Gesundes Essen für wenig Geld: Ohne Kochen geht es nicht
Wer wenig Geld hat, kann sich nicht gesund und wohlschmeckend ernähren, heißt es oft. Der Rentner Kurt Möbus zeigt, dass es doch möglich ist.
Kurt Möbus mag es gern frisch. Blumenkohl, Brokkoli, Rosenkohl. Morgens gekauft, vormittags zubereitet, mittags gegessen. Das muss sein, sagt Möbus, „so als alter Naturfreak“, der er sei.
Möbus ist 66 Jahre alt, Ökologe und Naturfotograf im Ruhestand. Er hat nicht viel Geld. 650 Euro Rente monatlich, manchmal verdient er sich ein paar Euro dazu. Davon gehen 300 Euro weg für die Miete seiner kleinen Singlewohnung in Friedrichsdorf im Hochtaunuskreis und etwa 130 Euro Nebenkosten. Hinzu kommen Strom, Internet, das Übliche. Am Ende, sagt Möbus, bleibe ihm für Lebensmittel, Kleidung, Hygieneartikel etwa so viel wie Hartz-IV-Empfänger:innen. Aber gesund ernähren, das will er sich trotzdem.
Geht das überhaupt? Das Narrativ hierzulande, das auch in der taz schon oft nacherzählt wurde, lautet: Wer wenig Geld hat, kann sich nicht gesund, frisch und wohlschmeckend ernähren.
Das ist nicht falsch. Wie Studien vielfach belegen, ist eine Ernährung mit frischem Obst und Gemüse, von dem man viel essen muss, um auf die nötige tägliche Kalorienmenge zu kommen, insgesamt teurer, als würde man sich von Pommes, Pizza und Fertigprodukten ernähren. Aktuell kommen die Folgen der Coronapandemie hinzu: Während die Lebensmittelpreise um 5 Prozent gestiegen sind, Obst und Gemüse sogar um 9 Prozent, bekommen Hartz-IV-Empfänger:innen demnächst nur 3 Euro mehr im Monat.
Nudeln, Hülsenfrüchte, Reis
Aber fast kein Mensch ernährt sich ausschließlich von Gemüse und Obst, nicht einmal Veganer:innen. Um satt zu werden, landen auf Tellern von Menschen, die auf tierische Produkte vollkommen verzichten, selbstverständlich Nudeln, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Reis. Produkte, die nicht teuer sein müssen und die es in jedem Supermarkt gibt. Auch Bioprodukte und frisches Gemüse kann man mittlerweile im Discounter kaufen.
Nichts anderes macht Kurt Möbus – der sich allerdings hin und wieder in kleinen Mengen Hühnerfleisch oder Speck leistet, möglichst in Bioqualität.
Möbus rechnet es vor: Eine Tüte braune Linsen gibt es bei Rewe für 1,09 Euro, in Bioqualität 1,69 Euro. Damit könne er, sagt Möbus, sechs Mal jeweils für zwei Tage eine Suppe kochen. Für die braucht er noch ein Bund Suppengrün, 99 Cent bei Rewe. Dazu ein bisschen Speck, 100 Gramm für 68 Cent (Edeka). „Wenn ich Biolinsen und Schinkenspeck nehme, koche ich die Linsensuppe für 1,95 Euro und esse davon zwei Tage.“ Lässt Möbus das Fleisch weg, wird es noch preisgünstiger.
