Der Hype um Greta: Klimaheldin oder Nervensäge?
Spätestens seit ihrer Rede beim UN-Klimagipfel scheiden sich die Geister an Greta Thunberg. Auch in der taz – sieben Meinungen.
Tränen ersetzen keine Argumente
Was, bitte, war denn das? Da tritt ein Mädchen ans Rednerpult der Vereinten Nationen und feuert eine, von unterdrücktem Schluchzen begleitete, Wutsalve an „die Alten“ und „das System“ ab. Ganze Ökosysteme sterben! Meine Zukunft ist dahin! Und ihr schweigt!! Für diese Explosion wird die Rednerin artig beklatscht von den erwachsenen WeltenlenkerInnen, die sie eigentlich angreift.
Greta Thunbergs Rede steht exemplarisch für die Überemotionalisierung der Klimadebatte, die wir derzeit erleben. SUV=böse! Fliegen=igitt! Regenwald=yeah! Das ist mir, ehrlich gesagt, zu blöd. Ich finde: Wut und Tränen haben auf der politischen Bühne nichts zu suchen. Emotionen ersetzen keine Argumente, sie schüren nur weitere Emotionen: Mitleid, Euphorie, Hass, Trotz.
Damit muss jetzt mal Schluss sein. Wir müssen aufhören, über einen Popstar wider Willen namens Greta zu reden. Sondern über die Misere, die sie ins Rampenlicht befördert hat: Über das global ungleiche und ressourcenvernichtende System, in dem wir alle leben. Um das zu verändern, muss man streiten, demonstrieren, Allianzen schmieden, verhandeln und forschen. Tränen und Starkult helfen da nicht weiter. Nina Apin, Meinung
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Es reicht lange noch nicht
Greta Thunberg ist keine Heilsbringerin, keine PR-Strategin, keine Politikerin und keine Geschäftsfrau, sondern ein Teenager mit Asperger. So bekannt das mittlerweile ist, so sehr geht die Bedeutung dessen immer wieder unter. Das Syndrom führt dazu, Emotionen anders zu erleben und auszudrücken.
Doch so oder so: Was maßen wir uns an, eine Jugendliche für ihre Ängste zu verurteilen? Wie überheblich sind KommentatorInnen weltweit, eine Pubertierende dafür zu kritisieren, wütend zu sein? Am sicheren, bequemen Schreibtisch muss niemand von uns den Hass aushalten, der ihr entgegenschlägt, und niemand ein Leben, das wohl nie wieder jenseits der Öffentlichkeit geführt werden kann. Denn Thunberg hat ja recht: Eine normale Jugend ist für sie längst unmöglich.
Was muss dieses Mädchen alles können, was muss Greta alles sein: unfehlbar, drunter machen wir es nicht. Würden wir diese Maßstäbe an Männer wie Putin oder Trump anlegen, die Welt wäre ein besserer Ort. Wir sollten Greta feiern, ihr zujubeln und ihr und uns zur Seite stehen. Um also die Frage zu beantworten: Es reicht noch lange nicht. Patricia Hecht, Inland
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Teenagerin mit Schmackes
„Beim Auftritt von Greta Thunberg bei der UNO habe ich mich gefragt, was das für Eltern sind, die den Profiteuren der Klimaschutzindustrie nicht verbieten, ihr geistig gestörtes Kind für ihre Geschäfte derart zu missbrauchen.“ Das hat kein Klimawandelleugner gepostet, sondern Dieter Hanitzsch, ehemaliger Karikaturist von SZ und heute Abendzeitung.
Nicht ganz so niederträchtig, aber ähnlich drastisch bringen viele ältere Männer ihre ablehnende Haltung gegen die 16-jährige Greta Thunberg zum Ausdruck. Ob ihr „Fundamentalismus“ vorgeworfen wird oder ein „Mutterkomplex“ besteht, gefühlt wird die Schwedin alle fünf Minuten von Karl Kraus’ fünfter Kolonne durchs mediale Dorf getrieben.
Was ihr Engagement an Dynamik bewirkt hat, konnte man jüngst in Berlin erleben, wo Hunderttausende ohne Ideologiepanzer, aber mit Schmackes in Thunbergs Sinne auf den Straßen waren. Es genügt an dieser Stelle auch ein Hinweis, dass sie Teenagerin ist, die nicht jeden Satz druckreif in Mikrofone spricht. Sie hält sich auch nicht an das diplomatische Protokoll. Das ist gut so, oder soll sie die Massen einschläfern wie Klaus Töpfer? Gebt ihrer Jugend eine Chance! Julian Weber, Kultur
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Moralischer Popstar
Mein Verhältnis zu Greta ist ambivalent. Ich finde es gut, dass mit ihr die Klimadiskussion, die Kritik am exzessiven Fliegen und unserem ressourcenfressenden Lebensstil Hochkonjunktur haben. Flugscham ist plötzlich in aller Munde, auch bei Leuten, die noch nie ernsthaft über ihre eigene Klimabilanz nachgedacht haben. Das ist ein Erfolg, wenn man die zähen, jahrzehntelangen, ergebnislosen Diskussionen über Flugbezinbesteuerung, sanfte Formen des Reisens, ökologisches Wirtschaften verfolgt hat. Endlich bewegt sich was, lautstark und überall dringt die Bedrohung der Welt ins Bewusstsein. Und Greta der Popstar mobilisiert die Jugend.
