Zukunft des Pazifismus: Die deutsche Friedensliebe

War das pazifistische Selbstbild der Deutschen nur eine nostalgische Kulisse? Pazifisten überzeugen kaum noch. Ein neuer Antimilitarismus ist gefragt.

Bundeskanzler Scholz steht vor einem Panzer

Zeitenwende: Bundeskanzler Scholz im August vor einem Flugabwehrkanonenpanzer Gepard der Bundeswehr Foto: Marcus Brandt/dpa

Noch bevor Harald Welzer in diesem Jahr seine Karriere als besonders unbeliebter Talkshowgast begann, gab er der taz Anfang März zu Russlands Überfall auf die Ukraine ein kleines Interview. Er staune darüber, wie die Militarisierung „der Sprache und womöglich auch der Mentalitäten“ binnen einer Woche funktioniere, sagte der Soziologe. „Im Grunde ist all das, was passiert, das Gegenteil von dem, wofür unsereiner mal vor 30 oder 40 Jahren angetreten ist.“

Es ist seither nicht leichter geworden, angesichts der Grausamkeit des Krieges, den Putin gegen die UkrainerInnen führt, das antimilitaristische Erbe Deutschlands öffentlich zu verteidigen. Welzer ist es auch im Verbund mit vielen sonst für klug gehaltenen Intellektuellen nicht gelungen. Sie überzeugten einfach niemanden, und wenn doch, dann vor allem diejenigen, die sowieso glauben, hinter allem stecke die CIA.

Kaum ein Zucken irgendwo

Dieser Misserfolg ist erst einmal verwunderlich. Schließlich kommt die Vokabel „Zeitenwende“ vor allem deshalb so geschichtsträchtig daher, weil Deutschland sich selbst eigentlich ziemlich kriegsunwillig und kriegsuntauglich findet und von aller Welt auch so gesehen wird. Um da eine neue Militärpolitik einzuläuten, braucht es dann große Worte, so groß wie die herumzureißenden Ruder in einer ganz unkriegerisch denkenden Gesellschaft, so groß wie die Summen, die ab sofort in die Bundeswehr gepumpt werden.

Dabei gibt es ja gar keine Gegenwehr. Kaum ein Zucken irgendwo. Auch die Linkspartei spaltet sich sauber auf in „weitgehend ratlos“ und „Putin-treu vernagelt“. Mein Verdacht bestätigt Harald Welzers oben zitierte Wut: Da lagerten gar keine antimilitaristischen Kulturvorräte mehr in den politischen Kellern und Speichern.

Ein neuer Antimilitarismus wächst

Das pazifistische Bild Deutschlands war womöglich nur eine nostalgische Kulisse, und wir haben es bisher einfach nicht bemerkt. Vielleicht ist die deutsche Friedensliebe schon lange nur ein Unwille gewesen, sich mit Kriegen anderswo zu befassen. Und wenn der Krieg aber in die Nachbarschaft kommt, dann rüstet man halt auf – schon gut, schon gut, wir machen ja schon, haben nur noch ein Weilchen am Exportüberschuss gearbeitet.

Ziemlich sicher bin ich aber, dass irgendwo auf den Trümmern einer Friedensbewegung, deren Analysekraft sich darin erschöpfte, dass stets die USA schuld waren, bereits ein neuer Antimilitarismus nachwächst, einer, der in Widersprüchen denken kann. Er müsste davon ausgehen, dass Demokratien in einer Welt voller Tyrannen wahrscheinlich wehrhaft sein, aber ihre Wehrhaftigkeit gut kontrollieren sollten.

Militärskeptiker hätten viel zu tun

Solidarität mit überfallenen Ländern in Europa wäre erstens selbstverständlich und diente zweitens der Verteidigung eigener Werte. Das besinnungslose Ausschütten von Geld für Waffen, die bestellt werden, weil sie halt am Markt sind, würde jedoch harsch kritisiert. Eine neue militärskeptische Bewegung würde Whistleblower im Rüstungsbeschaffungsamt auftreiben, die erklären, warum Milliarden in Panzer gesteckt werden, die nach ein paar Stunden den Geist aufgeben.

Sie würde die Verbindungen der Rüstungslobby bis an den hintersten Stehtisch beim Reservistenempfang nachzeichnen. Sie würde die Bundeswehr mit ihrer betulichen Selbstbezogenheit gut kennen, rechtsradikale Nester aufspüren. Sie würde verlangen, dass Generäle über Rolle und Selbstverständnis der Truppe öffentlich diskutieren müssen.

Militärpolitik müsste sich ständig rechtfertigen. Kein Kanzler käme mehr auf die Idee, der unmotiviertesten Person im ganzen Kabinett das Verteidigungsressort zuzuschieben.

Wäre alles natürlich anstrengend. Aber ziemlich nötig.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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