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„Heimatland“ von Güner BalciNicht Klartext, sondern Kulturkampf

Lilly Schröder
Kommentar von Lilly Schröder

Neuköllns Integrationbeauftragte Güner Balci warnt in „Heimatland“ vor einer „Islamisierungswelle“ – und stärkt darin unbeabsichtigt rechte Narrative.

Güner Balci vertritt in ihrem Buch „Heimatland“ streitbare Thesen Foto: Carsten Koall/dpa

V erschleierte Frauen sind unterdrückt, muslimische Männer Sexisten und die „Woken“ juckt’s nicht, weil die mit sich selbst beschäftigt sind. Endlich sagt’s mal jemand! Überraschung: Es ist weder Thilo Sarrazin noch Alice Schwarzer. Diese Thesen stammen aus dem im August erschienen Buch „Heimatland“ der Integrationsbeauftragten für Neukölln, Güner Yasemin Balci.

Die Sozialarbeiterin und Filmemacherin wurde 1975 in Berlin geboren und ist im Rollbergkiez in Neukölln aufgewachsen. In ihrer Autobiografie erzählt die Tochter alevitischer Türken, wie ihre Familie in Deutschland Fuß fasste und ihre Eltern sich für die Integration ihrer Kinder engagierten. Gleichzeitig warnt Balci vor einer abgeschotteten reaktionären islamischen Parallelgesellschaft, die sich dort zunehmend ausbreite.

Sie berichtet von türkischen, arabischen oder albanischen Vätern, die sich als patriarchale Autoritäten inszenieren, sowie Salafisten und Imamen, die sich selbst zu Familienrichtern ernennen und nach Scharia-Regeln handeln: Mädchen zu Hause einsperren und zwangsverheiraten.

Balci benennt damit Probleme, die mit Migration einhergehen. So weit, so berechtigt. Das Problem: Die Pauschalisierungen. Nicht jede arabische Familie ist patriarchal und nicht jede verschleierte muslimische Frau ist unterdrückt.

Stereotypen über Mi­gran­t*in­nen werden verstärkt

Für Balci schon: Das Kopftuch sei ein Symbol der Unterdrückung und linke Feminist*innen, die Kopftücher befürworten, seien „Wohlstandsverwahrloste“, sagte sie der Neuen Zürcher Zeitung. Das zu behaupten ist ignorant und blendet die komplexen vielfältigen Lebensrealitäten muslimischer Frauen aus.

Balci verstärkt durch ihre Generalisierungen bestehende Stereotypen über Migrant*innen, den Islam und gewalttätige Ausländer. So plädiert sie etwa dafür, statt von „Femiziden“ von „Ehrenmorden“ zu sprechen, da die Täter angeblich überwiegend migrantisch seien und aus dem Motiv der „Familienehre“ handelten. Das entspricht nicht der Realität: Der Anteil der Täter mit Migrationshintergrund ist nicht höher als ihr Anteil in der Bevölkerung.

Die Integrationsbeauftragte Balci inszeniert sich als jemand, die Klartext spricht und keinen Kulturkampf betreibt – doch ihre Argumentation trägt genau dazu bei. Die „Woken“ und die Medien würden sich nicht für das Recht auf Selbstbestimmung von muslimischen Mädchen interessieren, schreibt sie. „Stattdessen wird die Frage diskutiert, ob es so etwas wie das biologische Geschlecht gibt.“ Whatabout: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun und beide Themen verdienen Aufmerksamkeit – nicht Konkurrenz.

Doch anstatt die Gleichzeitigkeit auszuhalten, beißt Balci sich fest an den „Moralaposteln einer postmigrantischen Generation von woken Identitätspolitikern“, die jeden, der Probleme in der Einwanderer-Community anspricht, sofort als „Rassisten“ brandmarken. Sie hat recht: Diese Probleme müssen angesprochen werden können – aber differenziert. Andernfalls stärken sie unbeabsichtigt rechte Narrative.

AfD befürwortet Balcis Thesen

So wie Balcis Warnungen vor der „Islamisierungswelle“, bei der Fehlverhalten fast ausschließlich kulturell-religiös erklärt wird und die sozialen Realitäten der Betroffenen kaum berücksichtigt werden. So beglückwünschte sie etwa die AfD, als sie 2020 Integrationsbeauftragte wurde, während Linke und Grüne dagegen demonstrierten: „Wir wünschen Frau Balci viel Erfolg für ihre Arbeit und gute Nerven, die sie bei den sicher nicht weniger werdenden Angriffen vonseiten linker Ideologen ganz bestimmt brauchen wird“, schrieb die AfD.

Es zeigt sich: Balci erreicht mit ihren pauschalen Thesen nicht das, was ihre Aufgabe als Integrationsbeauftragte ist. Wer Thesen von Sarrazin zustimmt, muss damit rechnen, von den Rechten gefeiert zu werden. Dass sie sich in ihrem Buch für ein Verbot der AfD ausspricht, ändert an dem Grundproblem nichts.

Veranstaltungshinweis: Am Mittwoch, den 1. Oktober, liest Güner Balci um 19.20 Uhr im Restaurant Bajszel in der Emser Straße 8/9 in Neukölln aus ihrem Buch „Heimatland“.

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Lilly Schröder
Redakteurin für Feminismus & Gesellschaft im Berlin-Ressort Schreibt über intersektionalen Feminismus, Popkultur und gesellschaftliche Themen in Berlin. Studium der Soziologie und Politik.
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3 Kommentare

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  • "Wer Thesen von Sarrazin zustimmt, muss damit rechnen, von den Rechten gefeiert zu werden." Und dann verweigern wir jedes Gespräch über die damit verbundenen Themen? Dann ignorieren wir jedes mögliche Problem und relativieren es als "zu oberflächlich" und "nicht faktenbasiert"? Ich bin nicht blind wenn ich in Berlin unterwegs bin. Sand in den Kopf stecken unterbindet den Zulauf zur AFD sicher nicht.

  • Es ist immer schwierig, wenn Weiße meinen, sie wüssten besser als Persons of Colour, wie es in deren Community zugeht.

  • Nein Frau Schröder, es sind die andauernden Relativierungen wie Ihre, die es der Rechten leicht machen. Es ist der Unwille sich mit bestehenden Problemen zu beschäftigen und jede Kritik an Verhältnissen migrantischer Gruppen mit dem Totschlagargument abzuwehren man bediene damit rechte Narrative. Hätte man die Probleme früher angesprochen und aktiv gegengesteuert, dann hätten die Populisten gar nicht erst sich zu den erschreckenden Höhen aufschwingen können die wir heute sehen. Wenn man seine Standpunkte nur danach ausrichtet, wer was sagt statt an Inhalten, so wie Sie es tun, wenn Sie als Argument gegen Frau Balci heranziehen, dass die AfD ihr gratuliert hat zur Wahl aber Grüne und Linke nicht, dann wird man die Probleme nicht lösen können. Und das wir Probleme mit einem zunehmenden Islamismus haben, hat sich spätestens seit dem 7. Oktober für jeden sichtbar auf unseren Straßen manifestiert. Aber auf diesem Auge ist die Linke traditionell blind. Ich bedaure das sehr, denn es ist ein weiterer Baustein, der es den rechten Populisten der AfD sehr einfach macht.