CDU-Verkehrspolitik in Berlin: Von Verkehrswende zu Autokonstante
Die Berliner CDU will das Mobilitätsgesetz ändern. Sie will den Vorrang fürs Auto erhalten und weniger Platz für Rad- und Fußverkehr.
Berlin taz | Während Berlins Autofahrer*innen pro Jahr durchschnittlich 71 Stunden im Stau stehen, plant die CDU weitere Geländegewinne für den motorisierten Individualverkehr auf Berlins Betonpisten. Man könnte sagen: Die Union setzt den Koalitionsvertrag mit der SPD um, dennoch empören sich insbesondere viele radaffine Protagonist*innen über die jüngst bekannt gewordenen Pläne der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Deren Änderungsentwurf für das Mobilitätsgesetz nämlich zeigt, wie sich die Union die Wende von der Verkehrswende konkret vorstellt: Schmalere Radwege, Vorbehalte gegen Spielstraßen, und der Vorrang für Fußgänger*innen und Radfahrende soll abgeschafft werden. Zuerst berichtete der RBB über den Entwurf, der auch der taz vorliegt und sich zusammenfassen lässt mit: All-in fürs Auto. Im alten Mobilitätsgesetz war die Rede vom Vorrang des Radverkehrs gegenüber dem Auto. Im CDU-Änderungsentwurf heißt es nun, dass Radnetz, ÖPNV, Fuß- und Wirtschaftsverkehr sich nicht gegenseitig verdrängen sollten. Konkret dürfte das heißen: Hier bleibt alles so, wie es ist.
Hinzu kommen schmalere Wege für alles außer für Autos: Im Mobilitätsgesetz der rot-rot-grünen Koalition sollte auf allen Radwegen noch genug Platz sein, damit sich Radelnde überholen können. Bisher sollte etwa ein Radweg an Hauptstraßen 2 bis 2,50 Meter umfassen, damit auch Lastenräder überholbar sind. Damit ist wohl Schluss: Neues Mindestmaß für gemeinsame Rad- und Fußwege sollen 2,50 Meter sein. Ein Einrichtungsradweg soll künftig zwischen 2 und 1,50 Meter breit sein, ein Radfahrstreifen 1,85 Meter. Möglicherweise steigende Radnutzung im Zuge einer Verkehrswende soll nicht mehr zu berücksichtigen sein, heißt es. Und wenn man schon den Rotstift zur Hand hat: Auch personell soll abgespeckt werden. Die CDU sieht künftig weniger Stellen für Radverkehrsplanung vor – nur noch eine statt zwei Vollzeitstellen pro Bezirk.
Unangenehm wird für viele auch folgende Passage sein: Galt bisher für Fußgänger*innen „Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr“, ist es damit vorbei. Fußgänger-Vorrang soll unter Vorbehalt von „Anforderungen und Bedürfnissen anderer Verkehrsteilnehmer“ gestellt werden. Spielstraßen für Kinder können aus Sicht der CDU anscheinend auch gleich mit weg – statt ausdrücklich Förderung der Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung steht im CDU-Entwurf, dass die Einrichtungen „geprüft“ werden sollen. Eine Passage zum Zurückdrängen von Autoverkehr in den Kiezen ist im CDU-Entwurf gänzlich gestrichen.
Strittige Personalie in Verkehrsverwaltung
Die CDU will am Dienstag in ihrer Fraktionssitzung über den Entwurf beraten und ihn möglicherweise beschließen. Spannend wird, wie die SPD auf den Vorstoß reagiert. Der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Johannes Kraft, erging sich gegenüber dem RBB in Euphemismen: „Wir wollen für alle Verkehrsteilnehmer Leistungsfähigkeit, Sicherheit und Angebot neu definieren“, behauptete er – es gehe um pragmatische Lösungen und schnelle Umsetzung.
