Die CDU und die Brandmauer: Der Schlingerkurs des Friedrich Merz
Mit oder ohne AfD? Der Kanzlerkandidat fordert nach Aschaffenburg drastische Verschärfungen in der Asylpolitik. Nur: Mit wem will er die durchsetzen?
„Ich wiederhole es hier zum Mitschreiben: Eine Zusammenarbeit unter meiner Führung wird es mit der CDU in Deutschland nicht geben“, sagte Merz und knüpfte sein Schicksal als Parteivorsitzender an diese Antwort. Wochen zuvor hatte der CDU-Chef in einer Rede im Bundestag nach dem Scheitern der Ampel ausgeschlossen, Anträge einzubringen, bei denen es Zufallsmehrheiten mit der AfD geben könne. So weit, so klar.
Doch nach der schrecklichen Attacke von Aschaffenburg, bei der mutmaßlich ein psychisch kranker Geflüchteter aus Afghanistan, der Deutschland längst hätte verlassen müssen, eine Kindergruppe angriff und einen 2-jährigen Jungen marokkanischer Herkunft so wie einen 41-jährigen Passanten tötete, ist bei der CDU etwas ins Rutschen geraten. Merz schlingert. Erst Richtung AfD, dann wieder etwas zurück.
Erst kündigte er an, in der kommenden Woche Anträge in den Bundestag einzubringen, „die ausschließlich unserer Überzeugung entsprechen“, und fügte hinzu: „Und wir werden sie einbringen, unabhängig davon, wer ihnen zustimmt.“ Fünf Punkte stellte Merz vor, die das Asylrecht drastisch verschärfen würden und erklärte Zustimmung zu diesen auch gleich noch zur Bedingung für eine Koalition. Darunter: die unbegrenzte Kontrolle aller deutscher Grenzen, die dortige Zurückweisung aller, die keine gültigen Einreisepapiere haben, das gelte, so Merz, „ausdrücklich auch für Personen mit Schutzanspruch“ und eine unbefristete Abschiebehaft.
Die Zukunft der offenen Gesellschaft steht zur Wahl. Kommt nun eine Rückschrittskoalition, für die Migration wirklich die Mutter aller Probleme ist? Wird Gleichberechtigung wieder zu Gedöns? Nicht in der taz: Wir berichten über den Kampf der Zivilgesellschaft für gleiche Rechte. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.
Grüne und SPD lehnten die Pläne unter anderem wegen rechtlicher Bedenken ab, die AfD signalisierte umgehend Zustimmung. Nahm man Merz beim Wort, wäre eine gemeinsame Zustimmung mit der extrem rechten Partei nun möglich gewesen, sollte es im Bundestag zu einer Abstimmung kommen. Seitdem tobt eine öffentliche Diskussion darüber, ob in der CDU nun auf Bundesebene die Brandmauer kippt. Am Wochenende haben Zehntausende gegen den Rechtsruck demonstriert.
Jetzt hat die Unionsfraktion zwei Antragsentwürfe vorgelegt, einer davon zum Thema Migration mit den fünf harten Forderungen, die Merz bereits formuliert hatte. Dieser enthält aber auch einen Passus, dem die AfD nicht zustimmen kann. „Wer die illegale Migration bekämpft, entzieht auch Populisten ihre politische Arbeitsgrundlage. Die AfD nutzt Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen“, so heißt es in dem Papier.
Und weiter: „Sie will, dass Deutschland aus EU und Euro austritt und sich stattdessen Putins Eurasischer Wirtschaftsunion zuwendet. All das gefährdet Deutschlands Stabilität, Sicherheit und Wohlstand. Deshalb ist diese Partei kein Partner, sondern unser politischer Gegner.“ Das soll wohl nahelegen: Die Zustimmung der AfD wollen wir nicht. Warum aber hat Merz zuvor tagelang signalisiert, die Union könnte – ohne Absprache zwar – zu einer gemeinsamen Abstimmung mit der AfD bereit sein?
Offenbar treibt ihn die Sorge um, Aschaffenburg könne weitere Wähler*innen zur AfD treiben. Die liegt in Umfragen inzwischen bei über 20 Prozent, die Union ist wie festgenagelt bei um die 30. Merz wollte vor allem auf das Thema Wirtschaft setzen, doch sein Wahlkampf zündet nicht. Jetzt steckt er in einem Migrationswahlkampf, den die CDU eigentlich vermeiden wollte. Denn von einer aufgeheizten Debatte bei diesem Thema profitiert vor allem die AfD.
Bei der CDU-Vorstandsklausur in Hamburg war auch Renate Köcher zu Gast, die Chefin des Umfrageinstituts Allensbach. Sie hat der CDU-Spitze drei Dinge erklärt: Dass die Partei erstens ihr Potential bei weitem noch nicht ausgeschöpft hat. Dass sie zweitens deutlich mehr Wähler*innen in der Mitte holen kann als rechts von der Union. Und dass die Zustimmung zur Union drastisch sinkt, sobald mögliche Koalitionspartner ins Spiel kommen. Köchers Empfehlung: auf CDU pur zu setzen, die eigenen Themen nach vorne zu stellen.
Merz leitet nach Aschaffenburg daraus offenbar seinen kompromisslosen Kurs in der Migrationspolitik ab. Die Überlegung: Die Union muss in diesem Politikfeld Handlungsfähigkeit zeigen, damit die Ränder nicht weiter zunehmen. Dass Merz sich damit inhaltlich und strategisch dem kleineren Wählerreservoir rechts von der Union zuwendet, scheint er dabei in Kauf zu nehmen.
Nur: mit seinem Schlingerkurs in Richtung AfD könnte er auch dieses Lager vergrätzen. Die AfD setzt bereits alles daran, Merz als Umfaller vorzuführen. Und: Trotz des neuen Schwenks in den Anträgen wird die Union bis zur Bundestagswahl eine Diskussion über die bröckelnde Brandmauer nicht mehr loswerden. Das könnte ihn Wähler*innen in der Mitte kosten. Ob dieser Move am Ende bei der Union einzahlt oder für diese nach hinten losgeht, ist schwer abzusehen.
Merz Einlassung vor wenigen Tagen, in einem TV-Duell würde er lieber mit AfD-Chefin Alice Weidel als mit SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz diskutieren, dürfte diesen Eindruck weiter verstärken. Welt TV hat sich umgehend angeboten, ein solches Streitgespräch auszutragen. Dort fand vor der Landtagswahl in Thüringen auch das Duell zwischen CDU-Mann Mario Voigt und dem Rechtsextremisten Björn Höcke statt, dem Landeschef der AfD.
Normalisierung der AfD
Viele Expert*innen haben dies als weiteren Schritt zur Normalisierung der AfD gewertet. Voigt hat es im Land bekannter gemacht, heute führt er als Ministerpräsident eine Minderheitsregierung an. Die AfD allerdings ist stärkste Kraft und verfügt im Landtag über eine Sperrminorität.
Als Merz 2023 im Sommerinterview in Sachen Brandmauer auf kommunaler Ebene für Irritationen sorgte, gab es aus der Partei umgehend scharfe Kritik, insbesondere aus dem liberalen Flügel der Partei. Jetzt aber herrscht Stille. Niemand kritisiert öffentlich den gefährlichen Kurs, den Merz jetzt eingeschlagen hat. Intern, so ist zu hören, gibt es zwar in Chatgruppen durchaus erregte Diskussionen, am Montag wurde eine Sondersitzung des Bundesvorstands anberaumt. Aber offenen Widerspruch, den gibt es bislang nicht. Das liegt nicht nur daran, dass kurz vor der Bundestagswahl niemand dem eigenen Kanzlerkandidaten in den Rücken fallen will.
Es zeigt auch, wie sich der ohnehin stark geschwächte soziale und liberale Flügel hinter Merz eingereiht hat. Nicht, dass sie alles gut finden, das dieser tut. Aber die Angst ist groß, die letzte große christdemokratische Partei Europas könnte einen weiteren Grundsatzstreit nicht verkraften. Und den scharfen Kurs in der Migrationspolitik scheinen inzwischen viele von ihnen zu teilen. Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien und Verteidigungspolitikerin Serap Güler jedenfalls haben auf X die fünf Forderungen von Merz ausdrücklich gelobt.
Von diesen wird Merz schwer runterkommen, will er nicht als Umfaller dastehen. Schließlich hatte er bei der Vorstellung in der vergangenen Woche mit Blick auf mögliche Koalitionspartner gesagt: „Kompromisse sind bei diesen Themen nicht möglich.“ Das klingt mehr nach Erpressung als nach Verhandlungen zwischen demokratischen Parteien.
Eine schwarz-grüne Koalition dürfte damit ausgeschlossen sein. Was aber, wenn auch die Sozialdemokraten bei ihrer Position bleiben und nicht mitgehen? Dann stünde Merz plötzlich ohne Koalitionspartner da. Ganz so, wie das bei der ÖVP in Österreich der Fall war. Eine Koalition mit der AfD schließt Merz glaubhaft aus. Dann also Neuwahlen? Damit dürfte die von Merz beschriebene Natter noch ein Stückchen weiter an die CDU heranrücken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die CDU und die Brandmauer
Der Schlingerkurs des Friedrich Merz
Merz-Pläne zu Abschiebungen
Spiel mit dem Feuer
SPD zu Merz' Asylvorschlägen
Sie nennen es „Erpressung“
AfD-Wahlkampfauftakt in Halle
Bier, Bratwurst, Rassismus
Steuerung der Photovoltaik
Worauf sich Betreiber von Solaranlagen einstellen müssen
Demos gegen rechts am Wochenende
Das Comeback des Jahres