Forscher über die „Letzte Generation“: „Ein Ausdruck der Verzweiflung“
Die Diskussion um die Klimakrise habe sich darauf reduziert, wie man demonstrieren solle, sagt Protestforscher Simon Teune. Das sei bequem.
taz: Herr Teune, dieses Jahr überschlagen sich die Extremwetterereignisse. Die Klimakrise ist so präsent wie nie. Eigentlich müssten die Menschen doch alarmiert sein. Wieso gehen trotzdem immer weniger Leute zu den Klimastreiks?
ist politischer Soziologe und forscht am Institut für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) zur kulturellen Einbettung von Protesten.
Simon Teune: Es gibt immer einen Kern von Leuten, die sind politisch sehr aktiv und leicht mobilisierbar. Dann gibt es Leute, die gehen vielleicht einmal im Jahr auf die Straße oder seltener. Das sind die Leute, die 2019 bei den Klimastreiks waren. Die kommen jetzt nicht mehr. Viele sind zwar frustriert von der Klimapolitik der Bundesregierung, setzen das aber nicht mehr unmittelbar in Protest um, weil sie das Gefühl haben, sie würden nicht gehört. Nicht nur von der Regierung, sondern auch von den Medien. Allein die Tatsache, dass Sie damit einsteigen, dass es wenig Leute waren. 250.000 Leute an einem Tag in Deutschland auf die Straße zu bringen, das ist im Kontext einer allgemeinen Flaute immer noch ein sehr großer Protest.
Was müsste jetzt passieren, um auch enttäuschte Menschen wieder zu mobilisieren?
Was es braucht, ist das Verständnis, dass ich tatsächlich den Unterschied machen kann, wenn ich mich an einem Protest beteilige. Das kann zum Beispiel passieren, wenn die Klimadebatte auf konkrete politische Entscheidungen zuläuft. Die verkehrspolitischen Initiativen in Berlin zum Beispiel sind gerade gegen den Trend besonders mobilisierungsfähig, weil der Senat die Priorität für Radverkehr rückgängig macht. Da gibt es wie 2019 bei den Klimastreiks die Haltung, dass man mit dem Protest etwas verändern kann. Dieses Momentum fehlt in der Klimapolitik, auch wegen der Enttäuschung, dass trotz der bedrohlichen Situation selbst Maßnahmen, die man relativ schnell umsetzen könnte, liegen bleiben.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel Tempolimit, ein 9-Euro-Ticket, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Radinfrastruktur, Abbau von fossilen Subventionen. Da ist sehr viel Luft nach oben auf der Ebene von politischen Maßnahmen. Aber auch auf der Ebene von politischer Kommunikation fehlt die klare Ansage, dass die Bedrohungen der Klimakrise ernst genommen werden. Es gibt kein Angebot für eine Politik, die uns auf das 1,5-Grad-Ziel führt, zu dem Deutschland sich in Paris verpflichtet hat.
Das heißt, wenn die Politik die Klimakrise anders kommunizieren würde, wäre die Bereitschaft auch größer, sich für Klimaschutz einzusetzen?
Die Klimabewegung und diejenigen, die es mit Klimapolitik ernst meinen, sind mit einer großen Herausforderung konfrontiert. Sie müssen innerhalb von sehr kurzer Zeit und gegen massiven Widerstand eine radikale Transformation durchsetzen. Dafür muss man klar sagen, in welcher Situation wir uns befinden, sodass die Menschen sich von den einzelnen Maßnahmen nicht nur bedroht fühlen, sondern für sich darin auch eine positive Perspektive sehen. Sie haben es zu Beginn gesagt, dieses Jahr hat sehr deutlich gezeigt, womit wir in Zukunft rechnen müssen. Die Verwüstungen durch Extremwetterereignisse sind das eine. Es ist aber auch absehbar, dass die Konflikte, die mit der Klimakrise einhergehen, beträchtlich sein werden. Davon werden alle Menschen betroffen sein. Jeder Zehntelgrad weniger wird die Entwicklung abmildern. Das muss die Perspektive sein, mit der Maßnahmen angegangen werden.
Wie sieht es aus mit der radikaleren Protestgruppe Letzte Generation? Lösen deren Aktionen die Klimastreiks bald ab?
Ablösen werden sie die Fridays for Future mit Sicherheit nicht. Es braucht weiterhin das Zeichen, dass viele Leute mit der Regierungspolitik nicht zufrieden sind, und das kann eine Straßenblockade nicht leisten. Die Aktionsformen der Letzten Generation sind Ausdruck der Verzweiflung, weil es keine Anerkennung dafür gibt, dass wir uns in einer Notsituation befinden. An den Aktionen zeigt sich aber auch das Problem, die Bedrohung durch die Klimakrise zu kommunizieren. Viele Menschen verstehen nicht, was die Aktionen sollen. Die Blockaden schaffen kein Symbol für das Unrecht einer fossilen Wirtschaft, sondern allenfalls für unsere Unfähigkeit, uns damit zu konfrontieren.
Eine Umfrage zeigte kürzlich, dass der Zuspruch zu Klimabewegungen drastisch nachgelassen hat.
Es ist eine Situation entstanden, wo die Letzte Generation zum Buhmann geworden ist. Die ganze Diskussion um die Klimakrise hat sich darauf reduziert, in welcher Form man demonstrieren soll. Das ist für alle, die eine Klimapolitik bremsen wollen, sehr bequem. Diejenigen, die Straßenblockaden und symbolische Aktionen mit Terrorismus gleichsetzen, wollen von der Dringlichkeit einer konsequenten Klimapolitik ablenken. Diese vergiftete Atmosphäre färbt auch auf andere Leute ab, die in der Klimabewegung aktiv sind. Es hat sich eine feindliche Haltung gegenüber Klimaaktivismus insgesamt entwickelt.
Amnesty International hat Deutschland in Bezug auf die Versammlungsfreiheit erstmals als Problemland aufgelistet. Könnte das Menschen auch abschrecken, zu protestieren?
Ich denke, dass die Leute, die sich der Letzten Generation anschließen, nicht dadurch abschrecken lassen. In der Gruppe wird ja eine Haltung erzeugt, dass man mit vollem Einsatz reingehen muss. Da macht es kaum einen Unterschied, welche Konsequenzen einen erwarten. Aber die Einschränkung von Klimaprotest, die Vorverurteilung als kriminelle Vereinigung und die Vorbeugehaft erwecken den Eindruck, dass die Proteste das Problem sind. Da verstärken sich die öffentliche Debatte und die staatlichen Maßnahmen gegenseitig. Und das erzeugt sehr wohl eine Atmosphäre, in der Menschen, die eine bessere Klimapolitik wollen, eher nicht dafür auf die Straße gehen. Es geht um sehr viel und dabei beschränkt sich die Klimabewegung auf gewaltfreie Aktionen. Eine Verengung des zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraums ist schlecht für die demokratische Auseinandersetzung mit einem Problem, das nicht kleiner wird.
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