Juristin über Ja-heißt-Ja-Reglung: „Passives Verhalten bedeutet nicht sexuelle Verfügbarkeit“
Frankreich und Norwegen wollen die Ja-heißt-Ja-Reglung einführen, die bereits in 13 europäischen Ländern gilt. Sollte auch Deutschland dem folgen?

taz: Frau Kräuter-Stockton, gerade erst hat die französische Nationalversammlung unter dem Eindruck der extremen Gewalt an Gisèle Pelicot eine Ja-heißt-Ja-Reglung beschlossen. In Ländern wie Schweden, Dänemark und Spanien gilt sie längst, auch Norwegen will jetzt nachziehen. Wie sieht der Status quo etwa in Deutschland oder in Frankreich bislang aus?
Kräuter-Stockton: Nach jetziger Rechtslage ist ungewünschter aufgedrängter Sexualkontakt bei einem passiven Verhalten des Opfers, meist sind es Frauen, weder in Frankreich noch in Deutschland strafbar. Strafbar sind Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung nur dann, wenn sie erzwungen wurden – etwa durch Gewalt, Drohung oder ähnliche Mittel – wenn das Opfer überrascht wurde, oder wenn sie ihre Ablehnung objektiv erkennbar geäußert hat. Sollte das missachtet werden und es kommt zur Anklage, muss ihre erkennbare Ablehnung nachgewiesen werden können. Wenn dieser Beweis nicht gelingt, kommt es zu einem Freispruch. Dann kann der Eindruck entstehen, dass es eben doch auch an der Frau lag. Wäre sie doch nur deutlicher geworden! Hätte sie ihre Meinung doch nur eindeutig klargemacht!
taz: Eine Ja-heißt-Ja-Reglung würde das umdrehen.
Kräuter-Stockton: Genau. Nach dieser Logik erfordern alle sexuellen Handlungen eine Zustimmung des Gegenübers. Diese muss frei und aufgeklärt, spezifisch, im Voraus und widerruflich sein, wie es etwa der aktuelle Entwurf aus Frankreich definiert.
taz: Manche Richter sagen: „Ich glaube den Frauen ja, aber ich kann keine Vergewaltigung nachweisen.“ Verfahren zu sexueller Gewalt wurden in 7 von 10 Fällen eingestellt, wie die Fachstelle Miprof für 2023 in Frankreich registriert hat, in Deutschland sind die Zahlen ähnlich. Erhoffen Sie sich von einer Ja-heißt-Ja-Reglung mehr Verurteilungen?
Kräuter-Stockton: In Europa gilt inzwischen in 13 Ländern ein konsensbasiertes Strafrecht, etwa in Schweden, Dänemark, Großbritannien, Spanien und Kroatien. Statistiken zeigen, dass in diesen Ländern deutlich mehr Täter verurteilt werden. Eine Ja-heißt-Ja-Reglung ermöglicht, ein größeres Spektrum an Fällen strafrechtlich zu erfassen: Zum Beispiel wenn ein Opfer zwar die sexuellen Handlungen der anderen Person ablehnt, sich aber aus unterschiedlichen Gründen passiv verhält, etwa aus Überforderung, Angst wegen der körperlichen Überlegenheit des Täters, als Reaktion auf vorherige Gewalterfahrungen oder auch aufgrund der Erziehung und Sozialisation.
taz: Das hieße mehr Arbeit für die Justiz?
Kräuter-Stockton: Eine erhebliche Mehrbelastung erwarte ich nicht. Schon der Status Quo bedeutet ja viel Arbeit, etwa wenn Vorwürfe angezeigt werden, die wegen fehlender Tatbestandsvoraussetzungen nicht angeklagt werden können. Dann müssen Einstellungsverfügungen und Beschwerden hiergegen bearbeitet werden. Die Zahl der Verurteilungen von Schuldigen dürfte sich erhöhen, ob mehr Fälle angezeigt werden, lässt sich nicht vorhersagen. Unabhängig von dieser Reform muss das Personal in Strafverfolgungsbehörden und Justiz und allen sonstigen Stellen, die mit von Gewalt betroffenen Frauen zu tun haben, zu geschlechtsspezifischer Gewalt fortgebildet werden, da in vielen Köpfen noch Geschlechterstereotype und Vergewaltigungsmythen existieren.
taz: Einzelne Linke und Feminist*innen kritisieren: Das Opfer steht weiterhin im Fokus, muss oft schmerzhafte Fragen beantworten, auch das Beweisproblem bleibt bestehen, für intime Situationen zu zweit fehlen meist Zeugen.
