Proteste der Letzten Generation: Die Klimakrise macht keine Pause
Angesichts des Kriegs in Nahost wächst die Kritik an Klimaprotesten. Der Schutz jüdischen Lebens darf aber nicht gegen Klimaschutz ausgespielt werden.
N irgendwo in Deutschland gibt es so viele Demonstrationen wie in Berlin. Nicht nur aktuell vor dem Hintergrund des Kriegs in Nahost gehen tagtäglich Menschen für ihre politischen Anliegen auf die Straße. Und das ist auch gut so, denn egal, was man von den Inhalten halten mag, gehört das zu einer lebendigen Demokratie dazu. Dass nun Kritik an den Klimaaktivist*innen der Letzten Generation laut wird, in diesen Zeiten auf die Straße zu gehen, wo doch die Kapazitäten woanders benötigt werden, ist nicht nur scheinheilig, sondern offenbart auch ein fragwürdiges Demokratieverständnis.
„Aktionen, die viele Polizeikräfte binden, sind jetzt unverantwortlich und gefährden somit mittelbar auch die Sicherheit von Jüdinnen und Juden“, schreibt Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft am Montag. Bereits in der vergangenen Woche hatten der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) ähnlich argumentiert, wenn auch nicht ganz so plump.
Die dahinter liegende Annahme jedoch, dass die Berliner Polizei „am Limit“ sei, ist erst einmal nur eine Behauptung des Berliner Landesbezirks der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Deren Pressesprecher Benjamin Jendro seit Beginn der Blockaden nicht müde wird, jeden einzelnen Tag über die Aktionen der Letzten Generation eine Presseerklärung zu verfassen, in der genau das behauptet wird.
Nun ist es natürlich die Aufgabe einer Gewerkschaft, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten und Personalknappheit zu postulieren. Allerdings handelt es sich bei den allmorgendlichen Mitteilungen der GdP eher um hasserfüllte Schimpftiraden gegen die Letzte Generation, in denen diese wahrheitswidrig als kriminelle Vereinigung diffamiert wird, die die gesamte Stadt in Geiselhaft nehme und mit ihren Straßenblockaden die innere Sicherheit gefährde – und das schon vor dem aktuellen Krieg in Nahost.
Der scheint Pressesprecher Jendro lediglich gut in den Kram zu passen, um die von ihm so sehr verhassten Aktivist*innen zusätzlich zu diskreditieren. Die Gewerkschaft der Polizei Berlin macht also seit Monaten politisch massiv Stimmung gegen Klimaaktivist*innen – und das hat rein gar nichts mit einer legitimen Vertretung von Arbeitnehmer*inneninteressen zu tun und steht der Polizei, die politisch neutral sein sollte, überhaupt nicht gut zu Gesicht.
Wer solche Äußerungen einfach übernimmt und damit die Stimmung gegen Klimaaktivist*innen, die für ihren Einsatz gegen den zerstörerischen und todbringenden Klimawandel schon jetzt regelmäßig von militanten Autofahrer*innen körperlich angegriffen werden, weiter anheizt, tut weder sich noch seiner Sache einen Gefallen.
Der Schutz jüdischen Lebens sollte nicht gegen Klimaschutz ausgespielt werden. In einer Demokratie muss es möglich sein, für seine politischen Anliegen auf die Straße zu gehen, auch wenn kriegerische Auseinandersetzungen die Gemüter erhitzen. Denn der Klimawandel macht keine Pause.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen