Ukraine solle „weiße Fahne“ hissen: Der Papst tappt im Dunkeln
Die vornehmste Aufgabe des Vatikans ist es, für den Frieden auf der Welt zu beten. Nun fordert Franziskus die Ukraine zu einer Annäherung an Russland auf.
A ch, schon wieder knallen die Champagnerkorken im Kreml! Wahrscheinlich sind es nicht die vom Krimskoyer Sekt, sondern vom Original. Aber das ist auch egal. Denn selbst der Papst spielt dem Präsidenten Russlands nun in die Karten.
Derzeit läuft es einfach für den blutrünstigen Diktator an der Moskwa: Die russische Wirtschaft steckt die westlichen Sanktionen erstaunlich gut weg. Putins gefährlichster Widersacher Alexei Nawalny wurde in einem sibirischen Lager erfolgreich um die Ecke gebracht. Der französische Präsident faselt etwas von westlichen Bodentruppen in der Ukraine und festigt damit die russische Legende, der Westen kämpfe gegen die Russische Welt. Der Bundeskanzler weigert sich aus seltsamen Gründen, ein wichtiges Waffensystem an die Ukraine zu liefern. Und die Ukrainer müssen ihre Front ob des Waffen- und Munitionsmangels immer weiter zurückziehen.
Er extemporiert halt gerne
Nun, Papst Franziskus könnte zum Beispiel die Ukraine auffordern, die Waffen zu strecken. Genau das hat der Pontifex maximus nun getan. Dem Schweizer Sender RSI sagte das geistliche Oberhaupt von 1,4 Milliarden Katholiken weltweit, dass für ihn derjenige der Stärkste ist, „der die Situation betrachtet, an die Menschen denkt, den Mut der weißen Fahne hat und verhandelt“. Der 87-jährige Argentinier machte implizit klar, dass er die Regierung in Kyjiw meint: „Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben zu verhandeln.“
Das ist ein echter Bergoglio, so der Geburtsname von Papst Franziskus. Er extemporiert halt gerne, der alte Mann im Vatikan. Es ist eine Art öffentlich vernehmbares Nachdenken ohne doppelten Boden und jegliche diplomatische Vorsicht. Interviews, meist nette Plaudereien, gibt er so häufig wie kaum ein Nachfolger Petri zuvor.
Darin gibt Franziskus etwa kleine Schoten über Schwiegermütter zum Besten, ergeht sich in angeblich hilfreichen Erziehungsmethoden der fünfziger Jahre, cancelt mal kurz und ziemlich uninformiert die „Gender-Theorie“ ab oder empfiehlt der katholischen Kirche in Deutschland, doch bitte nicht so zu sein wie ihr evangelisches Pendant. Und das, nur weil sich das Volk Gottes hierzulande Gedanken machte, wie man im Einklang mit der Weltkirche und dem Kirchenrecht den Laden angesichts des himmelschreienden Missbrauchsskandals behutsam reformieren könnte – Synodaler Weg hieß das mal.
Um nicht missverstanden zu werden: Papst Franziskus ist ein ehrenwerter Mann, nichts Böses liegt in seinen Absichten. Er versucht vorsichtig, die katholische Weltkirche zu modernisieren, ohne dass die globale Gemeinschaft dabei auseinanderbricht. Dass schon die jüngste vatikanische Erlaubnis einer zaghaften Homosexuellen-Segnung fast zur Revolte der katholischen Kirchen des Globalen Südens gegen Rom führte, lässt erahnen, dass des Papstes vornehmste Aufgabe in diesen Zeiten eine schwere ist, nämlich die Einheit zu bewahren.
Ausgerechnet die weiße Fahne
Aber nun diese „Weiße Fahne“-Empfehlung aus Franziskus’ Munde? Es gab Päpste, die riefen zu Kreuzzügen auf. Überliefert sind Namen von Männern auf dem Papstthron, die, herabgesunken zu Regionalfürsten, in Mittelitalien Eroberungen für ihren Kirchenstaat feierten. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts fielen Dutzende Männer einer päpstlichen Streitmacht in Kämpfen für den Erhalt dieses vatikanischen Kleinstaates.
Spätestens aber seit dem 20. Jahrhundert verstehen sich die Päpste als vehemente Pazifisten, die sich auf keine Seite eines Krieges stellen, und sei es auf die gute. Ihre Appelle gelten nur dem Frieden. Das ist edel. Aber kein Papst sollte einen überfallenen Staat wie die Ukraine zum Aufgeben auffordern. Im freien Westen und im Vatikan sollten erst wieder die Korken knallen, wenn der Mörder im Kreml aufgibt oder um Verhandlungen fleht. Von mir aus mit Krimskoyer Sekt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln