Aktion der Letzten Generation: Mehr Störung ist besser

Die Letzte Generation hat in Berlin die Spitze des Weihnachtsbaumes am Brandenburger Tor abgesägt. Eine wirkliche Störung des fossilen Alltags ist das nicht.

Ohne Spitze steht der Weihnachtsbaum vor dem Brandenburger Tor. Zwei Aktivisten der Umweltschutzgruppe Letzte Generation fuhren mit einem Hubwagen vor dem Tannenbaum auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor. Sie entrollten ein Transparent und entfernten dann die Spitze des Weihnachtsbaums.

Einfach geköpft: der Weihnachtsbaum Foto: Christian Mang/reuters

Es ist ein Bild, das sich ins anarchistische Kollektivgedächnis eingebrannt hat: der brennende Weihnachtsbaum auf dem Syntagma-Platz während der massiven Ausschreitungen in Athen im Jahr 2008. Zusammen mit dem Slogan „Merry Crisis and a Happy New Fear“ stand er für den Bruch mit der kapitalistischen Scheinnormalität, die nach der Tötung eines 15-jährigen Jungen durch einen Polizisten im linken Stadtteil Exarchia untragbar geworden war.

Gebrannt hat in Athen die kapitalistische Ordnung selbst – der brennende Weihnachtsbaum war ein Symbol, das den Aufstand anfachte.

Dagegen mutet die neuste Aktion der Letzten Generation fast bürgerlich an: Am Mittwochmorgen haben Ak­ti­vis­t:in­nen die Spitze des Weihnachtsbaums am Brandenburger Tor abgesägt. Auf einem Transparent, das die Gruppe nach eigenen Angaben darunter angebracht hat, ist „Das ist nur die Spitze des Weihnachtsbaums“ zu lesen. „Wir sehen in Deutschland bisher nur die Spitze der darunter liegenden Katastrophe“, erklärt Sprecherin Lilli Gomez in einer Mitteilung.

Auch die Aktion der Letzten Generation ist eine Kritik am weihnachtlichen Konsumfetisch im Globalen Norden. „Während ganz Deutschland die Woche damit verbringt, die besten Geschenke aus den größten Läden zu besorgen, fragen sich andere, woher sie ihr Wasser zum Trinken bekommen, nachdem Dürren und Fluten ihre Ernte vernichtet haben“, so Gomez weiter. Natürlich hat die Gruppe damit recht. Die deutsche Verdrängungsgesellschaft verdient es, gestört zu werden, an Weihnachten wie an jedem anderen Tag

Bezug zwischen Aktionsform und Anliegen wichtig

Doch muss man sich bei dieser spezifischen Aktionsform schon bemühen, den Zusammenhang zur Klimakrise noch zu erkennen. Das ist bei den Autobahn- und Flughafenblockaden anders. Glasklar wird hier fossile Alltagsinfrastruktur gestört, die dabei ist, die menschlichen Lebensgrundlagen auf diesem Planeten wesentlich zu verschlechtern.

Mache Linke mögen kritisieren, dass auch diese Aktionen zu wenig die industriellen Verpester in den Fokus nehmen. Der fossile Kapitalismus ist aber immer auch eine Alltagspraktik im Globalen Norden. Der Bezug zwischen Aktionsform und Anliegen ist klar hergestellt.

Die Spitze des Weihnachtsbaumes abzusägen ist dagegen, nun, fast langweilig. Sicher: Die Springerpresse und andere reaktionäre Kräfte werden sich aufregen. Angesichts der diskursiven Entgleisungen der letzten Monate müsste man sich nicht wundern, wenn in den nächsten Stunden irgendein Kommentator einen Angriff auf das christliche Abendland entdeckt. Das Ziel der Aktion – Aufmerksamkeit zu generieren – wird die Letzte Generation also erreichen.

Ziviler Ungehorsam lebt aber davon, durch das bewusste Brechen von Gesetzen eine verdrängte Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Aktionen sollten deshalb die nur scheinbare Normalität stören – doch dass am Brandenburger Tor ein Weihnachtsbaum geköpft wurde, wird, von einigen übereifrigen Kulturkämpfern einmal abgesehen, kaum jemanden interessieren. Für die nächsten Aktionen sollte die Gruppe wieder ihrer eigenen Protesttheorie gerecht werden – und wieder mehr stören.

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