Leistungsloses Einkommen: Warum Erben lieber über „Neid“ reden als über Gerechtigkeit
Jährlich werden Milliarden vererbt – ein leistungsloses Einkommen. Kritiker werden als neidisch diffamiert. Dabei haben sie gute Argumente.
G erade wird wieder viel über das Thema „Erben“ geschrieben, denn in den nächsten Jahren werden in Deutschland etwa 400 Milliarden Euro vererbt. In den Artikeln geht es aber meistens nicht um die Ungerechtigkeit, die so ein leistungsloses Einkommen darstellt, sondern die Umstände, die es macht: Streit mit den Geschwistern, Probleme mit der geerbten Immobilie, Unsicherheit wegen Steuertricks.
Probleme, die andere – also die Nicht-Erben – gerne hätten. Da in den Städten sicheres Wohnen nur noch im Eigentum möglich ist, Wohneigentum sich aber nicht mehr durch normale Lohnarbeit erwerben lässt, wird das Erben zum alles bestimmenden Standortvorteil bei der Problemsache Wohnen. Aber who cares?
Konservative und Liberale haben von Haus aus kein Problem mit dem Erben – wer nicht erbt, hat eben Pech gehabt. Aber auch die linke Erbscham hält sich in Grenzen. Auch, wer eher woke und links ist, verteilt in der Praxis nicht gerne um. Schließlich haben die Eltern dafür gearbeitet (oder die Großeltern?).
Das Geld wurde ja bereits versteuert! Der Mietenmarkt ist das Allerletzte! Wir haben Kinder! Die Eltern wollten es uns unbedingt schenken! Wir leben selbst prekär!
Der linksgrüne Erbe steckt das Geld vielleicht in eine Baugruppe und baut was ökologisch Sinnvolles, was die Sache aber auch nicht gerechter macht. Denn diese Möglichkeit bleibt Menschen mit leistungslosem Einkommen durch Elternhintergrund (Erben) vorbehalten.
Feudale Praxis des Erbens
Kritik an der undemokratischen, letztlich feudalen Praxis des Erbens wird allgemein gerne als Neid diskreditiert. Dabei können die Gefühle der Nicht-Erben von leichter Resignation über Vergeblichkeitsgefühle bis zum tiefen Empfinden sozialer Ungerechtigkeit durch die Aushebelung des angeblich herrschenden Leistungsprinzips in der Gesellschaft reichen.
Statt Mitgefühl zu zeigen, wird den Nicht- Erben eine hässliche Charaktereigenschaft unterstellt: Neid. Dieses uralte Gefühl gehört ja zu den sieben Todsünden und gilt schon in der Bibel als verachtenswert. Mit den neueren Komposita wie „Sozialneid“ oder „Neiddebatte“ lässt sich zudem jede Kritik an sozialer Ungleichheit einfach als Neid denunzieren. Dabei ist die „Neiddebatte“ nichts anderes als ein Begriff zur Verteidigung von Klassenunterschieden und Privilegien. So weit, so ungut.
Da dies aber auch eine Ratgeberkolumne ist, wollen wir den Nicht-Erben an dieser Stelle hilfreich beiseitestehen und haben deshalb recherchiert. So gab der konservative Soziologe und Neidforscher Helmut Schoeck in seinem Standardwerk „Der Neid und die Gesellschaft“ prima Tipps dazu, was gegen Neidgefühle getan werden kann:
Hoffnung auf Entschädigung im Jenseits, Glauben an die Rechtsordnung, Bescheidenheit und einfach mal die angeborene Überlegenheit der Eliten akzeptieren.
Die Kolumnistin hingegen gehört eher der nichtkonservativen Neidforschung an und empfiehlt: soziale Gerechtigkeit politisch einfordern, effektive Besteuerung großer Erbschaften, Mietendeckel, Übergewinnsteuer, Vermögensteuer, Vergesellschaftung.
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