Ministerium für Verkehr ohne Grüne: Verkehrswende? Fehlanzeige
Die Grünen verzichten zugunsten der FDP auf das Verkehrsministerium – ein großer Fehler. Die Ampel startet mit einer schweren Hypothek.

D as ist eine böse Überraschung: Nicht an die Grünen, sondern an die FDP geht das Verkehrsministerium. Ausgerechnet deren Generalsekretär Volker Wissing soll ein Schlüsselressort für den Kampf gegen die Klimakrise übernehmen. Es bedarf keiner prophetischen Gaben um abzusehen, was die bittere Konsequenz dieser Fehlentscheidung sein wird: Die dringend nötige Verkehrswende weg vom individuellen Autofahren wird in den kommenden vier Jahren nicht kommen.
Die FDP war und ist die Freie-Fahrt-für-freie-Bürger:innen-Partei. Aufs E-Auto umzusteigen, das können die Liberalen gerade noch akzeptieren. Aber Vorschriften für Autofahrende zu verschärfen oder ihnen gar Privilegien zu nehmen, sicher nicht. Und für Mobilität jenseits des Autos und des Flugzeugs haben sie auch nicht viel übrig. Deswegen kommt es ihnen auch nicht in den Sinn, die absurden klimaschädlichen Kurzstreckenflüge wenigstens zu begrenzen. Und die Grünen machen's mit.
Man hätte gewarnt sein können. Schon in den Sondierungsgesprächen hatten die Grünen auf die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen verzichtet – obwohl Robert Habeck im vergangenen Jahr eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf deutschen Autobahnen zur Voraussetzung einer Regierungsbeteiligung gemacht hatte. Jetzt stellt sich diese Abtretung als Menetekel für die Verkehrspolitik in den kommenden vier Jahren heraus.
Denn der Verzicht auf das Verkehrsministerium wird keineswegs dadurch kompensiert, dass die Grünen bei den Koalitionsverhandlungen so viel erreicht hätten und dem Ressortchef ein volles Aufgabenheft mitgeben könnten. Im Gegenteil: Das Wort Verkehrswende kommt im Koalitionsvertrag nicht ein einziges Mal vor. Die Grünen begnügen sich mit einer Antriebswende vom Fahrzeug mit Diesel- oder Benzinmotor zum E-Auto. Das ist zu wenig.
Es muss viel, viel mehr geschehen. Es müssen Pkws aus Städten zurückgedrängt und der öffentliche Raum neu verteilt werden. Das Fahrradfahren muss gefördert und die Infrastruktur dafür massiv ausgebaut werden. Einen enttäuschenden Absatz widmet der Koalitionsvertrag dem Rad, ohne ein einziges konkretes Projekt zu benennen. Besser lässt sich nicht dokumentieren, dass die Ampel nicht ehrgeiziger ist bei diesem Thema als der bisherige CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer. Möglicherweise bleibt sie sogar noch hinter ihm zurück.
Die Grünen haben zwar erreicht, dass der bisherige Bundesverkehrswegeplan mit seinen teils aberwitzigen Projekten wie der Küstenautobahn A 20 auf den Prüfstand kommt. Umwelt- und Verkehrsverbände sollen dabei die Gelegenheit haben, ihre Bedenken vorzubringen. Das ist eine Chance – oder besser, das hätte eine Chance sein können. Denn, dass der FDP-Verkehrsminister diesen Prüfprozess konstruktiv in Gang bringt, darf bezweifelt werden.
Besonders fatal: Die Grünen verzichten darauf, die Hoheit über die dringend erforderliche Rundumerneuerung der Deutschen Bahn zu bekommen. Ohne eine leistungsfähigere Bahn gibt es keine klimafreundliche Verkehrspolitik. Die FDP will eine Privatisierung der Deutschen Bahn, und die Politik des künftigen Verkehrsministers wird auf dieses Ziel ausgerichtet sein.
Dabei leiden Kund:innen und Beschäftigte des Staatskonzerns noch heute unter den vielen Stilllegungen, Kürzungen und Servicewüsten, die Folge der letzten versuchten Bahnprivatisierung sind. Die Ampelkoalition startet mit einer schweren Hypothek.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“