Kräuter-Stockton: Bei einer Ja-heißt-Ja-Reglung müsste das Gericht die gesamten Begleitumstände in Betracht ziehen. Dazu gehört auch – aber nicht nur –, das Opfer intensiv zu befragen. Von betroffenen Frauen würde dann nicht mehr wie bisher verlangt, sich gegen unerwünschte Sexualkontakte körperlich oder zumindest deutlich erkennbar zur Wehr zu setzen, um sie zu vermeiden. Schließlich läge es am Angeklagten, zu erklären, wie er auf die Idee kam, sie hätte zugestimmt. Verfahren würden weiterhin lange dauern und belastend sein. Aber die Fragen an die Beteiligten wären anders, und vor allem würde sich das Gefühl ändern, mit dem eine betroffene Person, ein Opfer, am Ende aus dem Prozess herausgeht.
taz: Sie halten das also für eine feministische Reform?
Kräuter-Stockton: Ja, das wäre ein echter Paradigmenwechsel! Das Statement, das Frankreich trifft, sofern jetzt auch noch der Senat die Reform annimmt, kann Strahlkraft auf die ganze Gesellschaft haben: Auch passives Verhalten bedeutet keine sexuelle Verfügbarkeit. Und es ist schlicht nicht nachvollziehbar, wieso für die sexuelle Selbstbestimmung, um die es hier ja geht, anderes gelten sollte als für das Eigentum oder das Hausrecht. Auch für die Strafbarkeit von Diebstahl oder Hausfriedensbruch ist es ausreichend, dass die Person, der das betreffende Recht zusteht, nicht eingewilligt hat.
taz: In der EU hat Deutschland letztes Jahr verhindert, dass eine Ja-heißt-Ja-Reglung in die Richtlinie gegen Gewalt aufgenommen wird. Warum müsste sie trotzdem in deutsches Recht übernommen werden?
Kräuter-Stockton: Weil Deutschland nach Artikel 36 der Istanbul-Konvention, die es ratifiziert hat, dazu verpflichtet ist. Schon 2022 hat der Europarats-Ausschuss GREVIO Deutschland aufgefordert, sein konventionswidriges Sexualstrafrecht anzupassen. Das altbekannte Problem ist, dass völkerrechtliche Übereinkommen über keine robusten Mechanismen zur Durchsetzung verfügen. Auch wir vom Deutschen Juristinnenbund fordern schon lange eine Gesetzesänderung. Zwar erwarte ich in der nahen Zukunft keine großen Sprünge, doch ich appelliere dringend an den guten Willen der neuen Bundesregierung.
taz: Präsident Emmanuel Macron hatte keine Skrupel, einen Mann als Innenminister zu ernennen, gegen den zu diesem Zeitpunkt Ermittlungen wegen Vergewaltigung liefen. Jetzt hat sein Regierungsbündnis diesen Gesetzentwurf vorgelegt. Wie steht es bei unseren Nachbarn denn allgemein um den Feminismus?
Kräuter-Stockton: Zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen hat Frankreich in den letzten paar Jahren mehrere gute und sinnvolle Reformen umgesetzt. So wurde ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung verankert. Und die Zahl der Femizide konnte dort, anders als Deutschland, reduziert werden.
taz: Wie kommt es eigentlich, dass Sie als ehemalige Staatsanwältin so feministisch sind, das sagt man ihrer Zunft ja eher weniger nach?
Kräuter-Stockton: Für mich ist das nicht ungewöhnlich, das zeigt sich etwa am Deutschen Juristinnenbund mit vielen feministischen Juristinnen, der vor einiger Zeit sein sechstausendstes Mitglied begrüßen konnte. Viele von uns haben sich damals für ein Jura-Studium entschieden, weil sie sich davon das Handwerkszeug erhofften, benachteiligten Menschen zu „ihrem Recht“ zu verhelfen. Und Frauen sind nun mal die größte strukturell benachteiligte Gruppe. Die Sachverhalte, mit denen ich dann als Staatsanwältin im Bereich „sexuelle Gewalt“ zu tun hatte, haben mir das umso plastischer vor Augen geführt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Moskau fordert für Frieden vollständigen Gebietsabtritt
Sozialwissenschaftlerin zur Spargelernte
„Er sagte: ‚Nirgendwo war es so schlimm wie in Deutschland‘“
Kontroverse um Gedenkveranstaltungen
Ein Kranz von Kretschmer, einer von Putin
Mindestlohn
Die SPD eiert herum
Frauenwaggons im ÖPNV
Ein guter Ansatz
Wirtschaftskrise in Deutschland
Habeck ist nicht schuld