piwik no script img

Proteste der Letzten GenerationDie Klimakrise macht keine Pause

Marie Frank
Kommentar von Marie Frank

Angesichts des Kriegs in Nahost wächst die Kritik an Klimaprotesten. Der Schutz jüdischen Lebens darf aber nicht gegen Klimaschutz ausgespielt werden.

Auch am Montag haben Ak­ti­vis­t*in­nen der Letzten Generation in Berlin mehrere Straßen blockiert Foto: Sebastian Gollnow/dpa

N irgendwo in Deutschland gibt es so viele Demonstrationen wie in Berlin. Nicht nur aktuell vor dem Hintergrund des Kriegs in Nahost gehen tagtäglich Menschen für ihre politischen Anliegen auf die Straße. Und das ist auch gut so, denn egal, was man von den Inhalten halten mag, gehört das zu einer lebendigen Demokratie dazu. Dass nun Kritik an den Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen der Letzten Generation laut wird, in diesen Zeiten auf die Straße zu gehen, wo doch die Kapazitäten woanders benötigt werden, ist nicht nur scheinheilig, sondern offenbart auch ein fragwürdiges Demokratieverständnis.

„Aktionen, die viele Polizeikräfte binden, sind jetzt unverantwortlich und gefährden somit mittelbar auch die Sicherheit von Jüdinnen und Juden“, schreibt Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft am Montag. Bereits in der vergangenen Woche hatten der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) ähnlich argumentiert, wenn auch nicht ganz so plump.

Die dahinter liegende Annahme jedoch, dass die Berliner Polizei „am Limit“ sei, ist erst einmal nur eine Behauptung des Berliner Landesbezirks der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Deren Pressesprecher Benjamin Jendro seit Beginn der Blockaden nicht müde wird, jeden einzelnen Tag über die Aktionen der Letzten Generation eine Presseerklärung zu verfassen, in der genau das behauptet wird.

Nun ist es natürlich die Aufgabe einer Gewerkschaft, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten und Personalknappheit zu postulieren. Allerdings handelt es sich bei den allmorgendlichen Mitteilungen der GdP eher um hasserfüllte Schimpftiraden gegen die Letzte Generation, in denen diese wahrheitswidrig als kriminelle Vereinigung diffamiert wird, die die gesamte Stadt in Geiselhaft nehme und mit ihren Straßenblockaden die innere Sicherheit gefährde – und das schon vor dem aktuellen Krieg in Nahost.

Der scheint Pressesprecher Jendro lediglich gut in den Kram zu passen, um die von ihm so sehr verhassten Ak­ti­vis­t*in­nen zusätzlich zu diskreditieren. Die Gewerkschaft der Polizei Berlin macht also seit Monaten politisch massiv Stimmung gegen Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen – und das hat rein gar nichts mit einer legitimen Vertretung von Ar­beit­neh­me­r*in­nen­in­ter­es­sen zu tun und steht der Polizei, die politisch neutral sein sollte, überhaupt nicht gut zu Gesicht.

Wer solche Äußerungen einfach übernimmt und damit die Stimmung gegen Klimaaktivist*innen, die für ihren Einsatz gegen den zerstörerischen und todbringenden Klimawandel schon jetzt regelmäßig von militanten Au­to­fah­re­r*in­nen körperlich angegriffen werden, weiter anheizt, tut weder sich noch seiner Sache einen Gefallen.

Der Schutz jüdischen Lebens sollte nicht gegen Klimaschutz ausgespielt werden. In einer Demokratie muss es möglich sein, für seine politischen Anliegen auf die Straße zu gehen, auch wenn kriegerische Auseinandersetzungen die Gemüter erhitzen. Denn der Klimawandel macht keine Pause.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Echt traurig, dass sich im gesamten Bundestag nicht eine Gruppierung findet, die die Sorgen der informierten Bürger vor der Klimakatastrophe ernst nimmt.

    Wie viele Extremwetter-Ereignisse in Europa braucht es noch dazu? Wie viel mehr Menschen müssen noch für die Profitgier der Fossilisten sterben?

  • Ich lerne aus dem Artikel, dass Demonstrationen wichtig sind und zur Demokratie gehören, Kritik daran aber scheinheilig ist und vorallem ein fragwürdiges Demokratieverständnis offenbart.

  • Diese Wohlstandsgesellschaft ist in vielerlei Hinsicht krank.



    Da kleben sich Leute auf der Straße fest, um gegen den Autoverkehr und die CO2-Emittenten zu protestieren. Weltweit gesehen hat das keine Auswirkungen, wenn man hier den Verkehr einstellen würde - siehe Corona-Krise.

    Uns fehlen tausende Unterkünfte für unsere Studenten. Dafür würde es sich lohnen zu blockieren, zu schreien, die Abzocker zu benennen. Was passiert - nix.

    • @Lord Jim:

      Selber machen und sich nicht beschweren das andere leute andere Prioritäten haben.

  • die lg kann doch demonstrieren gehen, das recht dazu wird doch nicht eingeschränkt. autobahnblockaden und ähnliche aktionen, die massiv polizei und feuerwehr auf trapp halten kann die lg sich auch mal ne zeit lang verkneifen. oder sind unangemeldete autobahnblockaden im versammlungsrecht ausdrücklich erlaubt und gewünscht?



    solle sie sich doch vor synagogen festkleben, mit transparenten"wir schützen menschen und klima".

    • @alterverwalter:

      Super Idee.

      Die Sache mit den zwei Fliegen.

  • Die Autorin dieses Kommentars suggeriert, die "Letzte Generation" würde etwas konstruktives zur Lösung des Klimaproblems beitragen. Das finde ich nicht nachvollziehbar, ich sehe eigentlich nur, dass sie dem Anliegen schadet.

  • Frau Frank hätte doch einfach bei der Polizei nachfragen können, wie es mit den Überstunden und den Kapazitäten bei der Polizei so aussieht.

    Dann hätte sie sich nicht an der GdP abarbeiten müssen.

    Manchmal stimmen Behauptungen ja auch.

    • @rero:

      Die Polizei jammer schon seit über 40 Jahren über zu wenig Personal. Ob das stimmt man weiß es nicht evtl ist die Polizei in Deutschland auch einfach nicht fähig ihre Ressourcen effektiv genug einzusetzen. Was in deutschen Behörden ja mittlerweile scheinbar zum guten Standard in diesem Land gehört.

  • leider werden Jüdische Menschen durch die Rücksichtslosigkeit und den doch unterschwelligen antisemitismus in der Klimabewegung massiv gefährdet.

    Hier zeigt sich das wahre Gesicht.

    • @Farmer:

      Das wahre Gesicht der Klima Bewegung ist also gefährlich, Antisemitisch und Rücksichtos...

      ..Verstehe..

  • Fußball sollte auch nicht mehr gespielt werden. Das bindet auch die Einsatzkräfte...🙄

  • Vor ein paar Tagen hatte die LG gesagt, fürs erste auf weitere Aktionen zu verzichten, um nicht unnötig Polizeikräfte zu binden, die zum Schutz jüdischer Einrichtungen und jüdischen Lebens benötigt werden.

    Anscheinend ist das jetzt nicht mehr notwendig.

    www.radiowestfalic...-proteste-aus.html

    • @Jim Hawkins:

      Vielleicht sieht das Frau Frank auch einfach anders als die Letzte Generation.