Es gibt aber auch die Greta mit dem kategorischen, moralischen Imperativ. Sie ist mir suspekt. Ihr moralischer Eifer, die sektenhafte Gewissheit, die humorfreie Klarheit, für die richtige Sache zu kämpfen, wirken wie ein hipper Öko-Kinderkreuzzug. Gretas Follower*innen und Mitstreiter*innen stehen völlig unbeleckt auf der richtigen Seite. Die Schuldigen haben sie ausgemacht: die maßlos konsumierenden Generationen vor ihnen, die Politiker*innen. Greta und die Bewegung Fridays for Future entlastet unser ökologisches Gewissen. Eine reine Bewegung, zu rein. Edith Kresta, Reise
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Endlich eine undiplomatische Wutrede
Auf eine undiplomatische Wutrede wie die von Greta Thunberg warte ich schon seit etwa 20 Klimakonferenzen. Da werden Reden gern mit dem Aufruf beendet: „The time to act is now!“ Ergebnis: wenig Emotionen, weiter steigende Emissionen. Die Materie ist extrem komplex, sicher. Aber was in den klimatisierten Konferenzzentren fehlt, wo vor der Erderhitzung und dem Kollaps ganzer Ökosysteme gewarnt wird – das sind die Angst und die Wut des realen Lebens. Und zwar nicht nur bei Menschen, deren Heimat durch Stürme oder steigende Meeresspiegel zerstört wird. Sondern bei allen, die sich ernsthaft mit dem Thema befassen – auch und gerade bei Wissenschaftlern, denen angesichts ihrer eigenen Zahlen das kalte Grausen kommt.
Am Mittwoch geschah wieder einmal genau das: In Monaco stellte der Weltklimarat IPCC neue Horrordaten zu schmelzenden Eisflächen und steigenden Meeren vor. In sachlicher Sprache. Ergebnis: Die Daten werden zur Kenntnis genommen. Das war’s. Greta Thunberg sagt: „Ich will, dass ihr Panik bekommt.“ Aber um diese Panik zu fühlen, muss man gar nicht unbedingt ihr zuhören – es reicht auch ein Blick in den IPCC-Bericht. Cool bleibt da nur, wer keine Ahnung hat. Oder wer die Realität verleugnet. Bernhard Pötter, Wirtschaft + Umwelt
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Da wird mir angst und bange
Greta Thunberg hat ihr Ziel bei mir erreicht. Ich spüre Panik. Zum ersten Mal, seit die streikende Schülerin die globale Klimapolitik aufmischt und sagt: „Ich will, dass ihr in Panik geratet.“ Womit Greta ja nicht nur Politiker meint, sondern alle, die zu wenig fürs Klima tun, also auch mittelalte und mittelängstliche Mitteleuropäer wie mich.
Diese Woche war es so weit: Wenn mich ein Kind mit großen, verweinten Augen anschreit, vom Beginn des Massenaussterbens redet und wütend droht, dass es mir nie vergeben wird, wenn ich nicht sofort genug dagegen tue, ja, dann wird mir angst und bange. Aber nicht, weil ich jetzt endlich verstehe, wie dringend der Klimaschutz ist. Sondern weil es mich abschreckt. Diese totale Fokussierung auf ein einziges Ziel, die alle anderen Aspekte wie Arbeitsplätze ausblendet und die alle, die nicht sofort mitziehen, vor ewiger Verdammnis warnt.
Nein, ich werfe nicht Greta vor, dass sie so redet. Sie kann natürlich so reden, wie sie will oder muss. Aber ich finde es erschreckend, wie viele Medien und Menschen diese aggressive Art vorbildlich finden. Ich fürchte, sie polarisiert, sie überzeugt nur die ohnehin Überzeugten und schreckt die Schwankenden ab. Lukas Wallraff, taz.eins
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Come on, das ist Weltschmerz
Was wurde sich in den letzten Tagen über den dramatischen Auftritt von Greta Thunberg ereifert. Was wurde gelästert, geschimpft und sich fremdgeschämt. Aber come on! Sie ist eine Teenagerin. Eine junge Frau, die ihren Gefühlen freien Lauf lässt. Und mal ehrlich: Wer kann sich nicht daran erinnern, wie man, mit dem Weltschmerz hadernd, mit der Freund*innen-Gang abhing, Johnny Cash hörte und das Unglück des eigenen Lebens, der politischen Lage beklagte? Am besten noch auf einem einsamen Dach im Sonnenuntergang?
Solche oder so ähnliche Erinnerungen dürften viele Menschen, die in den westlichen Industrieländern aufwuchsen, haben. Alles andere als ein hoch emotionaler Auftritt Thunbergs wäre unglaubwürdig. Gerade deshalb ist sie so vielen jungen Menschen so nah. Weil sie genau dieses Gefühl zwischen „die Welt ist verdammt“ und „ich kann alles erreichen“ nur zu gut kennen. Thunberg hat keine Angst, dies zu zeigen. Weder damals, als sie vor rund einem Jahr mit ihrem pinkfarbenen Rucksack auf dem Bürgersteig saß und zur Rettung des Klimas ihre Schule bestreikte, noch heute, wenn sie vor den Mächtigsten der Welt spricht. Tanja Tricarico, tazeins
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