Deutschland in der Coronakrise: Eine Impfpflicht ist zumutbar

Noch bevor es überhaupt ein Covid-Vakzin gab, wurde eine Impfpflicht ausgeschlossen. Diese politische Entscheidung war ein großer Fehler.

Biontech Impfampullen stehen in einer Reihe

Impfampullen in Osnabrück Foto: Lino Mirgeler/dpa

Noch bevor überhaupt Impfstoffe vorhanden und zugelassen waren, hatten allen voran FDP- und CDU-Politiker*innen geradezu mantrahaft beschworen, eine Impfpflicht werde es nicht geben. Nun könnte sie kommen. Die FDP bestreitet das zwar. Aber Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hat recht: Die künftige Ampelkoalition sollte sich auf eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen einigen.

Natürlich stellt sich sofort die Frage, ob mit einer Impfpflicht, wie sie die Grünen jetzt fordern, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht verletzt wird. Ja, das wird sie. Aber anders als die FDP behauptet, gelten persönliche Freiheitsrechte nie unbeschränkt. Vielmehr sieht unsere Verfassung vor, dass die Freiheit Einzelner unter besonderer Prüfung der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden darf, sobald ein höherwertiges Interesse gefährdet ist. Die öffentliche Gesundheit ist ein solches höherwertiges Interesse.

Seit Wochen schießen die Infektionszahlen in den Himmel, täglich werden neue Inzidenzrekorde gebrochen. Wahrscheinlich noch in diesem Monat könnte in Deutschland die 1.000er-Inzidenz überschritten werden mit bis zu 100.000 Neuinfizierten am Tag. Die Intensivstationen werden schon vorher überlastet sein. Krebspa­ti­en­t*in­nen werden bereits jetzt schon wieder mit ihren Behandlungen vertröstet, weil die Betten für die vielen Coronafälle benötigt werden. Sind angesichts dieser Lage zwei Pikse nicht zumutbar?

Zudem stellt sich die Frage, welche öffentlichen Interessen angesichts der vielen Ungeimpften nicht zuletzt auch unter Lehr- und Pflegekräften noch auf dem Spiel stehen. In den Pflegeheimen häufen sich schon wieder die Fälle, weil ungeimpfte Pflegekräfte das Virus einschleppen. Und ist es nicht eine Zumutung, dass Kinder stundenlang mit Maske im Klassenzimmer sitzen müssen, weil ihre Leh­re­r*in­nen nicht geimpft sind?

Es war ein Fehler, eine Impfpflicht von vornherein auszuschließen. Abgesehen davon, dass es nun umso schwerer fällt, von diesem Versprechen abzurücken, hat das bei vielen Leuten überhaupt erst den Eindruck erweckt, Impfen könnte etwas Schlechtes sein. Die Politik suggerierte damit, dass Vakzine kein Heilmittel aus dieser Pandemie sind, sondern eine Gefahr.

Dabei befinden wir uns hierzulande in der luxuriösen Situation, um die uns Milliarden Menschen in anderen Ländern beneiden: Es gibt genügend Impfstoffe, die nicht nur hochwirksam sind, sondern angesichts der milliardenfachen Verimpfung so erprobt sind wie kaum ein anderes Vakzin. Wir haben nicht Millionen Tote wegen der Impfstoffe. Aber wir haben 5 Millionen Covid-19-Tote weltweit.

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

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