Für mehr Aufregung insbesondere in der grünen Opposition sorgte unterdessen eine Personalie in der Verkehrsverwaltung von Manja Schreiner (CDU). Dort soll nach Informationen des Newsletters Table Media aus Senatskreisen offenbar Stephanie von Ahlefeldt die neue Berliner Verkehrspolitik gestalten. Die 54-Jährige war unter Peter Altmaier (CDU) für die Energiewende verantwortlich – unter ihrer Leitung haben es etwa zentrale Forderungen von Windkraftgegner*innen ins Klimapaket geschafft, wie Grüne und Klimabewegung kritisierten, sie galt als „verlängerter Arm der Energiewendegegner“.
„Dark Voldemort der Energiewende soll auf Verkehrspolitik losgelassen werden“
Die Ausschreibung der übergeordneten Leitung der Berliner Verkehrspolitik stammte noch aus Zeiten der grünen Senatorin Bettina Jarasch. Und auch Änderungen in der Stellenanzeige werfen Fragen auf, so wurde der Ausschreibungstext angepasst. Eine „unabdingbare“ Voraussetzung, die Ahlefeldt nicht erfüllte, wurde gestrichen: „einschlägige langjährige Berufs- und Leitungserfahrungen im Bereich Verkehr, insbesondere in der Verkehrspolitik und Verkehrsentwicklungsplanung und Mobilität sowie Erfahrungen im Umgang mit Verkehrsträgern“. Neu reingekommen ist dafür eine auf die Spitzenbeamtin maßgeschneiderte Bedingung: „Leitungserfahrungen im Bereich verkehrlicher, digitaler und/oder leitungsgebundener Infrastrukturen.“
Grünen-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Werner Graf, ist offensichtlich deutlich verärgert über die Personalie und nannte von Ahlefeldt „Dark Voldemort der Energiewende“, die nun auf die Berliner Verkehrspolitik losgelassen werden solle. Die Stellenbesetzung habe „mehr als ein Geschmäckle“, so Graf. „Es steht der Verdacht im Raum, dass hier nicht nach Qualifikation, sondern nach Ideologie entschieden und eine CDU-Parteifreundin versorgt werden sollte“. Zusammen mit dem Entwurf der CDU-Fraktion für die Zukunft von Berlins Verkehrspolitik würde es jedenfalls gut ins Gesamtbild passen.
Leser*innenkommentare
doofi
noch 2 Jahre und schwupps können alle Autos 1fach durchfahren, finden immer 1 Parkplatz und sind folglich glücklich.
CSch
Ein Hauptgund, weshalb die CDU in Berlin gewählt wurde, war, den Verkehrsblödsinn der RRG Regierung zu beenden. Leider räumen die von der Bevölkerung abgewählten Stadträte nun ihre Posten in den Bezirken nicht, obwohl sie diese nie hätten besetzen dürfen.
Seit RRG stehen Autofahrer in der Tat täglich im künstlich erzeugten Stau, benötigen im Schnitt inklusive Parkplatzsuche 15-25 Min. länger zur Arbeit und stoßen vermeidbare Abgase aus. Und nur damit sich die 3 Radfahrer im Sommer nun gegenseitig überholen können und im Winter dann das Hinterrad das Vorderrad des Einzelnen, auf der gähnend leeren Spur.
Mein Vorschlag wäre, Fahrräder erst einmal Verkehrssicher auszustatten, mit Rückspiegel, Fahrradklingel, Beleuchtung und Kennzeichen.
Rennräder sind beispielsweise Sportgeräte, entsprechen nicht der StVO und haben im öffentlichen Straßenverkehr gar nichts zu suchen. Dann müsste es mit ein wenig gegenseitiger Rücksichtnahme im Straßenverkehr auch klappen, dass sich zwei Fahrradfahrer, bei 2,50 m Spurbreite, gegenseitig überholen.
Jeder Autofahrer muss zum Spurwechsel ggf. auch einmal einen geeigneten Moment abwarten, evtl. sogar ganz anhalten.
Das nennt sich verkehrsbedingt warten müssen, weil man nicht allein auf der Welt ist.
Das gilt für alle Bereiche des Lebens.
Und solange, zumeist Jugendliche, in Bus und Bahn, über zwei Sitzplätze lümmeln, während ältere Leute stehen müssen, wird sich daran auch nichts ändern, dass einige Menschen das Bedürfnis haben, Individualverkehr zu nutzen.
Hatespeech_is_not_an_opinion
@CSch Mit Verlaub, das Gesetz sieht keine Wahlwiederholungen auf Bezirksebene vor. Daher besetzen die Bezirksstadträte völlig legitim ihre Position. Dieses ist Frage zu stellen ist höchst anti-demokratisch.
Die Autofahrer sind für ihren Stau, mit dem sie die Stadtbevölkerung terrorisieren, selbst verantwortlich. Ich stehe regelmäßig an einer Bushaltestelle an einer 4-spurigen Hauptverkehrsstrasse und sehe hunderte vorbeifahrenden Autos, wo exakt 1 Person drinsitzt. Mit welchem Recht nimmt diese Gruppe von Verkehrsteilnehmern soviel Straßenraum für sich in Anspruch? Würde dieses unsinnige Verhalten eingeschränkt, hätten die Verkehrsteilnehmer, wie der ÖPNV, Handwerker etc. bessere Bedingungen sinnvoll den Straßenraum zu nutzen.
Es ist überfällig öffentliche Straßenräume gerecht zwischen allen Verkehrsteilnehmern aufzuteilen und den Vorrang des Autos zu begrenzen.
Andere Regierende europaweit haben das längst erkannt, nur in Berlin steht die Zeit still mit dieser Koalition. Die angebliche Realität, die Sie beschreiben, dass Radfahrenden angeblich 2,50 m breite Radwege zur Verfügung stehen, ist in der Fläche nicht gegeben.
blutorange
@CSch Vermeidbare Abgase stoßen sie aus, weil sie Auto fahren statt den ÖPNV oder das es aß Rad zu nutzen.
Auch ohne die bisher im Auto sitzenden Menschen sind auf Berliner Radwegen allerdings mehr als 3 Radfahrer unterwegs. Sie wohnen vermutlich gar nicht dort, sonst wüssten Sie das ja..
Was ist denn, in Gegensatz zum künstlich erzeugten Stau, ein natürlich entstandener Stau? Darunter kann ich mir nichts vorstellen.
Nordischbynature
Das Problem ist doch nicht die Autoverliebtheit der CDU, das wusste man vorher. Die SPD macht diese Rolle rückwärts fröhlich mit und disqualifizert sich damit als Partner für zukünftige fortschrittliche Politik. Andererseits: SPD? Fortschritt? Lang ist's her...
Peter Borgscheid
Ohne auf die Unsinnigkeit der einzelnen Punke überhaupt noch einzugehen. Da nun alles umweltpolitische Blendwerk abgeblitzt ist, kann die CDU nun wieder ihr wahres Gesicht zeigen. Berlin wird auf absehbare Zeit keine umweltgerechte Stadt werden. Aus der Traum. RRG oder RG wird es in drei Jahren auch nicht geben. Wegner sitzt in der Vorstatdt fest im Sattel. Das wird reichen für eine weitere Periode SchwarzRot und die von jeglicher Haltung befreite SPD wirds mitmachen. Und ob die Schreiner nun geht oder nicht ist sowas von egal. Da können nur noch Wunder wirken. Oder Umweltkatastrophen, von denen sich auch Stadtrand-Eigenheimbesitzer überzeugen lassen, dass es besser wäre, wenigstens den Menschen ökologische Mobilität zu ermöglichen, die das wollen.
Wer weiß, in 20 Jajren gilt das Verhalten vielleicht schon als kriminell. Hilft dann aber auch nicht mehr.
Dirk Karstädt
Angesichts der Irrationalität der Absichten wird mir schlecht.