Oder „Oweblätze“, wie Möbus sie nennt, eine Art Kartoffelpfannkuchen. Die werden mit Hefeteig, Kartoffeln und Mehl in ein wenig Fett gebacken, Möbus isst sie mit gebratenen Zwiebeln und etwas Speck. Dafür kauft er: 2 Kartoffeln, 2 Bio-Eier, 3 Zwiebeln, alles für jeweils 60 Cent, dazu 1 Würfel Biohefe, 30 Cent, und Speck für 50 Cent. Das Biodinkelvollkornmehl (1 Kilo, 1,89 Euro, Penny) hat er auf Vorrat zu Hause. Insgesamt nicht mal 3 Euro. Möbus sagt: „Reicht für zwei Tage, am zweiten Tag esse ich sie nur mit Butter. Schmeckt auch.“
Auch Fenchelauflauf mit Kartoffeln und Mozzarella, Gemüselasagne und Erbsensuppe stehen bei Möbus auf dem Ernährungsplan: „Mein Essen ist nie langweilig, obwohl es nicht teuer ist.“
Die These, dass sich Menschen mit wenig Geld nicht ausgewogen ernähren können, „stimmt in dieser Absolutheit nicht“, sagt auch Friedrich Schorb. Der Soziologe an der Universität Bremen muss es wissen, er beschäftigt sich seit Jahren mit Gesundheitsökonomie, Übergewicht und der dabei mitschwingenden Klassenfrage. Schorb verweist als Positivbeispiel auf Studierende: „Sie haben in der Regel wenig Geld und kaufen Brot vom Vortag zum halben Preis oder gehen containern.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Hatte der einstige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin also doch recht, als er 2008 einen „völlig gesunden, wertstoffreichen und vollständigen“ Speiseplan für Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger:innen für 3,76 Euro zusammenstellte? „Nein“, sagt Schorb: „Das war eindeutig abwertend gemeint.“ Sarrazin, den die SPD mittlerweile aus der Partei ausgeschlossen hat, sah für ein Mittagsmenü für eine Person unter anderem eine Bratwurst (38 Cent), 150 Gramm Sauerkraut (12 Cent), Kartoffelbrei (25 Cent) vor. Solche Vorschläge sind auf Dauer nicht gesund und stoßen bei Menschen mit wenig Geld schon deshalb auf Ablehnung, sagt Schorb, „weil sie sich nicht vorschreiben lassen, wofür sie ihr weniges Geld auszugeben haben“.
Dafür betrifft ärmere Menschen ein Phänomen, das der französische Soziologe Pierre Bourdieu als „Notwendigkeitsgeschmack“ bezeichnete: Wer nur bis zu einer bestimmten Summe investieren kann, identifiziert sich mit dem Erreichbaren. Bezogen auf Essen heißt das: Dann können Fischstäbchen, Pizza oder Pommes mit Ketchup und Mayo durchaus zu einem guten Essen umgedeutet werden. Erst recht, wenn Kinder im Haushalt leben, denen man etwas Gutes gönnen möchte. Nur sonderlich gesund ist das nicht. Und richtig gekocht eigentlich auch nicht.
Doch ohne Kochen geht es nicht, sagt Nanette Ströbele-Benschop, Ernährungspsychologin an der Universität Hohenheim: „Wer kochen kann und weiß, wie man Lebensmittel kombiniert, kann sich auch mit wenig Geld gesund ernähren.“ Von einem Kilo Kartoffeln könne man lange essen, ergänzt mit gekochtem Gemüse „kann das eine gute und gesunde Mahlzeit sein“.
Das Problem ist nur: Nicht alle Menschen können kochen. Und nicht alle haben Zeit und Lust dazu. „Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Jobs und trotzdem wenig Geld schafft es gar nicht, nach der Arbeit gezielt einzukaufen und dann auch noch zu kochen“, sagt Ströbele-Benschop: „Da muss es einfach, schnell und befriedigend sein.“ Und schon landet man wieder bei Fischstäbchen. Um dieses Problem zu lösen, schlägt die Ernährungspsychologin Ganztagsschulen mit Ernährungsbildung, die Unterstützung von Alleinerziehenden und die soziale Integration von Alleinstehenden vor.
Helfen Kochshows im Fernsehen? Nur bedingt, sagt Nanette Ströbele-Benschop: Man müsste Zutaten mitschreiben, Einkaufslisten machen, einkaufen. Am Ende kann es an teuren Gewürzen scheitern. „Kochshows steigern das Interesse, ein Essen selbst zuzubereiten, nur minimal.“
Kurt Möbus hat Glück. Als Kind hat er seiner Mutter beim Kochen zugeschaut und schon als Jugendlicher selbst gekocht. Er hat auch ein selbstangelegtes Kochbuch. Darin stehen etwa 50 verschiedene Rezepte. „In Gesellschaft zu essen wäre sicherlich schöner“, sagt er. „Aber ich genieße mein Essen auch allein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“