haben wohl beide Seiten Schwierigkeiten Befehle an die Frontlinie zu bekommen und in den Reihen ihrer Söldnerheere durchzusetzen.

    • @insLot:

      Wenn man berücksichtigt, dass in Debalzewe, etwa 5000 der ukrainischen Führung unterstellte Soldaten inkl Ausrüstung eingekesselt sind und die Einkesselung einer der Gründe und Druckmittel war weswegen die ukrainischen Verantwortlichen die Friedensgespräche einermaßen ernst genommen haben.

      Außerdem wurde den Eingekesselten eine Kapitulaion vorgeschlagen, diese fand bis jetzt nicht statt.

      Dann ist es nachvollziehbar warum die Waffen dort nicht zum Schweigen kommen.

  • Evtl. wäre es interessant zu erwähnen weshalb Sachartschuck festgehalten wird und was auf der anderen Seite der Pilotin Sawtschenko vorgeworfen wird.

    Denn sollten die Vorwürfe die an die jeweiligen Angeklagte/n gestellt worden sind, sich bewahrheiten, dann darf man, in meinen Augen, diese Beiden "Gefangenen" auf keinen Fall gleich setzen.