Medien und Neutralität: Neutralität gibt es nicht
Seit vielen Jahren schreibe ich für die taz über Wirtschaftsthemen. Meine Mitgliedschaft bei den Grünen war dabei nie ein Problem. Bis jetzt.
I ch habe immer meine Meinung geschrieben. Dieser Satz ist selbstverständlich, verliert aber gerade seine Selbstverständlichkeit. Denn ich bin Mitglied bei den Grünen. Das war nie ein Geheimnis, sondern steht gleich vorn bei Wikipedia. Lange Zeit hat es jedoch niemanden interessiert, dass ich einer Partei angehöre. Ich wurde als Journalistin wahrgenommen. Doch jetzt wird plötzlich zum Thema, dass ich nicht „neutral“ sein könnte.
Mir scheint daher, dass eine Erklärung nötig ist, wie ich die Rolle einer Journalistin verstehe. Also werde ich dafür die Meinungsseite nutzen, so ungewöhnlich dies ist.
Wie gesagt: Ich habe immer geschrieben, was ich richtig fand. Mein Ziel ist nicht, dass alle LeserInnen meine Meinung übernehmen – sondern ich will möglichst verständlich erklären, wie Wirtschaft funktioniert. Diese Arbeit hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren nicht verändert, aber die Rolle der Grünen wandelt sich. Sie sind nicht mehr die kleinste Oppositionspartei, sondern auf dem Weg in die Regierung. Die Grünen gelten jetzt als Machtfaktor, und dies setzt Fantasien frei. Mir Unbekannte vermuten plötzlich, dass ich demnächst eine Politkarriere in den Ministerien anstreben könnte. Offenbar wissen viele Menschen nicht, wie es in einer Partei zugeht. Sonst kämen sie gar nicht auf die Idee, dass eine einfache Mitgliedschaft reichen würde, um zu großem Glanz aufzusteigen.
Bei den Grünen bin ich eine Karteileiche. Ich zahle nur meine Mitgliedsbeiträge und war in den vergangenen zwanzig Jahren auf keiner einzigen Versammlung. Ich bin nur eines von 120.000 Mitgliedern, die meist ebenfalls Karteileichen sind.
Diese Erklärung überzeugt häufig nicht, wie ich feststellen musste, sondern provoziert eine Gegenfrage: Wenn ich als Parteimitglied so unwichtig sei – warum sei ich dann überhaupt bei den Grünen? Wieder schwingt die Idee mit, dass sich Engagement nur lohnt, wenn damit eine politische Karriere verbunden ist.
ist ausgebildete Bankkauffrau, Autorin und Wirtschaftsredakteurin der taz. Ihr letztes Buch war „Das Ende des Kapitalismus“, Kiepenheuer&Witsch, September 2022, 352 Seiten, Hardcover.
Dabei ist es ganz schlicht: Ich bin bei den Grünen, weil ich durch das Waldsterben politisiert wurde. Als 18-Jährige hat es mich schockiert, dass ein so großes Ökosystem wie der Wald tödlich gefährdet war. Das Thema Umweltschutz hat mich seither nie wieder losgelassen, und dieses Anliegen ist bei den Grünen am besten aufgehoben.
(Für alle, die Wikipedia intensiv studieren: Ja, es stimmt, dass ich zunächst bei der Union war. Denn anfangs dachte ich, dass ausgerechnet die CDU in Hamburg der ideale Ort wäre, um den Umweltschutz voranzubringen. Leider fehlt hier der Platz, um diesen Irrtum zu erklären.)
Eine Grüne, die keine grünen Politiker bejubelt
Ich bin Grüne, doch folgt daraus noch lange nicht, dass ich grüne Politiker stets bejubeln würde. Trotzdem glauben neuerdings viele, dass ich gehorsam die Befehle der Parteispitze ausführen würde. Fragt sich nur: welche Befehle? Bei mir meldet sich nie jemand. Noch nicht einmal eine Anstecknadel gab es, als ich 25 Jahre grünes Mitglied war. Da ist der Alpenverein weiter.
Zudem ist es schlicht falsch, dass Parteimitglieder brav ihrer Spitze folgen würden. Die grüne Basis ist notorisch selbstbewusst, aber auch in anderen Parteien geht es hoch her, wie sich derzeit bei der CDU beobachten lässt.
Jedenfalls habe ich die Grünen nie geschont, die aus meiner Sicht katastrophale Fehler begangen haben, als sie von 1998 bis 2005 regierten. In dieser Zeit wurden die Steuern für die Reichen gesenkt, was bis heute etwa 60 Milliarden Euro pro Jahr kostet – während gleichzeitig die Langzeitarbeitslosen bestraft wurden, indem sie sich in Hartz IV wiederfanden. Völlig sinnlos wurde zudem die gesetzliche Rente eingedampft und die Riester-Rente eingeführt, von der immer klar war, dass sie nicht funktionieren würde. Das alles habe ich auch damals schon geschrieben.
Neutralität gibt es nicht
Trotzdem bin ich Grüne geblieben, was ebenfalls viele verwundert. Wie kann man so enttäuscht sein – und nicht austreten? Ich hoffe eben noch, dass die Grünen sich besinnen: Es braucht eine Partei, die Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit verbindet.
Das ist jedenfalls meine Perspektive – und auch ein Grund, warum ich bei den Grünen geblieben bin. Die LeserInnen sollen wissen, dass ich nicht neutral bin. Denn Neutralität gibt es nicht. Wenn eine objektive Wahrheit existieren würde, wären Kommentare und Meinungsartikel genauso sinnlos wie verschiedene Zeitungen, die auf unterschiedliche Lesergruppen zielen. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Welt oder die FAZ eine völlig andere Weltsicht haben als die taz und ihre GenossInnen.
Als kleines Schlaglicht: Die letzte Umfrage ergab, dass die taz-GenossInnen zu 57,2 Prozent den Grünen zuneigen, die Linke kommt auf 20,9 Prozent, die SPD auf 13,2 Prozent, die FDP auf 3,2 Prozent und die Union auf 0,7 Prozent. Bei der FAZ dürfte es umgekehrt sein: viel CDU und keine Linken. Die Redaktionen spiegeln die Präferenzen ihrer LeserInnen wider und sind damit alles andere als „neutral“.
Trotzdem hält sich der Fetisch der Neutralität. Jede Nähe zu einer Partei wird beargwöhnt. Zuletzt traf es Claudia von Brauchitsch, die das dritte Triell moderiert hat. Sie war nämlich lange Jahre für CDU.TV tätig – und schon wurde vermutet, dass sie Laschet bevorzugen könnte. Hat sie aber nicht. Hinterher waren sich alle Kommentatoren einig, dass die Moderatorinnen des dritten Triells die besten gewesen waren.
Es war sogar hilfreich, dass von Brauchitschs Vergangenheit bekannt war. So konnte jeder selbst überprüfen, ob sie parteiisch moderierte. Gefährlich sind nicht die Parteimitglieder, sondern die angeblich „neutralen“ Journalisten, die ganz und gar nicht neutral sind.
Trotzdem: Diese Debatten ermüden. Also habe ich bei den Grünen beantragt, dass meine Mitgliedschaft ruht. Damit ich endlich wieder ungestört die Arbeit machen kann, die ich schon seit zwanzig Jahren mache.
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